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Lärm: Hört mich jemand?

Der Lärm von Straßen und Städten stört die Kommunikation vieler Tiere. Mit Tricks schaffen es etliche Arten aber trotzdem, ihre Botschaften an den Adressaten zu bringen
Frosch mit Schallblase

Wer Erfolg haben will, muss sich Gehör verschaffen. Das gilt für zwitschernde Vögel ebenso wie für quakende Frösche oder zirpende Heuschrecken. Sie alle verfolgen mit ihren Darbietungen schließlich wichtige Ziele: Die meist männlichen Interpreten versuchen, durch möglichst eindrucksvolle Lautäußerungen Partnerinnen für sich zu gewinnen und Rivalen in die Schranken zu weisen. Doch heutzutage ist das nicht immer einfach. Denn in vielen Lebensräumen ist es mittlerweile deutlich lauter als noch vor ein paar Jahrzehnten. Vor allem die dröhnende Geräuschkulisse von Städten und viel befahrenen Straßen stellt tierische Sänger vor eine echte Herausforderung. So manche akustische Botschaft geht ungehört im Lärm unter.

Das aber kann fatale Folgen haben. Es gibt zum Beispiel zahlreiche Studien, die den Zusammenhang zwischen menschengemachtem Lärm und dem Bruterfolg von Vögeln untersucht haben [1]. Zu viel Krach im Revier ist demnach nicht gut fürs Familienleben. So führen an lärmgeplagten Schweizer Seen mehr Rohrammern ein Singleleben als an stilleren Ufern – es scheint also mit der akustischen Brautwerbung nicht mehr so recht zu klappen. Bei Kohlmeisen dagegen finden die Paare in der Regel zwar zusammen. Doch auch diese robusten Vögel bekommen offenbar Probleme, wenn Autobahnverkehr direkt neben ihrem Nest vorbeidonnert. Jedenfalls bringen sie unter solchen Umständen weniger Nachwuchs durch als ihre Artgenossen mit ruhigeren Kinderstuben.

Möglicherweise liegt das daran, dass zu viel Lärm bei den Küken zu direkten physiologischen Schäden führt. Es könnte aber auch sein, dass die Geräuschkulisse die Verständigung zwischen den Generationen stört. Wenn Eltern die Bettelrufe ihres Nachwuchses nicht richtig hören, versorgen sie ihn vielleicht auch nicht so gut. Bei Haussperlingen jedenfalls führt mehr Lärm dazu, dass die Weibchen weniger füttern und sich die Jungen daher schlechter entwickeln.

Singen gegen den Lärm

Manche Vogelarten ziehen daraus eine einfache Konsequenz und meiden zu laute Lebensräume. Andere aber versuchen mit verschiedenen Tricks, sich trotzdem Gehör zu verschaffen. Die Stadtbewohner unter den Rotkehlchen verschieben ihre Konzerte zum Beispiel gern in den späteren Abend und singen bis in die Nacht hinein. So nutzen sie die ruhigeren Stunden, in denen der Feierabendverkehr abgeflaut ist [2]. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die eigene Stimme zu verändern. Um möglichst gut zur Geltung zu kommen, sollte sich die Gesangsdarbietung nicht ausgerechnet auf die gleichen Frequenzen konzentrieren wie der Lärmteppich. Sonst erstickt der leicht alle akustischen Bemühungen. Da für Verkehrslärm und viele andere menschengemachte Geräusche eher niedrige Frequenzen typisch sind, können sich Arten mit hohen Stimmen besser dagegen durchsetzen als solche mit tiefen. Das höhere Gezwitscher von Kohlmeisen reicht in Städten zum Beispiel weiter als das tiefere von Amseln – in Wäldern ist es genau umgekehrt.

Frosch mit Schallblase | Städtische Frösche haben es schwer: Der Lärm erschwert ihre Kommunikation – und damit auch das Werben um Partnerinnen. Sie umgehen dieses Problem, indem sie ihre Stimme höher ertönen lassen.

Allerdings klingt auch innerhalb der gleichen Art keineswegs ein Sänger wie der andere. Die meisten Vögel können aus einem größeren Repertoire von Tönen und Strophen schöpfen. Und diese Möglichkeit nutzen sie oft sehr geschickt, um sich vom Lärm ihrer menschlichen Nachbarn abzuheben. Viele Stadtbewohner singen in höheren Frequenzen als ihre Artgenossen in ruhigeren Lebensräumen. Das gilt für die Kohlmeisen und Amseln in Europa ebenso wie für die China-Bülbüls in Asien, die Singammern in Nordamerika oder die Graumantel-Brillenvögel in Australien.

Bei den Dachsammern in San Francisco konnten David Luther von der University of Maryland und seine Kollegen sogar nachverfolgen, wie sich die musikalischen Trends im Lauf der Zeit verändert haben [3]. In den letzten Jahrzehnten haben demnach nicht nur der Verkehr und damit auch der Straßenlärm in der US-Metropole stark zugenommen. Gleichzeitig haben die Vögel die Frequenzen ihrer Lieder in die Höhe geschraubt. Der erfolgreiche Ammernmann muss offenbar mit der Zeit gehen, wenn er seine Botschaft gut an die Artgenossin bringen will. Das wurde klar, als die Forscher gefiederten Revierbesitzern die Stimmen von Rivalen vom Band vorspielten. Auf "moderne", höhere Gesänge reagierten die Tiere dabei deutlich heftiger als auf die tieferen "Oldies" aus den 1960er Jahren.

Vielleicht aber ist die Anhebung der Frequenz gar nicht das Entscheidende bei solchen Anpassungen. Als Erwin Nemeth vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen und seine Kollegen Amseln in Wien, im angrenzenden Wienerwald und im Labor untersuchten, sind sie auf einen besonderen Zusammenhang gestoßen. Demnach kommen die höheren Töne automatisch auch lauter aus der Vogelkehle. In der Stadt verlegen sich die Amseln demnach auf genau jene hohen Tonlagen, in denen sie besonders laut singen können [4]. Was aber hilft am besten, wenn man sich stimmlich vom Dröhnen des Verkehrs abheben will: hohe Frequenz oder Lautstärke? Auch das haben die Forscher in Experimenten getestet – und sind dabei zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen: "Die größere Lautstärke der höheren Gesänge ist um ein Vielfaches effektiver als die Anhebung der Tonhöhe", sagt Erwin Nemeth. "Wir vermuten deshalb, dass die größere Lautstärke die wichtigste Ursache für die höheren Frequenzen im Stadtgesang der Vögel ist".

Gequake und Heuschreckenkonzert

Ob es nun direkt an der Höhe oder indirekt an der Lautstärke liegt: Klar ist jedenfalls, dass auch andere lärmgeplagte Tiere auf Gesänge in höheren Frequenzen setzen. So haben Kirsten Parris und ihre Kollegen von der University of Melbourne die Konzerte eines Froschs namens Litoria ewingii in der australischen Millionenstadt analysiert [5]. Auch der hat die Frequenz seines Gequakes nach oben geschraubt, um sich im Verkehrslärm Gehör zu verschaffen. Allerdings genügte auch in diesem Fall die reine Frequenzverschiebung nicht, um die Rufe so weit schallen zu lassen wie in einem ruhigen Lebensraum. Dazu mussten die Tiere gleichzeitig auch lauter rufen – und entsprechend mehr Energie investieren. Das aber könnte zu kürzeren Konzerten und damit einem geringeren Fortpflanzungserfolg führen, befürchten die Forscher. Und möglicherweise hat das Schreien gegen den Lärm auch noch einen weiteren Nachteil: Hohe Fistelstimmen gelten in Froschkreisen nämlich nicht unbedingt als attraktiv: Bei manchen Arten haben die Weibchen eine deutliche Vorliebe für Werbungsgesänge in tieferen Frequenzen. Das stellt den städtischen Frosch vor ein Dilemma: hörbar sein oder sexy? Da einen Kompromiss zu finden, ist gar nicht so einfach.

Vor einem ganz ähnlichen Problem stehen auch die Männchen des Nachtigallgrashüpfers (Chorthippus biguttulus), eines in Deutschland weit verbreiteten Vertreters der Feldheuschrecken. Diese Insekten setzen eine typische Kombination aus tickenden und schwirrenden Lauten ein, um das andere Geschlecht für sich zu interessieren. Dazu reiben sie eine gezähnte Leiste an ihren Hinterbeinen gegen eine stark entwickelte Ader ihrer Vorderflügel – und schon geht es los mit dem verführerischen Gesang. Wenn den Weibchen gefällt, was sie hören, antworten sie mit einem kurzen, eher tiefen Signal. Dann nähert sich der erfolgreiche Sänger der Umworbenen und schreitet zur Paarung.

Ob die Weibchen wie gewünscht reagieren, hängt zum einen von ihrer Paarungsbereitschaft und zum anderen von der Qualität der männlichen Darbietung ab. Grundvoraussetzung ist, dass die Adressatinnen den singenden Bewerber als Artgenossen erkennen. Auch innerhalb des arttypischen Spektrums aber sind offenbar nicht alle Gesänge gleich attraktiv. In Laborversuchen mit künstlichen Grashüpferlauten zeigten sich die Weibchen zum Beispiel wenig begeistert, wenn die tieferen Frequenzen im Gezirpe fehlten. Genau diese Bereiche aber drohen im Straßenlärm unterzugehen. Müssen also auch Heuschreckenmännchen beim Singen Kompromisse machen?

Flexible Hüpfer

Wie Insekten mit einer immer lauteren Umwelt zurechtkommen, ist noch nicht so gut untersucht wie bei den Wirbeltieren. Bisher haben Forscher vor allem die Reaktion der Sechsbeiner auf künstlichen Lärm im Labor untersucht. Doch es lag nahe, dass auch zirpende Heuschrecken schlecht zu hören sind, wenn sich die Frequenzen ihrer Signale etwa mit denen des Autoverkehrs überlappen. Gehen sie mit dieser Herausforderung ähnlich um wie Frösche oder Vögel?

Um das herauszufinden, sind Ulrike Lampe und ihre Kollegen von der Universität Bielefeld zunächst auf Grashüpferjagd gegangen. Während der sommerlichen Paarungszeit haben sie insgesamt 188 Männchen in verschiedenen Lebensräumen Nordwestdeutschlands eingefangen und im Labor einem Gesangstest unterzogen. Tiere, die ihr bisheriges Leben unmittelbar neben einer Autobahn verbracht hatten, zirpten dabei tatsächlich in höheren Frequenzen als Artgenossen aus ruhigeren Gebieten [6].

Es gibt allerdings mehrere Möglichkeiten, wie eine solche Anpassung zu Stande kommen kann. So könnten sich Autobahnanrainer und Ruhebedürftige in ihrem Erbgut unterscheiden. Oder sie haben zwar die gleichen genetischen Informationen, können aber je nach Umweltbedingungen trotzdem unterschiedliche Gesänge hervorbringen. Wenn Tiere so flexibel reagieren, sprechen Biologen von "phänotypischer Plastizität". Ob es dieses Phänomen auch bei Heuschrecken gibt, haben die Forscher nun in einer neuen Studie getestet [7]. Dabei haben sie schon in der Kindheit der Sechsbeiner angesetzt und Larven von autobahnnahen und ruhigen Standorten ins Labor verfrachtet. Jeweils die Hälfte der Tiere aus beiden Gruppen wuchs dann unter Verkehrslärm vom Band auf, die andere Hälfte genoss weit gehende Stille. Erwachsen geworden, durften dann alle Männchen ihre Gesänge unter den gleichen Bedingungen ohne störenden Lärm zum Besten geben.

Und die Herkunft der Tiere spielte durchaus eine Rolle. Die Männchen von autobahnnahen Standorten zirpten generell in höheren Frequenzen – auch wenn sie ihre halbe Larvenentwicklung und ihr ganzes Erwachsenenleben in einem ruhigen Labor verbracht hatten. Vielleicht wirkte dabei noch immer die Lärmkulisse nach, der sie in ihrer frühesten Jugend vor dem Fang ausgesetzt waren. Möglicherweise haben sie sogar schon von ihren Eltern eine Information über die zu erwartenden Umweltbedingungen mitbekommen – etwa durch bestimmte Inhaltsstoffe im Ei. Oder die Bestände von Grünstreifenbewohnern haben sich genetisch tatsächlich schon von denen ihrer ruheliebenden Artgenossen entfernt. Wie genau sich die Herkunft auf die spätere Gesangskarriere auswirkt, können erst weitere Experimente mit mehreren Heuschreckengenerationen zeigen.

Fest steht aber schon, dass Genetik nicht alles ist. Denn selbst Grashüpfer, die aus einer Oase der Stille stammen, können sich später noch auf Krach umstellen: "Die Männchen, die im Labor unter Autobahnlärm aufgewachsen sind, produzierten Gesänge in höheren Frequenzen", berichtet Ulrike Lampe. "Und zwar unabhängig von ihrer Herkunft." Für sie und ihre Kollegen ist das ein überzeugendes Indiz dafür, wie wichtig phänotypische Plastizität in einer lauter werdenden Welt sein kann. "Das wurde bisher kaum beachtet", sagt die Forscherin. "Wir denken daher, dass unsere Ergebnisse auch für die Forschung an anderen betroffenen Tiergruppen wie Vögeln oder Fröschen wichtig sein könnten".

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