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Gentechnik: EU will neue Regeln für CRISPR-Pflanzen

Für einige genetisch veränderte Nutzpflanzen will die Kommission Einschränkungen lockern - unter bestimmten Bedingungen. Hier sind die wichtigsten Informationen zum neuen Entwurf.
Eine Wissenschaftlerin begutachtet Setzlinge, die unter Kunstlicht wachsen.
Setzlinge in einer Zuchtstation. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen sollen zukünftig weniger streng reguliert werden - sofern sie von klassisch gezüchteten Pflanzen nicht unterscheidbar sind.

Zumindest darüber herrscht Einigkeit: Auf die Nutzpflanzen, mit denen Menschen sich ernähren und ihre Nutztiere füttern, kommen durch den Klimawandel harte Zeiten zu. Dürren und Hitzeextreme werden Weizen, Mais, Soja wie auch Obst und Gemüse in vielen Regionen der Welt viel heftiger zusetzen als bisher schon. Häufigere Überschwemmungen kommen hinzu. Der Salzgehalt im Boden kann steigen, was das Wachstum von Pflanzen hemmt. Zudem breiten sich Insekten und Pilze, die den Nutzpflanzen zusetzen, in einem wärmen Klima leichter aus. Die Pflanzen von heute werden dem Klima von morgen kaum gewachsen sein.

Doch welche Verfahren zum Einsatz kommen dürfen, um besser angepasste Pflanzensorten zu entwickeln, ist heftig umstritten. Mit klassischen Methoden dauert es mitunter Jahrzehnte, bis neue, widerstandsfähigere Sorten entstehen. Gegen den Einsatz von molekularbiologischen Methoden in der Pflanzenzucht gibt es aber seit langem massiven Widerstand von Umweltorganisationen und vielen politischen Parteien, bis hin zur CSU in Bayern. »Ohne Gentechnik« prangt wie ein Gütesiegel auf vielen Lebensmitteln. Schon seit 2001 gelten in der EU strenge Regeln für »Grüne Gentechnik«. Dazu gehören langwierige Zulassungsverfahren, die Pflicht zur lückenlosen Nachverfolgbarkeit zwischen Acker und Teller sowie die Auflage, Lebensmittel mit einem »Gentechnik«-Label zu kennzeichnen.

In Europa haben deshalb vor allem kleine und mittelgroße Pflanzenzüchter die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich weitgehend auf Eis gelegt. Im Gegensatz etwa zu den USA, China und Brasilien ist in der EU der Anbau von Pflanzensorten aus biotechnischen Zuchtmethoden – mit Ausnahme von relativ kleinen Flächen in Spanien und Portugal – nie wirklich in Gang gekommen.

Neue Regeln für CRISPR

Das will die EU-Kommission nun ändern. Am Mittwoch schlug ihr Vizepräsident Frans Timmermans in Brüssel den 27 Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament vor, Entwicklung, Anbau und Vermarktung von Nutzpflanzen deutlich zu erleichtern, wenn sie mit Hilfe der neuesten gentechnischen Methoden zum Beispiel besser an künftige Klimabedingungen angepasst wurden oder den Einsatz von Pestiziden reduzieren helfen.

Neue Pflanzensorten aus so genannten »Neuen Züchtungstechniken«, vor allem der so genannten Gen-Schere CRISPR, sollen demnach künftig nicht mehr den strengen Regeln für Grüne Gentechnik unterliegen. Sie würden weitgehend wie konventionelle Pflanzen behandelt. Eine Kennzeichnungspflicht soll es für sie nur noch auf dem Saatgut geben, nicht mehr auf Produkten im Supermarkt, wo viele Verbraucher das Label »Gentechnik« als Warnung wahrnehmen.

»Diese Pflanzen könnten auch durch natürliche Fortpflanzung oder traditionelle Kreuzung entstanden sein«Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission

»Landwirte bekommen durch die neuen Züchtungstechniken Zugang zu resilienteren Nutzpflanzen, für die weniger Pestizide eingesetzt werden müssen und die besser an den Klimawandel angepasst sind«, erklärte Timmermans in Brüssel. Der Kommissionsvize präsentierte den Vorstoß bewusst gemeinsam mit einem Entwurf für das erste Bodenschutzgesetz der EU sowie mit Initiativen für die Anpassung von Wäldern an den Klimawandel und die Reduktion von Lebensmittelverschwendung. »Alle Vorschläge zum Klima- und Naturschutz gehören zusammen, sie sind ein Paket, da darf es keine Rosinenpickerei geben«, sagte Timmermans.

Die weit gehenden Lockerungen will die Kommission aber nur dann gewähren, wenn zwei anspruchsvolle Kriterien erfüllt sind: Die neuen Merkmale müssen die EU-Ziele in den Bereichen Nachhaltigkeit, Klima und Biodiversität unterstützen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn Weizen und Mais resistenter gegen Hitzestress gemacht werden oder wenn höhere Erträge möglich sind, die Flächen für den Naturschutz frei machen. Exemplarisch nennen die Experten der Kommission auch Bananen, die haltbarer gemacht worden sind und dadurch die Verlustrate beim Transport verringern, sowie eine neue Kartoffelsorte, die gegen Krankheitserreger resistent ist und den Pestizideinsatz um 50 bis 80 Prozent reduzieren kann.

Das zentrale Kriterium: »Äquivalenz« zu normaler Züchtung

Als zweites Kriterium dürfen bei den molekulargenetischen Eingriffe, für die es lockerere Regeln geben soll, nur eigene Gene der jeweiligen Nutzpflanzen zum Einsatz kommen, keine artfremden Gene etwa von Bakterien, Tieren oder nicht verwandten Pflanzen. »Diese Pflanzen könnten auch durch natürliche Fortpflanzung oder traditionelle Kreuzung entstanden sein«, betonte Kommissionsvize Timmermans. Im Vorschlagstext ist von »Äquivalenz« die Rede, was bedeutet, dass der molekulargenetische Eingriff mit heutigen Methoden gar nicht detektierbar und konventionelle von molekulargenetisch gezüchteten Pflanzen nicht zu unterscheiden wären.

Mit den beiden Kriterien versucht die EU-Kommission den lautstarken Kritikern jeglicher Grünen Gentechnik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn Umweltorganisationen behaupten seit vielen Jahren, dass Pflanzen aus molekulargenetischen Verfahren schlecht für die Umwelt sein müssen, als »Frankenfood« einen Mischmasch von Genen verschiedener Arten enthalten und zudem nur Großkonzernen nützen. Die Kommission will solche Behauptungen nun entkräften.

Eine Schlüsselrolle bei den Plänen spielt CRISPR, eine erst in jüngerer Zeit entwickelte Methode, das Erbgut präzise und an gewünschten Stellen zu verändern. Von »Genom-Editierung« ist dabei die Rede. Die Grüne Gentechnik der ersten Generation war dazu nicht in der Lage. Anfangs wurden sogar Gene für Antibiotikaresistenz in Pflanzen eingeschleust, um sie von unveränderten Pflanzen unterscheiden zu können. Das hat den Widerstand aus der Gesellschaft befeuert. Mit CRISPR sind aber inzwischen quasi chirurgische Eingriffe möglich, die außer den neuen Genen und den Merkmalen, die sie schaffen, keine oder kaum Spuren hinterlassen.

Lockerungen soll es dem Vorschlag zufolge für zwei Züchtungsverfahren geben: Bei der so genannten gezielten Mutagenese wird kein neues Erbgut eingefügt, sondern ein Gen zum Beispiel gezielt gelöscht. Das Verfahren wurde bei der 2022 in Japan zugelassenen »Gaba-Tomate« angewandt. Mit Hilfe von CRISPR haben Wissenschaftler dabei Gene gelöscht, mit dem Effekt, dass die Tomaten im Fruchtfleisch einen Stoff anreichern, der blutdrucksenkend wirken soll.

Gene von der Verwandtschaft

Beim zweiten begünstigten Verfahren, der so genannten Cisgenese, kommt nur genetisches Material von »sexuell kompatiblen Organismen« zum Einsatz, also von Pflanzen, die sich auch auf natürliche Weise fortpflanzen könnten. Dabei sollen pro neuer Sorte maximal 20 Veränderungen im Erbgut erlaubt sein, eine Zahl, die nach Angaben von Experten der Kommission auch für traditionelle Züchtungsverfahren typisch ist.

Der Vorschlag der Kommission lenkt die Aufmerksamkeit auf ein noch weitgehend ungehobenes Potenzial: Für Grüne Gentechnik müssen nicht unbedingt Gene fremder Organismen in die Pflanzen eingeschleust werden, wie das etwa mit einem Bakterien-Gen beim schädlingsresistenten »Bt-Mais« der Fall war oder bei dem besonders kontrovers diskutierten Plan, Fischgene in Tomaten einzuschleusen, um sie vor Frostschäden zu schützen. Für diese so genannte Transgenese, die Übertragung von Genen zwischen Organismen, die sich nicht natürlicherweise fortpflanzen könnten, sollen denn auch weiter die strengen Regeln für Gentechnik gelten.

»92 Prozent der heute beschriebenen Anwendungen beziehen sich auf Toleranz gegenüber extremen Umwelteinflüssen, Krankheitsresistenz und Schädlingstoleranz, Produktqualität sowie Wachstums- und Ertragseigenschaften«Bruno Studer, Leiter der Gruppe Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich

Die »Neuen Züchtungsmethoden« erleichtern es dagegen, den Schatz der genetischen Vielfalt innerhalb der verschiedenen Gruppen von Nutzpflanzen zu heben. So gibt es etwa vom Weizen wilde Verwandte, die zwar kaum Körner abwerfen, aber sehr gut mit Trockenheit klarkommen. Würde man solche wilden Verwandten auf traditionelle Weise mit den Hochertragssorten kreuzen, ginge die Ernte pro Hektar stark zurück.

CRISPR ermöglicht es hingegen, die für den Hitzeschutz verantwortlichen Gene – und nur sie – aus dem Erbgut der wilden Verwandten auszuschneiden und sie wie beim Copy-and-Paste-Verfahren in die Hochertragssorte einzufügen. Die neu entwickelte Pflanze hätte nur Erbgut des Weizens – aber eben in einer neuen Kombination. In der Darstellung der Kommission sind die Pflanzen »äquivalent« zu solchen, die in der Natur oder durch traditionelle Kreuzung hätten entstehen können. Die Nutzung der innerartlichen Biodiversität zählt seit 1992 zu den Zielen der UN-Konvention für den Schutz der Natur.

Die unstrittenste Anwendung bleibt außen vor

Die bisher umstrittenste Anwendung von Grüner Gentechnik, die Herbizidresistenz, soll bei den Lockerungen außen vor bleiben. Dabei werden Pflanzen gegen einen Wirkstoff wie Glyphosat resistent gemacht. Entgegen früheren Versprechungen hat das den Einsatz von Herbiziden nicht gesenkt, sondern eher gesteigert.

Doch Herbizidresistenzen spielen bei neuen Züchtungstechniken derzeit kaum eine Rolle, sagt Bruno Studer, Leiter der Gruppe Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich: »92 Prozent der heute beschriebenen Anwendungen der Genom-Editierung bei Kulturpflanzen beziehen sich auf Toleranz gegenüber extremen Umwelteinflüssen, Krankheitsresistenz und Schädlingstoleranz, Produktqualität sowie Wachstums- und Ertragseigenschaften.« Es gebe bereits 130 wissenschaftlich dokumentierte Beispiele, wie Kulturpflanzen mit Hilfe der Genom-Editierung resistenter gegen Krankheiten gemacht worden seien.

Werden die Brüsseler Vorschläge nach den Beratungen vom Parlament verabschiedet, könnten neue Pflanzensorten um viele Jahre schneller entwickelt werden als bisher, verspricht Kommissionsvize Timmermans. Er betonte am Mittwoch, dass besonders kleine und mittelgroße Firmen für Pflanzenzüchtung davon profitieren würden. Hintergrund ist, dass die strengen Regeln für Gentechnik in der EU Agrarkonzerne wie die deutsche Bayer AG nicht davon abgehalten haben, weltweit Geschäfte mit gentechnisch verändertem Saatgut zu machen – aber kleinere Unternehmen wegen des hohen Aufwands und erheblicher rechtlicher Risiken sehr wohl.

So nutzt zum Beispiel die im niedersächsischen Einbeck ansässige KWS Saat die Genom-Editierung bisher nur, um Gene mit verbesserten Merkmalen zu identifizieren. Bei der Entwicklung neuer Sorten beschränkt sich die Firma wegen der strengen Gesetzgebung auf traditionelle Züchtungsmethoden. Nach Lockerungen, wie sie die EU-Kommission nun anstrebt, will die KWS die neuen Züchtungsmethoden auch für konkrete Produkte einsetzen.

Lob aus der Wissenschaft, Kritik von Umweltverbänden

Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter, dem viele kleine und mittelgroße Unternehmen angehören, begrüßte die Vorschläge der Kommission am Mittwoch. »Die EU-Kommission trägt der wissenschaftlichen Einschätzung Rechnung, dass Pflanzen aus neuen Züchtungsmethoden, die sich von herkömmlich gezüchteten nicht unterscheiden, nicht als gentechnisch veränderte Organismen reguliert werden sollen«, erklärte der Geschäftsführer des Verbands, Carl-Stephan Schäfer.

Wissenschaftsorganisationen haben schon länger einen neuen Kurs im Umgang mit der Grünen Gentechnik gefordert und begrüßten den Vorstoß der Kommission ebenfalls. Der Agrarökonom Matin Qaim von der Universität Bonn sprach von einem »wichtigen Baustein, um das Ziel der Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zu erreichen«. In naher Zukunft könnten dann viele schädlingsresistente Pflanzen auf den Markt kommen, die hohe Erträge mit viel geringeren Pestizidmengen möglich machten.

Die Nationalakademie Leopoldina bekräftigte am Mittwoch, dass die neuen Züchtungsmethoden helfen könnten, die Nahrungsmittelproduktion nachhaltiger zu machen. Forderungen aus der Wissenschaft waren überhaupt erst der Auslöser für die Kommission, die am Mittwoch vorgestellten Vorschläge zu entwickeln. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass gemäß den seit 2001 geltenden Regeln auch Pflanzen, die mit dem CRISPR-Verfahren verändert worden sind, unter das Gentechnik-Recht fallen. Daraufhin hatte die Kommission die europäischen Wissenschaftsorganisationen gebeten, neue Regeln zu empfehlen – und ist nun den Vorschlägen weitgehend gefolgt.

Umweltorganisationen und Vertreter des Biolandbaus bleiben dagegen bei ihrer ablehnenden Haltung. Jan Plagge, Präsident des Bioland-Verbands und der europäischen Vereinigung organisch wirtschaftender Landwirte, kritisierte einen »gefährlichen Abschied vom lange gelebten Vorsorgeprinzip« und sprach von einer »Zäsur«. Die Verbraucherorganisation »foodwatch« kritisiert, dass Verbraucherinnen und Verbraucher wegen fehlender Kennzeichnung nicht erkennen könnten, welche Lebensmittel oder Zutaten aus »neuer« Gentechnik, dem »Genome Editing«, erzeugt wurden. Aus der Bundesregierung äußerte sich am Mittwoch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) und sagte, eine Deregulierung der Gentechnik sei »nicht die Antwort auf die Frage nach dem Welthunger«. Dagegen bezeichnete Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die neuen Züchtungstechniken als »Schlüssel für die großen Herausforderungen der Menschheit« und befürwortete den Vorschlag der EU-Kommission.

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