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Anlage oder Umwelt: Die paradoxe Wirkung der Intelligenzgene

Welche Art von Intelligenz liegt stärker in den Genen: die kulturabhängigen Sprachkompetenzen oder das logische Denken und Problemlösen? Das Ergebnis überrascht, ist aber erklärbar.
Schülerin studiert ein DNA-Modell
Gute Gene fördern die Intelligenz auch auf Umwegen: wenn sie auf eine anregende Umwelt treffen. (Symbolbild)

Fachleute unterscheiden zwei Formen der Intelligenz: die grundlegende Fähigkeit, Probleme zu lösen und logisch zu denken, bezeichnen sie als fluide Intelligenz. Sie ist unabhängig vom bisher erworbenen Wissen. Die kristalline Intelligenz hingegen ist beeinflusst von der Kultur: zu ihr zählen Wortschatz und Lesefertigkeit. Für welche der beiden Arten ist das Erbgut wohl bedeutsamer?

Es klingt fast wie eine rhetorische Frage. Doch ein Team um Robert Loughnan von der University of California in San Diego beantwortete sie in Fachzeitschrift »Psychological Science« mit einem wohl unerwarteten Ergebnis. Bei Kindern haben genetische Marker für Intelligenz nämlich einen größeren Einfluss auf die kristalline als auf die fluide Intelligenz. Wie kann das sein?

Es gibt nicht das Intelligenzgen. Deshalb greifen Forschende auf Daten aus so genannten genomweiten Assoziationsstudien zurück: In riesigen Stichproben werden genetische Veränderungen mit bestimmten Merkmalen verknüpft, wie etwa der Intelligenz. Daraus lassen sich für einzelne Menschen »polygene Scores« berechnen. Diese Werte drücken aus, wie sehr die mit Intelligenz verbundenen Genvarianten bei einer Person zum Tragen kommen. Mittlerweile sind mehr als 1000 Gene identifiziert, die dabei eine Rolle spielen.

Loughnan und seine Kollegen verglichen die polygenen Scores mit den Ergebnissen aus Intelligenztests von rund 8500 Kindern im Alter von neun bis elf Jahren. Insgesamt ließen sich mit den Scores nur wenige Prozent der Unterschiede in den kognitiven Leistungen erklären. Für die Tests der kristallinen – also kulturabhängigen – Intelligenz fiel der Zusammenhang dabei deutlich größer aus als für die Tests auf fluide Intelligenz. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen schon 2013 Wissenschaftler um Kees-Jan Kan von der Vrije Universiteit Amsterdam in einer Zwillingsstudie mit Fokus auf Erwachsenen.

Die Forschenden erklären das mit der so genannten Anlage-Umwelt-Korrelation: Vereinfacht handelt es sich dabei um das Phänomen, dass die Umgebung genetische Unterschiede verstärkt. Wenn ein Kind also Glück in der Genlotterie hatte, dann würde es mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch besonders gefördert und entwickle Spaß an den betreffenden Tätigkeiten. Und dieser Effekt komme bei kristalliner Intelligenz mehr zum Tragen als bei fluider Intelligenz. Anders gesagt: »Vielleicht bietet die Gesellschaft eher guten Lesern die Möglichkeit, viel zu lesen, als dass sie guten Rätsellösern ermöglicht, Rätsel zu lösen«, schreiben die Forschenden.

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