Direkt zum Inhalt

Festkörperchemie: Kristallstruktur-Vorhersage mit Optimum-Garantie

Es gibt zahllose Möglichkeiten, wie sich Atome und Ionen in einem Kristall anordnen können. Fachleute haben jetzt eine Kristallstruktur-Vorhersage entwickelt, die verspricht, die stabilste Anordnung zu finden.
Zirkon
In Kristallen wiederholen sich kleine Einheiten streng geordneter Atome, Ionen oder Moleküle.

Technischer Fortschritt ist ohne neue Materialien undenkbar, sei es für Elektronik, die Energiewende oder andere Anwendungen. Welche Eigenschaften ein Material besitzt, hängt dabei stark von seiner Struktur ab: Sie bestimmt etwa, ob es elektrischen Strom leitet, durchsichtig ist oder Wärme weitergibt. Könnte man allein durch Kenntnis der chemischen Zusammensetzung voraussagen, welche Struktur ein Material besitzt, wäre die Suche nach neuen Stoffen deutlich einfacher. Ein Team um Matthew Rosseinsky und Paul Spirakis von der University of Liverpool (UK) hat jetzt einen Weg vorgestellt, um anhand der chemischen Formel die Struktur kristalliner Stoffe vorherzusagen – mit der Garantie, dass die ermittelte Struktur die jeweils stabilste ist. Ihre Ergebnisse haben sie am 5. Juli 2023 in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlicht.

Kristalle sind streng geordnete feste Materialien. Das Muster, in dem die Bestandteile einer kristallinen Substanz angeordnet sind – das können Atome, Ionen oder gar Moleküle sein –, wiederholt sich periodisch in alle drei Raumrichtungen. Kennt man das Muster in der kleinsten sich wiederholenden Einheit, der so genannten Elementarzelle, so kennt man demnach die Struktur des gesamten Kristalls. Doch es gibt unzählige Möglichkeiten, wie sich Teilchen dort anordnen können. In chemischen Datenbanken sind bis heute mehr als 200 000 Kristallstrukturen hinterlegt.

Welches Muster die Teilchen in der Elementarzelle bilden, hängt davon ab, wie stark sie sich gegenseitig abstoßen und anziehen, also letztlich von ihrer Anzahl, Größe und Ladung. Damit sollte es theoretisch möglich sein, anhand der chemischen Zusammensetzung einer Verbindung auf dessen Kristallstruktur zu schließen: und zwar, indem man errechnet, bei welcher Verteilung die Anziehungs- und Abstoßungskräfte optimal sind, der Kristall demnach einen Zustand minimaler Energie erreicht. Es gibt dafür bereits Ansätze, doch bislang konnte keines der Modelle mit Sicherheit ausschließen, dass es neben dem gefundenen Energieminimum nicht eine noch günstigere Anordnung gibt.

Das Forschungsteam um Rosseinsky und Spirakis hat nun eine Methode entwickelt, die nach Angaben der Forscher garantiert, unter den möglichen Energieminima das jeweilige Optimum zu finden. Dazu gehen die Fachleute in zwei Schritten vor. Anstatt alle möglichen Energiewerte für alle Anordnungen zu suchen, ermitteln sie zunächst auf Grund der elektrostatischen Anziehung und Abstoßung die Energie für bestimmte Atomkonfigurationen. Diese Punkte dienen als Gitterpunkte in einer Art Koordinatensystem, in dem jedem Energiewert die dazugehörige Teilchenkonfiguration zugeordnet ist. So erhält man gewissermaßen eine »energetische Landkarte« mit Höhen und Tiefen.

Selbst bei sehr einfachen Verbindungen mit nur wenigen Atomen in der Elementarzelle existieren aber auch dann zu viele Möglichkeiten, um das Problem mit vertretbarem Aufwand zu lösen. Beim Erkunden der »energetischen Landkarte« berechnet der Algorithmus daher nach jeder mathematischen »Abzweigung«, wie wahrscheinlich es ist, dort eine sinnvolle Lösung zu finden – er ermittelt also, ob es sich lohnt, auf dem eingeschlagenen Pfad weiterzugehen. Ist das nicht der Fall, bricht der Algorithmus die Rechenoperation ab, und der gesamte Bereich, der hinter der mathematischen Abzweigung steckt, wird für die künftige Suche ausgeklammert. Sobald hingegen ein Bereich minimaler Energie gefunden ist, »zoomt« der Algorithmus in den mathematischen Bereich hinein und findet das lokale Optimum.

Um ihre Vorgehensweise zu testen, berechneten die Autoren die Strukturen verschiedener bekannter Kristalle, darunter die beiden sehr kompliziert aufgebauten Minerale Spinell (MgAl2O4) und Granat (Ca3Al2Si3O12). Die Spinellstruktur errechnete der Algorithmus in rund einer Stunde; um die Atompositionen in der Elementarzelle des Granats zu ermitteln, benötigte er nur eine Sekunde.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen
https://www.nature.com/articles/s41586–023–06071-y

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.