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Neurochemie: High-Tech aus der neuronalen Urzeit

Schon lange spielt der Hanf eine Sonderrolle als Rausch- und Heilpflanze. Und viel länger noch als das Cannabis- Gewächs gibt es die körpereigenen Cannabinoide sowie die zugehörigen Rezeptoren. Dagegen taufrisch sind die biochemischen Erkenntnisse über dieses System.
Vor 5000 Jahren begannen die Menschen in Zentralasien, Hanf anzubauen. Anfangs, um aus den Pflanzenfasern Kleidung und Seile herzustellen. Später dann lernten sie, die verharzten weiblichen Blütenstände der Cannabis- Staude als Rauschmittel und für medizinische Zwecke einzusetzen. Allerdings hat der menschliche Hang zu Hanfprodukten eine Vorgeschichte – und die ging schon vor 500 Millionen Jahren los.

Damals wussten weder die Natur noch unsere Vorfahren etwas von Haschisch und Marihuana. Für die in den Urmeeren wimmelnden Kreaturen war noch nicht einmal abzusehen, ob ihre Enkelsenkel es einmal zur Muschel, zum Blutegel oder eher zum Affen bringen würden. In dem Nervenknoten am Vorderende der Urviecher waren aber bereits in jenen Tagen Gebilde heimisch, die einmal unsere heutigen Psychologen und Pharmakologen beschäftigen sollten: die Cannabinoid-Rezeptoren.

Ihren Namen erhielten die Proteine, weil sie so gut auf Stoffe ansprechen, die sich aus Cannabis sativa extrahieren lassen. Darunter eine Verbindung, die Chemiker Delta-9-Tetrahydrocannabinol – oder kurz THC – nennen. Aber natürlich sitzen die Cannabinoid-Rezeptoren nicht seit Ewigkeiten in der Neuronenmembran und warten darauf, dass da einmal ein pflanzliches Molekül entlang kommt und sie endlich antörnt. Ihre eigentlichen Partner sind körpereigene Substanzen.

Die erste davon wurde 1992 entdeckt: Anandamid, der wichtigste Botenstoff des endogenen Cannabinoidsystems. Dieses regelt den Signalverkehr an bestimmten Synapsen – hat also einen ähnlichen Job wie die Handvoll der anderen Neurotransmittersysteme, bei denen die Überträgerstoffe beispielsweise Dopamin, Gaba oder Acetylcholin heißen. Im Detail agieren Cannabinoide jedoch anders.

Cannabinoide | Obwohl sie, was ihre Struktur angeht, aus sehr unterschiedlichen Familien stammen, teilen THC und Anandamid doch zwei Eigenschaften: Beide sind fettlöslich und vermögen Cannabinoid-Rezeptoren zu stimulieren.
"Sie wirken rückwärts gewandt auf ein vorgeschaltetes Neuron, wobei sie den Effekt anderer Botenstoffe abschwächen", erklärt Beat Lutz von der Universität Mainz. Außerdem ist Anandamid – wie übrigens auch THC – kaum wasserlöslich, "weswegen es sich nicht wie andere Transmitter in einsatzbereiter Form in kleinen Ballönchen am Ende eines Nervenzellausläufers speichern lässt", wie der Experte für Cannabinoide weiter erläutert. Stattdessen hängt Anandamid als Vorstufe an der Zellmembran. Erst bei Bedarf wird es fertiggestellt und kann dann an einen Cannabinoid-Rezeptor docken.

Was danach passiert, kann sehr unterschiedlich sein, denn die Rezeptoren kommen an zahllosen Orten im Körper vor. Ebenso vielfältig sind die diskutierten medizinischen Anwendungen von Cannabis-Präparaten: Von der Appetit anregenden Stimulanz über das Mittel gegen chronische Übelkeit bis hin zur Option, Epilepsien und Schmerzen besser behandeln zu können.

Einig sind sich die Forscher inzwischen jedoch darin, dass das Cannabinoid-System eine wichtige Rolle bei Lernvorgängen spielt – besonders beim Verlernen. So zeigte Beat Lutz vor drei Jahren, damals noch am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München tätig, dass das Löschen von Angst- und Schmerzerfahrungen über die Feinabstimmung der Cannabinoid-Rezeptoren läuft. In eine andere Richtung weisen Resultate, die Bonner Neurowissenschaftler nun vorstellen.

Sie verglichen normale Mäuse mit Mäusen, denen CB1 – der wichtigste Cannabinoid-Rezeptor im Gehirn – fehlte [1]. Zunächst schien sich nur zu bestätigen, was schon frühere Studien gezeigt hatten: Cannabinoide sind eine Art Lernkiller. Die jungen Mäuse ohne CB1 schnitten bei Koordinatonsübungen oder dem Wiedererkennen von Käfigmitbewohnern etwas besser ab als ihre Artgenossen aus der Wildtypgruppe. Bei den erwachsenen Tieren wendete sich allerdings das Blatt.

"Das Fehlen des CB1-Rezeptors scheint zum rascheren Abbau der Lernfunktion zu führen" (Andreas Zimmer)
Und zwar entschieden. Denn bei den vier bis fünf Monate alten Nagern waren die Wildtyp-Mäuse mit erhaltener Fähigkeit zum rauschbedingten Höhenflug haushoch überlegen. Kein Wunder, denn ihre Konkurrenz ohne CB1 wurde frühzeitig debil. "Das Fehlen des CB1-Rezeptors scheint zum rascheren Abbau der Lernfunktion zu führen", fasst Andreas Zimmer die Beobachtungen zusammen. Der die Experimente leitende Neurowissenschaftler weist zudem darauf hin, dass die Knockout-Mäuse schon frühzeitig Nervenzellen im Hippocampus, der Schaltstelle für höhere kognitive Aufgaben, verloren.

Den ergänzenden Befund liefern kanadische Wissenschaftler um Xia Zhang von der Universität von Saskatchewan [2]. Sie zeigten, dass THC-ähnliche Substanzen im Hippocampus von Ratten sogar die Vermehrung von Nervenzellen auszulösen vermögen – die so genannte Neurogenese. Zwar ist noch recht unklar, was es mit dem noch gar nicht lange bekannten Phänomen der Neurogenese im erwachsenen Gehirn auf sich hat. "Man kann aber ziemlich sicher sein, dass es sich dabei um etwas Gutes handelt", kommentiert Beat Lutz.

Als Freibrief für Cannabis-Missbrauch zum vermeintlichen Zwecke der Hirnstimulation sind die Befunde indes keineswegs zu werten. Zumal beim unkontrollierten THC-Konsum unterschiedslos sämtliche Cannabinoid-Rezeptoren des Körpers überschwemmt werden. Anders als die stundenlang zirkulierenden Hanf-THCs werden die endogenen Cannabinoide außerdem binnen Minuten entsorgt.

Allerdings scheint es ganz ohne Cannabinoide nicht zu gehen. Und wer weiß, was mit den alterslernschwachen Bonner Mäusen passiert wäre, hätten Andreas Zimmers Mitarbeiter mit CB2 auch noch den zweiten Cannabinoid- Rezeptor ausgeschaltet. Anders als bisher angenommen findet sich dieser nämlich nicht nur in der Körperperipherie, beispielsweise auf Immunzellen. Ein Forscherteam um den Biochemiker Keith Sharkley von der Universität Calgary entdeckte CB2 nun auch im Hirnstamm von Ratten [3]. Alles zusammen Grund genug, das von der Natur über Jahrmillionen gehegte und gepflegte körpereigene Cannabinoidystem weiter zu erkunden.

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