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Sonnensystem: Neptun legt die Grenzen fest

Anscheinend ist es leichter, riesige Planeten auf ihren Bahnen um weit entfernte Sterne zu entdecken, als das Aussehen und die Herkunft der kleineren Brocken in den äußeren Regionen unseres eigenen Sonnensystems zu bestimmen. Dabei hat der Mond seine dunklen Narben vermutlich den Vorläufern dieser so genannten Kuipergürtel-Objekte zu verdanken. Grund genug, die Brocken aus Eis und Gestein genauer im Auge zu behalten.
Wenn aus riesigen Mengen von Staub und Gas ein Stern mit Planetensystem entsteht, bleibt eine Menge Kleinkram übrig. Im komplizierten Zusammenspiel von Gravitation und Fliehkräften, Kollisionen und Umlaufbahnen bilden sich im zentralen Bereich steinige Planeten wie Merkur, Venus, Erde und Mars, in größeren Entfernungen hingegen Gasriesen, zu denen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun zählen. Material, das weder am Bau der einen noch der anderen Gruppe beteiligt ist, wächst selten zu Klumpen von mehr als hundert Kilometern Durchmesser heran und wird zunächst einmal zum Spielball der Schwerefelder seiner richtig großen Geschwister. Die meisten dieser Planetesimale genannten Brocken werden schon bald in die Tiefen des Weltalls geschleudert. Ein Teil von ihnen kann sich aber auf stabile Umlaufbahnen retten – in unserem Sonnensystem hatten die Asteroiden zwischen Mars und Jupiter dieses Glück und ebenso die erst 1992 entdeckten Objekte des Kuipergürtels, die ganz an den äußeren Grenzen ihre Bahnen ziehen.

Nach Schätzungen gibt es mehr als 10 000 Exemplare im Kuipergürtel, die über hundert Kilometer messen. Dennoch wissen Astronomen bislang recht wenig über sie, denn die Klumpen reflektieren das Sonnenlicht nur ganz schwach und sind selbst in großen Teleskopen nur mit viel Geduld auszumachen. John Stansberry von der University of Arizona und seine Kollegen werteten darum Daten des Spitzer Space Telescopes, die dreißig Kuipergürtel-Objekte im fernen Infrarotlicht zeigten [1]. Zu ihrem Erstaunen stellten sie fest, dass eines der Objekte mit der Bezeichnung 2002 AW197 statt der vermuteten vier Prozent ganze 18 Prozent des einfallenden Lichtes zurückwarf. Da die Wissenschaftler aus der Helligkeit auf die Größe schließen, musste 2002 AW197 folglich viel kleiner sein, als man bislang vermutet hatte. Statt 1500 Kilometer bringt er es lediglich auf 700 Kilometer. Somit ist er deutlich kleiner als der Miniplanet Pluto mit seinen knapp 2300 Kilometern, den manche Astronomen eher als großes Kuiper-Objekt ansehen. Mit dem neuen Größenvergleich dürfte Plutos Ehre vorläufig gerettet sein.

Weitgehend ungeklärt ist allerdings die Frage, wie die Objekte des Kuipergürtels auf ihre Umlaubahnen gekommen sind. Einige bewegen sich etwa in der gleichen Ebene wie die Planeten, andere auf stark gekippten Wegen, mal ist die Bahn lang gestreckt elliptisch, mal eher kreisrund. Eines ist jedoch allen gemeinsam: In einer Distanz von 50 astronomischen Einheiten zur Sonne – also der 50-fachen Entfernung zwischen Erde und Sonne – ist die äußerste Grenze erreicht. Jenseits dieser Marke kann sich kein Objekt auf einer Umlaufbahn halten. Eine zufrieden stellende Begründung suchten Wissenschaftler lange vergebens.

Nun scheinen sie mit einer neuen Theorie der Lösung beträchtlich näher gekommen zu sein [2]. Im Zentrum des Modells steht Neptun, der äußerste Gasriese im Sonnensystem. Jeder Körper, der sich dauerhaft einen Platz sichern möchte, muss sich mit der Schwerkraft dieses Planeten arrangieren – und umgekehrt beeinflussen die vielen Objekte ihrerseits die Bahn des Neptuns. Anfangs werden die Klumpen und Brocken noch relativ gleichmäßig und weiträumig verteilt gewesen sein. Bei Begegnungen mit Neptun wurden viele von ihnen auf schräge und lang gestreckte Bahnen umgelenkt. Besonders stabil waren hingegen Orbits mit doppelt oder 1,5-fach längeren Umlaufzeiten um die Sonne als der Planet. Hier kam es zu Resonanzen, die ursprünglich in Regionen möglich waren, die einen Abstand von 30 astronomischen Einheiten zur Sonne hatten. Als Neptun seine eigene Umlaufbahn langsam nach außen verschob, wanderte auch die Resonanzzone mit auf die 50-fache Distanz zwischen Erde und Sonne. Weil es während der Wanderung immer mal wieder zu kleineren Unregelmäßigkeiten kam, rutschten ständig Objekte aus den Resonanzbereichen hinaus und verteilten sich auf das Gebiet des heutigen Gürtels.

Die Geschichte der Kuipergürtel-Objekte spielt nicht nur an den Rändern des Sonnensystems eine Rolle, sondern hat vermutlich auch auf der Erde und vor allem dem Mond ihre Spuren hinterlassen. Bei den dunklen Flecken unseres Trabanten handelt es sich nach Ansicht vieler Astronomen um gewaltige Einschlagbecken, die etwa 700 Millionen Jahre nach Entstehung des Mondes von großen Vorläufern der Kuiper-Brocken geschlagen wurden. Sollte diese Hypothese zutreffen, würde sich sofort eine neue Frage ergeben: Da der Mond erst lange nach den Planeten geformt wurde, müssten die Kuiper-Vorgänger schon lange stabile Umlaufbahnen eingenommen haben. Es sei denn, der Neptun hätte seine Wanderung erst zu diesem späten Zeitpunkt begonnen. Aber was kann einen Gasriesen plötzlich veranlassen, seinen alten Orbit zu verschieben? Und kann das noch einmal geschehen? Die Evolution des Sonnensystems ist offenbar weiterhin voller ungelöster Rätsel.

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  • Quellen
[1] Annual Meeting of the American Astronomical Society (2004)
[2] Science 19.11.2004

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