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Kosmologie: Was das Weltall auseinandertreibt

Seit ihrer Entdeckung vor einem Vierteljahrhundert ist der Ursprung der Dunklen Energie unvermindert rätselhaft. Neue Teleskope und Theorien sollen Erkenntnisse dazu bringen, warum sich der Kosmos immer schneller ausdehnt.
Sternförmige Karte der Galaxien, die mit dem Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI) rund um unsere Galaxis aufgezeichnet wurden.
Kosmische Kartierung: Eine 3-D-Karte des Universums soll Aufschluss über die Natur der Dunklen Energie geben. Dieses Bild visualisiert die mit DESI (Dark Energy Spectroscopic Instrument) gewonnenen Daten aus den ersten sechs Monaten – das entspricht einem Prozent des insgesamt zu untersuchenden Volumens. Die Farben stehen für verschiedene Arten von Galaxien.

An einem Nachmittag zu Beginn des Jahres 1994 kamen im Computerraum eines Observatoriums in der chilenischen Küstenstadt La Serena zwei Astronomen ins Gespräch. Nicholas Suntzeff vom Cerro Tololo Inter-American Observatory und Brian Schmidt, der gerade seine Doktorarbeit am Center for Astrophysics des Smithsonian Astrophysical Observatory und des Harvard College Observatory abgeschlossen hatte, waren Spezialisten für Supernovae – explodierende Sterne. Suntzeff und Schmidt beschlossen, mit Hilfe ihrer Expertise endlich eine der grundlegenden Fragen der Kosmologie zu beantworten: Was ist das Schicksal des Universums?

In einem Weltall voller Materie, die sich gravitativ anzieht, müsste die Expansion des Raums – die mit dem Urknall begonnen hat – irgendwann gebremst werden. Aber um wie viel? Würde die Verlangsamung gerade ausreichen, um den Kosmos schließlich zum Stillstand zu bringen? Oder würde sich die Ausdehnung irgendwann sogar umkehren und die Entwicklung seit dem Urknall gewissermaßen wieder rückwärts ablaufen?

Suntzeff und Schmidt schnappten sich das nächstbeste Blatt Papier und schmiedeten einen Plan. Sie notierten die nötigen Teleskope, die zu rekrutierenden Kollegen und die zu delegierenden Aufgaben.

Währenddessen, etwa 9600 Kilometer weiter die Pazifikküste hinauf, hatte eine Arbeitsgruppe am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien unter der Leitung von Saul Perlmutter das gleiche Ziel. Auch sie verfolgten einen Ansatz, der sich auf Supernovae stützte. Suntzeff und Schmidt wussten von Perlmutters Supernova Cosmology Project (SCP). Aber ihnen war ebenso klar, dass dessen Team hauptsächlich aus Physikern bestand, die sich viele astronomische Techniken erst noch im Schnellverfahren selbst beibringen mussten. Schmidt und Suntzeff hofften mit ihrer Routine den Rückstand aufzuholen.

Das gelang ihnen gerade noch rechtzeitig. 1998 kamen die beiden rivalisierenden Teams unabhängig voneinander zu demselben völlig überraschenden Ergebnis: Die Ausdehnung des Universums verlangsamt sich nicht etwa. Sie läuft beschleunigt ab!

Die Ursache für diesen Effekt heißt seither Dunkle Energie. Die Bezeichnung ist gleichermaßen nichts sagend wie allumfassend, und sie klingt fast wie ein Witz – einer, der auf unsere Kosten geht. Denn es scheint, als würde die Dunkle Energie sogar zwei Drittel der gesamten Masse und Energie im Universum ausmachen. Unterdessen blieb all die Jahre völlig rätselhaft, worum es sich dabei überhaupt handeln könnte.

Das heißt nicht, die Wissenschaft hätte seit einem Vierteljahrhundert keine Fortschritte bei den Untersuchungen des Phänomens gemacht. Von 1998 an sammelten sich immer überzeugendere Belege für die Existenz der Dunklen Energie an. Die Bemühungen, ihre Natur zu ergründen oder sie zumindest genauer zu vermessen, bestimmen weiterhin viele kosmologische Beobachtungen und inspirieren zu immer ausgeklügelteren Methoden.

Bereits 1998 war schnell klar, dass die Dunkle Energie ein existenzielles Problem darstellt. Dabei geht es nicht nur um das Schicksal des Universums, sondern auch um die Zukunft der Physik schlechthin.

Das Rätsel der kosmischen Balance

Denn grundsätzlich stellt sich schon seit der Einführung von Isaac Newtons universellem Gravitationsgesetz die Frage, warum ein Universum voller sich gegenseitig anziehender Materie noch nicht in sich zusammengestürzt ist. Im Jahr 1693, sechs Jahre nach der Veröffentlichung seiner »Philosophiae Principia Naturalis Mathematica«, räumte Newton gegenüber einem Geistlichen ein, die Annahme eines Universums im immer währenden Gleichgewicht sei gleichbedeutend damit, »nicht nur eine Nadel auf ihrer Spitze zu balancieren, sondern eine unendliche Anzahl von ihnen (so viele, wie es Teilchen in einem unendlichen Raum gibt)«. Er fügte hinzu: »Doch ich halte das durch Betreiben einer göttlichen Macht für möglich.«

»Das war für die theoretische Physik eine große verpasste Gelegenheit«, schrieb Stephen Hawking 1999 in einem Beitrag zu den »Principia«. »Newton hätte die Ausdehnung des Universums vorhersagen können.« Gleiches gilt für Einstein. Als dieser 1917 seine allgemeine Relativitätstheorie auf die Kosmologie anwandte, stand er vor demselben Problem. Im Gegensatz zu Newton beschwor Einstein jedoch nicht Gott herauf, sondern fügte seinen Gleichungen das Symbol für den griechischen Buchstaben Lambda (Λ) hinzu. Die willkürliche mathematische Abkürzung sollte für eine unbekannte Wirkung stehen, die das Universum im Gleichgewicht hielt.

Einsteinsche Feldgleichungen | Die Gleichungen aus der allgemeinen Relativitätstheorie verknüpfen die Struktur von Raum und Zeit mit der darin enthaltenen Materie und Energie.

Im darauf folgenden Jahrzehnt machte der Astronom Edwin Hubble die Größe Lambda scheinbar überflüssig, als er entdeckte, dass es jenseits unserer eigenen Milchstraße weitere Galaxien gibt und dass sich diese insgesamt auf ziemlich gleichmäßige Weise von uns entfernen: je weiter weg, desto schneller. Es wirkte ganz so, als sei das Universum aus einem einzigen explosiven Ereignis entstanden. Belege für einen solchen Urknall fanden sich 1964, woraufhin aus der Spekulation ernsthafte Wissenschaft wurde. Sechs Jahre später wies der einflussreiche Astronom Allan Sandage – Hubbles ehemaliger Assistent – in einem Aufsatz in der Zeitschrift »Physics Today« einer ganzen Forschungsgeneration die Richtung. Sandage schrieb, die Urknallkosmologie sei »die Suche nach zwei Zahlen«, nämlich einerseits nach der Geschwindigkeit der Expansion und andererseits nach der Rate ihrer Verlangsamung im Lauf der Zeit.

Es wirkte ganz so, als sei das Universum aus einem einzigen explosiven Ereignis entstanden

Was letzteren Wert angeht, sollte es noch Jahrzehnte bis zu ernst zu nehmenden Untersuchungen dauern – jenen der Teams um Suntzeff, Schmidt und Perlmutter. Aber es war kein Zufall, dass dann gleich zwei Kollaborationen mehr oder weniger zur selben Zeit ihre Arbeit aufnahmen. Erst jetzt war es dank theoretischer und technologischer Fortschritte möglich geworden, die Änderung der Expansion zu vermessen.

Mit neuer Technologie in die Tiefen des Alls

In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren vollzog sich bei den astronomischen Beobachtungstechniken ein Übergang von analogen zur digitalen Aufnahmen. Bis dahin konnten Fotoplatten lediglich etwa fünf Prozent der auf sie treffenden Photonen registrieren. Bei CCD-Sensoren wurden mehr als 80 Prozent möglich. Je mehr Licht ein Teleskop einfangen kann, desto weiter vermag es ins All zu schauen. Genau solche tiefen Einblicke in den Raum und somit (da die Lichtgeschwindigkeit endlich ist) in die Zeit waren die notwendigen Voraussetzungen für eine Untersuchung der Expansion.

Die klassische Darstellung, anhand der sich die Ausdehnung des Alls ablesen lässt, nennt sich Hubble-Diagramm. Es zeigt zwei Werte: auf der einen Achse die jeweilige Geschwindigkeit, mit der sich die Galaxien scheinbar von uns entfernen, auf der anderen die entsprechende Distanz.

Hubbles ursprüngliches Diagramm | Vor rund einem Jahrhundert stellte Edwin Hubble fest, dass sich weiter entfernte Galaxien jenseits der Milchstraße schneller von uns wegbewegen.

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Galaxien infolge der Ausdehnung des Weltraums wegbewegen, lässt sich messen, weil ihr Licht in den langwelligeren Bereich des elektromagnetischen Spektrums rückt. Das Phänomen heißt Rotverschiebung.

Kosmologische Rotverschiebung | Das Licht einer Galaxie erscheint je nach ihrer Bewegung in anderen Wellenlängenbereichen.

Die Entfernung zu bestimmen ist jedoch schwieriger. Dazu benötigt man eine »Standardkerze« – eine Klasse von Objekten, deren ausgesandte Lichtmenge überall und jederzeit gleich ist. Im Alltag wäre zum Beispiel eine herkömmliche 100-Watt-Glühbirne eine Standardkerze. Im Wissen um ihre absolute Leuchtkraft können Sie das allgemein gültige Abstandsgesetz anwenden, nach dem die scheinbare Helligkeit quadratisch mit der Distanz abnimmt. Abhängig davon, wie hoch die Intensität von Ihnen aus betrachtet ist, können Sie berechnen, wie weit die Glühbirne tatsächlich weg ist.

Abstandsgesetz | Die wahrgenommene Intensität einer Lichtquelle sinkt quadratisch mit ihrer Distanz.

Die Standardkerzen, die Hubble bei der Erstellung seines Diagramms verwendete, waren so genannte Cepheiden. Das sind veränderliche Sterne, die in regelmäßigen Abständen heller und dunkler werden. Cepheiden sind jedoch in Entfernungen von mehr als 100 Millionen Lichtjahren nur noch schwer zu erkennen. Will man also die Expansionsrate im früheren Verlauf der Geschichte des Universums messen, braucht man eine Standardkerze, die man noch über Distanzen von Milliarden von Lichtjahren beobachten kann.

Ein Kandidat dafür tauchte in den späten 1980er Jahren auf. Dabei handelt es sich um eine Supernova vom Typ Ia, die bei der Explosion eines Weißen Zwergs stattfindet, wenn dieser zu viel Materie von einem Begleitstern aufnimmt. Die Logik lautete: Wenn die Ursache einer Explosion gleich bleibt, sollte die Wirkung – die absolute Leuchtkraft – ebenfalls stets dieselbe sein. Weitere Untersuchungen ergaben jedoch, dass der Effekt nicht einheitlich war; sowohl die scheinbare Helligkeit als auch die Zeitspanne der Sichtbarkeit des »neuen Sterns« waren von Supernova zu Supernova unterschiedlich.

Wie zuverlässig sind die Standardkerzen?

1992 erkannte Mark Phillips vom Cerro Tololo Inter-American Observatory (und späteres Mitglied des Teams von Suntzeff und Schmidt) einen Zusammenhang zwischen der absoluten Leuchtkraft einer Supernova und dem Verlauf ihrer scheinbaren Helligkeit vom ersten Aufflackern bis zum Abklingen: Helle Supernovae werden allmählich schwächer, während weniger intensive Supernovae abrupt abklingen. Supernovae vom Typ Ia waren also keine perfekten Standardkerzen, aber vielleicht waren sie standardisierbar.

Mehrere Jahre lang hatte Perlmutters SCP-Kollaboration auf Typ-Ia-Supernovae als brauchbare Standardkerzen gesetzt. Heidi Jo Newberg, ein frühes Mitglied des SCP-Teams, schrieb in ihrer Dissertation von 1992, es sei umstritten, ob einzelne Supernovae vom Typ Ia »nicht in das Modell passen«. Aber, so fügte sie hinzu, »es ist klar, dass sich die überwältigende Mehrheit auffallend ähnelt«. Diese Supernovae mussten jedoch erst standardisierbar werden, bevor Schmidt und Suntzeff entsprechenden Messungen der Expansion im Rahmen ihrer High-z-Kollaboration (z steht in der Astronomie für die Rotverschiebung) ihre und weitere Forschungskarrieren widmen würden.

Hubbles ursprüngliches Diagramm hatte einen geradlinigen Zusammenhang von Geschwindigkeit und Entfernung nahegelegt (die damals verwendeten Fehlerbalken würden einer kritischen Überprüfung heute allerdings nicht standhalten). In den 1990er Jahren entschieden sich die beiden Teams dafür, die Rotverschiebung (als Maß der Geschwindigkeit) auf der x-Achse und die scheinbare Helligkeit (als Maß der Entfernung) entlang der y-Achse aufzutragen. Wenn man von einer sich tatsächlich verlangsamenden Expansion ausgeht, müsste der Verlauf irgendwann von der Geraden abweichen und sich nach unten biegen. Das würde anzeigen, dass die schnelleren Objekte vergleichsweise heller und damit näher sind als erwartet.

Eine willkommene Revolution

Von 1994 bis 1997 nutzten die beiden Gruppen große Teleskope auf der Erde und vor allem das Hubble-Weltraumteleskop. Mit Hilfe der Daten von Dutzenden von Supernovae erweiterten sie das Hubble-Diagramm immer mehr. In der ersten Woche des Jahres 1998 hatten sich bei beiden Teams die Hinweise darauf erhärtet, dass die Linie tatsächlich abknickt. Doch anstatt sich nach unten zu wölben, stieg sie steiler nach oben. Das deutete darauf hin, dass die Supernovae schwächer erschienen als erwartet und sich die Expansion daher nicht verlangsamte, sondern beschleunigte. Das war eine völlig kontraintuitive – und revolutionäre – Schlussfolgerung.

Erweitertes Hubble-Diagramm | Neuere Messungen von Galaxien in größeren Entfernungen zeigten, dass sich die Expansion nicht verlangsamt wie erwartet, sondern sogar beschleunigt.

Die wissenschaftliche Gemeinschaft schloss sich der Revolution erstaunlich zügig an. Bereits im Mai, nur fünf Monate nach der Entdeckung, hatte das Teilchenphysik-Forschungszentrum Fermilab bei Chicago eine Konferenz einberufen, um die Ergebnisse zu diskutieren. Am Ende stimmten in einer Ad-hoc-Umfrage zwei Drittel der Anwesenden dafür, die Beweise zu akzeptieren und die Existenz »Dunkler Energie« in Betracht zu ziehen (der Begriff wurde von dem theoretischen Kosmologen Michael Turner von der University of Chicago ins Spiel gebracht, in Anspielung auf die Dunkle Materie). Einsteins Lambda, so schien es, war wieder da.

Einige der Faktoren, die zu dem raschen Konsens führten, waren soziologischer Natur. Zwei Teams waren unabhängig voneinander zu demselben Ergebnis gekommen, das obendrein das Gegenteil von dem erwarteten war. Beide hatten größtenteils unterschiedliche Daten (getrennte Sätze von Supernovae) verwendet, und es lief ein intensiver Wettbewerb zwischen beiden. »Ihr größtes Bestreben«, resümiert Turner, »war es, zu einer anderen Antwort zu gelangen als die gegnerische Gruppe.«

Mindestens ebenso überzeugten jedoch wissenschaftliche Aspekte. Das Ergebnis löste einige damals herrschende Widersprüche auf. Wie konnte ein Universum jünger sein als seine ältesten Sterne? Wie konnten großräumige Strukturen, beispielsweise Superhaufen von Galaxien, so früh reifen und den Kosmos in das Äquivalent der Pubertät versetzen, während er noch ein Kleinkind war?

Nun schienen die Probleme gelöst. Eine Expansion, die sich jetzt beschleunigt, impliziert eine, die in der Vergangenheit weniger rasch verlief; daher ist seit dem Urknall mehr Zeit vergangen als zuvor angenommen. Das Universum ist älter als gedacht – das Kleinkind war also doch schon ein Teenager.

Die fehlende Zutat zur Geometrie der Raumzeit

Aber der vielleicht überzeugendste Grund, warum die Existenz der Dunklen Energie so bereitwillig akzeptiert wurde, lautet: Sie war die nötige Zutat, um das Weltbild abzurunden. Jahrelang hatten sich Kosmologen gefragt, warum die Dichte des Universums so gering zu sein schien. Nach dem damals (und auch heute noch) vorherrschenden Modell durchlief das Universum eine Phase der »Inflation«, die etwa 10-36 Sekunden nach dem Urknall begann (das ist der Bruchteil einer Sekunde, der so klein ist, dass nach dem Komma erst nach 35 Nullen eine Eins folgt) und etwa 10-33 Sekunden nach dem Urknall endete. In dieser winzigen Zeitspanne hat sich das Universum um den Faktor 1026 aufgeblasen.

Durch die Inflation wäre der Raum gewissermaßen geglättet worden. Dadurch sähe das Universum in allen Richtungen ungefähr gleich aus, egal wo man sich darin befindet – so, wie es bei unserem Weltall der Fall ist. Geometrisch gesehen müsste es flach sein. Das wiederum setzt voraus, dass seine tatsächliche Energiedichte so groß ist wie die Dichte, die notwendig ist, damit es nicht kollabiert. Das Verhältnis zwischen beiden muss also bei einem Wert von genau eins liegen.

Vor 1998 deuteten Beobachtungen darauf hin, dass die Zusammensetzung des Universums bei Weitem nicht dieser kritischen Dichte entsprach. Der Wert lag bei knapp einem Drittel. Ein Teil entfällt auf so genannte Baryonen, das ist die normale sichtbare Materie auf Basis von Protonen und Neutronen. Hinzu kommt ein viel größerer Teil aus Dunkler Materie, die sich nicht direkt beobachten lässt, die aber insbesondere seit den 1970er Jahren immer besser indirekt nachweisbar ist durch die von ihr ausgeübte Gravitationswirkung. Die Dunkle Energie würde die Aufsummierung vervollständigen: Ihr Beitrag zur Energiedichte läge tatsächlich im Bereich von zwei Dritteln, gerade genug, um die kritische Dichte zu erreichen.

Wo waren die empirischen Beweise? Überall um uns herum

Soziologische Einflüsse und theoretische Vorlieben sollten jedoch bei der wissenschaftlichen Methode keine Rolle spielen – dass sie es dennoch tun, ist ein Thema für sich. Wo also waren die empirischen Beweise? Wie sich herausstellte: überall um uns herum.

Genauer gesagt besteht eine Methode zur Entschlüsselung des Aufbaus des Universums darin, den allgegenwärtigen, 1964 entdeckten kosmischen Mikrowellenhintergrund (cosmic microwave background, kurz: CMB) zu untersuchen. Der CMB erscheint am gesamten Himmel und stammt aus der Zeit, als das Universum gerade einmal rund 380 000 Jahre alt war. Damals gingen Atome und Licht zum ersten Mal getrennte Wege. Winzige Temperaturschwankungen im Licht des CMB sind so etwas wie der Fingerabdruck der Energie und Materie des frühen Universums. Dieses Muster kann man mit Millionen von simulierten Universen vergleichen, jedes mit seinen eigenen Mengen an baryonischer Materie, Dunkler Materie und Dunkler Energie. Sie erzeugen alle einzigartige Strukturen.

Kosmischer Mikrowellenhintergrund | Das Muster aus kleinen Fluktuationen der Strahlung, die den gesamten Himmel umspannt, gilt als Nachleuchten des Urknalls. Es wurde unter anderem mit zwei spezialisierten Satelliten genau vermessen.

Der US-Satellit Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP), der 2001 startete und von 2003 bis 2012 Daten lieferte, vermaß den Mikrowellenhintergrund sehr genau. Das europäische Weltraumobservatorium Planck war noch präziser und begann 2009 mit der Datensammlung; 2018 wurden die endgültigen Ergebnisse veröffentlicht. Sie untermauerten die bis dahin gewonnenen Erkenntnisse zum CMB und zu dem Universum, das laut Simulationen dazu passt: Es besteht zu 4,9 Prozent aus baryonischer Materie, zu 26,6 Prozent aus Dunkler Materie und zu 68,5 Prozent aus Dunkler Energie.

Nützlich, aber völlig rätselhaft

Trotz aller Triumphe der Dunklen Energie bei der Rettung des kosmologischen Standardmodells bleibt die aus theoretischer Sicht nächstliegende Frage allerdings unbeantwortet: Worum genau handelt es sich dabei? Die Dunkle Energie vervollständigt zwar das Bild auf den großen Skalen, bei denen die allgemeine Relativitätstheorie eine Rolle spielt. Aus mikroskopischer Sicht ergibt sie jedoch keinen Sinn.

Laut der Quantenphysik ist der Raum nie wirklich leer. Ständig entstehen und vergehen Teilchen. Jedes von ihnen trägt Energie. Die Erklärung, dabei handle es sich um die Dunkle Energie, scheint nahezuliegen – aber bedauerlicherweise liefern quantenmechanische Rechnungen Werte für die Energiedichte, die um satte 120 Größenordnungen abweichen. Das ist selbst für die Verhältnisse der Kosmologie eine zu große Fehlerspanne.

Bereits unmittelbar nach der Entdeckung der beschleunigten kosmischen Expansion, im Winter 1998, versuchten Theoretiker, den Abstand zwischen quantenphysikalischer Vorhersage und astronomischer Wirklichkeit zu verkleinern. Schließlich flossen so viele Anstrengungen in den Versuch, den Abgrund zwischen Beobachtung und Modell zu überbrücken, dass die astronomische Gemeinschaft Gefahr lief, sich darin zu verlieren. Zumindest befürchtete das der Theoretiker Simon White vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching 2007 in einem umstrittenen Essay mit dem Titel »Warum Dunkle Energie schlecht für die Astronomie ist«.

Die Frustration hat sich in eine Haltung verwandelt, die an Gleichgültigkeit grenzt

Zu Beginn dieser Zeit, in der sich die Diskrepanzen partout nicht kitten ließen, verliehen die Vertreter der beobachtenden Astronomie ihrem Unmut ungeniert Ausdruck. Adam Riess, der Erstautor der Veröffentlichung des High-z-Teams, las jeden Tag pflichtbewusst neue Arbeiten, aber hielt die meisten Hypothesen laut eigener Aussage für ziemlich ausgeflippt. Perlmutter begann seine öffentlichen Präsentationen mit einer Illustration davon, wie sich dutzendweise Veröffentlichungen mit »Erklärungen« für die Dunkle Energie stapelten. Schmidt zeigte auf Konferenzen eine Folie, auf der er schlicht die Titel von 47 theoretischen Ansätzen auflistete, die er aus den damals 2500 verfügbaren ausgewählt hatte, wobei er neben der reinen Anzahl die Namen für sich selbst sprechen ließ: »Fünfdimensionale Ricci-flache Rückprall-Kosmologie«, »Dunkle Energie aus diatomarem Geist-Kondensat«, »Pseudo-Nambu-Goldstone Bosonen-Quintessenz«. »Wir bitten Sie um Hilfe«, trug Schmidt Anfang 2007 vor Theoretikern vor. »Sagen Sie uns, was genau Sie benötigen, und wir beobachten es da draußen für Sie.«

Inzwischen hat sich die Frustration in eine Haltung verwandelt, die an Gleichgültigkeit grenzt. Heute sagt Suntzeff (der die Leitung des High-z-Teams schließlich aus persönlichen Gründen an Schmidt abgab), dass er die tägliche Flut von online erscheinenden Veröffentlichungen kaum eines Blickes würdigt. Richard Ellis aus dem SCP-Team konstatiert: »Es gibt endlos viele Theorien darüber, was Dunkle Energie sein könnte, aber ich neige dazu, ihnen nicht viel Glauben zu schenken.« Um zu erklären, was Dunkle Energie ist, müssen Theoretiker wissen, wie sie sich verhält. Verändert sie sich zum Beispiel im Verlauf von Raum und Zeit? »Für Fortschritte brauchen wir genauere Beobachtungen«, stellt Ellis fest.

Neue Strategien für verlässliche Aussagen

Tatsächlich stehen allmählich bessere Daten zur Verfügung. Die systematische Suche nach Supernovae vom Typ Ia füllt das Hubble-Diagramm mit immer mehr Datenpunkten, und diese tummeln sich innerhalb immer engerer Fehlerbalken. Das ist grundsätzlich erfreulich, es wäre jedoch nützlicher, wenn sich die Beobachtungen auch wirklich erklären ließen. Stattdessen erzwingen sie, dass man sich ständig vergewissert, überhaupt das Richtige zu messen. Wie vertrauenswürdig ist die scheinbare Einheitlichkeit überhaupt? Das hängt davon ab, wie zuverlässig die Annahmen sind, die den Daten und den Messungen der Entfernungen mittels Supernovae zu Grunde liegen.

»Meiner Meinung nach ist Wert dieser Methode im Lauf der Jahre etwas gesunken«, urteilt Ellis, der inzwischen am University College London lehrt. Beispielsweise hält er es für »fast sicher, dass es mehr als einen physikalischen Mechanismus gibt, durch den ein Weißer Zwerg in einem Doppelsternsystem explodieren kann«. Unterschiedliche Mechanismen könnten Daten bedingen, die – anders als zu Beginn der 1990er Jahre angenommen – eben nicht standardisierbar sind.

Ein zusätzliches Problem: Laut Analysen der chemischen Zusammensetzungen von Supernovae enthalten ältere Exemplare leichtere Elemente als solche, die erst in jüngerer Zeit entstanden sind. Das passt zu der Theorie, der zufolge nachfolgende Generationen explodierender Sterne zunehmend schwerere Elemente hervorbringen. »Daher ist die Annahme logisch, dass weniger weit entwickeltes Material, das tiefer in der Vergangenheit auf einen Weißen Zwerg getroffen ist, den Ablauf der Explosion verändern könnte«, sagt Ellis. Trotzdem seien Supernovae als Untersuchungsobjekte weiterhin sehr begehrt.

So suchen die Beteiligten beim Projekt Nearby Supernova Factory, das aus dem SCP hervorgegangen ist, nach »Zwillingen«: Anstatt alle Supernovae vom Typ Ia wie eine einheitliche Art zu behandeln, studieren sie die Eigenschaften des Lichts einzelner Exemplare. Dabei spüren sie Paaren nach, deren Helligkeit bei verschiedenen Wellenlängen im Lauf der Zeit ähnlichen Mustern folgt. Sobald die Teammitglieder übereinstimmende Supernovae gefunden haben, standardisieren sie sie anhand dieser Daten.

Von 2025 an sollen mit zwei neuen Einrichtungen in Chile umfangreiche Durchmusterungen tausender Supernovae am Südhimmel möglich werden. Zunächst wird das Vera C. Rubin Observatory mit einem 8,4 Meter großen Spiegel die Ereignisse aufspüren. Daraufhin kann ein 4MOST abgekürztes Teleskop (für 4-metre Multi-Object Spectrograph Telescope) die chemischen Bestandteile identifizieren. Mit solchen Informationen dürfte sich besser klären lassen, inwieweit Supernovae mit schwereren Elementen auf andere Weise explodieren.

Was Weltraumteleskope anbelangt, so werden zunächst weiterhin Supernovae aus den Hubble-Archiven untersucht. Riess rechnet außerdem damit, dass sich das James Webb Space Telescope (JWST) den Supernovae mit besonders großer Rotverschiebung zuwenden kann, sobald erst einmal mehr der primären Ziele der Raumfahrtmission erreicht sind. Viele hoffen außerdem auf das Nancy Grace Roman Space Telescope, das von 2027 an in Betrieb gehen könnte.

Wettbewerb der Herangehensweisen

Die Beobachtung von Supernovae ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, der Natur der Dunklen Energie nachzuspüren. Eine alternative Herangehensweise ist die Untersuchung so genannter baryonischer akustischer Oszillationen (BAO). Dabei handelt es sich um Dichtewellen, die im heißen und chaotischen frühen Universum durch die Wechselwirkungen zwischen Baryonen, anziehender Gravitation und abstoßendem Lichtdruck hervorgerufen wurden. Die so entstandenen Muster froren gewissermaßen ein, als sich der Kosmos hinreichend abgekühlt hatte. Sie prägten sich auch dem Mikrowellenhintergrund auf. Ähnlich wie Supernova-Standardkerzen eine Entfernungsskala bereitstellen, liefert das BAO-Standardlineal eine Längenskala für Abstände am Himmel. Man kann messen, wie weit diese Oszillationen im CMB auseinanderliegen und das damit vergleichen, wie sich die Dichteschwankungen über Raum und Zeit entwickelt und allmählich in der Struktur von Galaxienhaufen niedergeschlagen haben. Ellis, ein BAO-Experte, nennt die Methode »den wahrscheinlich saubersten Weg, um die Expansionsgeschichte des Universums nachzuvollziehen«.

Baryonische akustische Oszillationen | Dichtewellen aus dem frühen Universum haben sich unter anderem auf die heute beobachtbare Verteilung der Galaxien ausgewirkt.

Zwei große BAO-Messkampagnen sollen es ermöglichen, die kosmische Entwicklung bis in immer frühere Epochen des Universums zurückzuverfolgen. Das Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI) am Kitt Peak National Observatory in Arizona sammelt Spektren, das heißt in seine einzelnen Wellenlängen aufgeschlüsseltes Licht, von etwa 35 Millionen Galaxien, Quasaren und Sternen. Daraus lässt sich eine 3-D-Karte des Universums erstellen. Die Informationen reichen bis in eine Zeit zurück, in der das Universum etwa ein Viertel seines heutigen Alters hatte. Ein erster Datensatz zu knapp zwei Millionen Objekten wurde im Juni 2023 veröffentlicht.

Riesige Kamera | 74 CCD-Elemente fangen das Licht ferner Galaxien auf. Das Gerät ist auf dem Victor M. Blanco Telescope am Cerro Tololo Inter-American Observatory in Chile installiert.

Ein Prime Focus Spectrograph genanntes Instrument am Subaru-Teleskop auf dem Mauna Kea auf Hawaii wird von 2025 an die mit DESI gewonnenen Erkenntnisse ergänzen. Die Kollaboration, bei der Ellis eine leitende Funktion innehat, wird in noch größere Entfernungen blicken und auf der so gewonnenen Datenbasis eine eigene 3-D-Karte des Kosmos anfertigen. Die am 1. Juli 2023 gestartete europäische Raumsonde Euclid wird ebenfalls zum BAO-Katalog beisteuern. Euclid setzt außerdem auf eine weitere Methode zur Messung der Dunklen Energie jenseits von Supernovae: schwache Gravitationslinsen.

Ein Keil für den Kosmos | In der DESI-Fokusebene liegen zehn kuchenscheibenförmige Stücke mit jeweils 500 Glasfasern. Deren Enden werden automatisiert auf die Position einer bestimmten Galaxie ausgerichtet, um ihr Spektrum aufzunehmen.

Dieser recht neue Ansatz macht sich eine Auswirkung der allgemeinen Relativitätstheorie zu Nutze. Sehr massereiche Objekte wie Galaxien oder Galaxienhaufen krümmen den Weg des Lichts und können daher als eine Art Vergrößerungsglas für weiter entfernte Objekte dienen. Der Einfluss der Dunklen Energie wiederum wirkt dem Zusammenhalt der Galaxienhaufen entgegen. So können Veränderungen beim Gravitationslinseneffekt Aufschluss über die Konkurrenz zwischen anziehender Schwerkraft und abstoßender Dunkler Energie geben. Auch die Daten von Euclid sollten in den nächsten Jahren verfügbar werden.

Perlmutter betont, seit der Entdeckung der Beschleunigung hätten Kosmologen auf ein Experiment gehofft, das 20-mal präziser sei. »Jetzt haben wir endlich die Chance, im Lauf der kommenden fünf Jahre zu sehen, was passiert, wenn dieses Niveau erreicht ist.«

Im Dezember 1998 kürte die Fachzeitschrift »Science« die Dunkle Energie zum »Durchbruch des Jahres«. Seitdem haben die Pioniere des Felds zahlreiche Auszeichnungen erhalten, die 2011 in der Verleihung des Nobelpreises für Physik an Saul Perlmutter, Adam Riess und Brian Schmidt gipfelten. Die Dunkle Energie ist seither zu einem wesentlichen Bestandteil des kosmologischen Standardmodells geworden, zusammen mit der baryonischen Materie, der Dunklen Materie und der Inflation nach dem Urknall.

Wie immer in der Wissenschaft besteht die Möglichkeit, dass einige fundamentale Annahmen falsch sind

Und dennoch besteht – wie immer in der Wissenschaft – die Möglichkeit, dass einige fundamentale Annahmen falsch sind. Zum Beispiel könnte unser Verständnis der Schwerkraft unvollständig sein, wie manche Theoretiker vermuten. Das würde die Daten verzerren. In so einem Fall würden etwa die Ergebnisse der BAO-Messungen und der schwachen Gravitationslinsen voneinander abweichen. Dann müsste die Kosmologie ihre Grundkonzepte überarbeiten.

Aus wissenschaftlicher Sicht wäre so etwas nicht das Schlimmste. »Was Physiker zur Physik gebracht hat, ist normalerweise nicht der Wunsch zu verstehen, was wir bereits wissen«, äußerte Perlmutter vor einigen Jahren, »sondern die Hoffnung, das Universum bei einem bizarren Ausrutscher zu erwischen. Wir lieben es, dass unsere Intuition über die Welt trügerisch sein kann.« Auf dieses Zitat angesprochen, meint Perlmutter nun: »Ich bin sehr froh, das gesagt zu haben, denn es entspricht dem, was ich überall um mich herum beobachte.« Dennoch stellt er in Bezug auf Fortschritte (oder besser ihr Ausbleiben) fest: »Es zieht sich hin.« Und lacht. »Es ist schön, wenn Geheimnisse zu lüften sind, aber es wäre nett, wenn es dabei etwas rascher voranginge, sei es von der experimentellen oder der theoretischen Seite.«

Vielleicht hilft dabei die bevorstehende Datenflut. Herauszufinden, wie sich die Dunkle Energie mit dem Raum und der Zeit verändert, würde einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, das letzte Kapitel in der Geschichte des Universums zu schreiben. Bis dahin wird sich eine ganze Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich das zum Ziel gesetzt hat, mit einem bescheideneren Schlusssatz begnügen müssen: Fortsetzung folgt.

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