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Thermodynamik: Neue Quanten-Kühltechnik eröffnet den Weg zu ultrakalten Temperaturen

Bisher brauchte man Kryostate oder Laserkühlung, um Teilchensysteme abzukühlen. Doch nun haben Forscher eine dritte Kühltechnik gefunden, die auf der Quantenmechanik beruht.
Ein Hintergrund mit Eiskristallen und einem darüber befindlichen Netzwerk
Wenn Systeme Energie mit ihrer Umgebung austauschen, gibt es offenbar eine Möglichkeit, sie noch stärker abzukühlen als mit bisherigen Methoden.

Alles steht still, nichts bewegt sich mehr: Es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben. So in etwa könnte man sich eine Welt bei -273,15 Grad Celsius vorstellen – eine Temperatur, die laut Thermodynamik niemals erreicht werden kann. Dennoch wetteifern Physikerinnen und Physiker darum, dem absoluten Temperaturnullpunkt möglichst nahezukommen, denn in diesen ultrakalten Bereichen tritt die quantenmechanische Natur der Teilchensysteme deutlich hervor. Der aktuelle Rekord liegt bei 38 Pikokelvin, also nur 38 Billionstel (10-12) Grad über dem Nullpunkt. Um das zu erreichen, griffen Fachleute bisher auf Laser und Magnetfelder zurück, um Atome abzubremsen und damit abzukühlen. Doch nun haben Forschende um Ju Li vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge eine völlig neue Kühlmethode entworfen, die Teilchen künftig noch weiter abkühlen könnte.

Wie sie in einer Arbeit berichten, die bald im Fachjournal »Physical Review Letters« erscheinen wird, ließe sich eine ungewöhnliche quantenmechanische Eigenschaft nutzen, um Teilchen schneller und stärker abzukühlen als bisher. Li und sein Team haben dafür so genannte nichthermitesche Systeme untersucht, also Quantensysteme, die nicht abgeschlossen sind und daher Energie mit ihrer Umgebung austauschen. Da die Energie in ihnen nicht erhalten ist, treten dort überraschende Phänomene auf: Unter anderem entstehen seltsame, ungleichmäßige Verteilungen der Teilchen.

Beim nichthermiteschen Skin-Effekt fällt zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen an einem Ende eines Stabs zu finden, extrem hoch aus, während die Wahrscheinlichkeit am anderen Ende beinahe null beträgt. Fachleute schenkten meistens dem hohen Peak ihre meiste Aufmerksamkeit, schreiben Li und seine Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeit, doch das Potenzial des anderen »unterdrückten« Endes wurde bisher kaum beachtet. Besonders interessant ist, dass sich dieser Skin-Effekt nicht nur auf echte Teilchen wie Elektronen übertragen lässt, sondern auch auf Anregungen, die sich bloß wie Teilchen verhalten, etwa wärmevermittelnde Schwingungen.

Das Team vom MIT berechnete daher, was passiert, wenn man den nichthermiteschen Skin-Effekt auf solche Schwingungen anwendet: Demnach würde sich die Wärme des Systems an einem Ende des Stabs sammeln, während das andere Ende rasch abgekühlt würde. Indem man diese Methode auf bereits – etwa durch Laser – gekühlte Systeme anwendet, hoffen die Forschenden, in Zukunft noch niedrigere Temperaturen in der Nähe des Temperaturnullpunkts zu erreichen.

Die Arbeit des Teams um Li ist bisher nur theoretischer Natur. Doch der Physiker Uroš Delić von der Universität Wien, der an der Arbeit beteiligt war, experimentiert bereits mit nichthermiteschen Systemen. Wie er in einem Artikel von »New Scientist« erklärt, versucht er aktuell, die neue Kühlmethode im Labor umzusetzen.

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