Direkt zum Inhalt

News: Schlauer als die Evolution erlaubt?

Es erinnert an das berühmten Problem von der Henne und dem Ei: Was war zuerst da? Das Antibiotikum oder die Resistenz?
Die Entdeckung des ersten Antibiotikums Penicillin vor rund 60 Jahren war zweifellos ein Segen für die Menschheit, doch der einstige Stern verblasst. Schuld daran sind resistente Bakterienstämme, bei denen viele der einstigen Wunderwaffen keine Wirkung mehr zeigen. Neue Erkenntnisse bringen gängige Theorien zur Entstehung und Verbreitung von Resistenzen durcheinander.

Als Wissenschaftler schon kurz nach Einführung der Antibiotika bereits erste Resistenzen beobachteten, fürchteten sie zunächst das Schlimmste: Sie dachten, sie selbst seien dafür verantwortlich, dass Bakterien gezielt Abwehrmechanismen gegen den Einsatz ihrer Antibiotika entwickelten. Dieser Verdacht widerspricht jedoch evolutionstheoretisch Überlegungen und dem Prinzip der natürlichen Selektion.

Demzufolge müssten sich Resistenzen schon vor der Anwendung eines Antibiotikums – durch zufällige Mutationen – entwickelt haben. Wird das entsprechende Mittel dann zum ersten Mal eingesetzt, verschafft es den davor gewappneten Bakterien allerdings einen entscheidenden Vorteil gegenüber ihren Artgenossen. Denn ein Antibiotikum selektioniert aus allen Bakterien die resistenten Keime, welche sich dann als als "Auserwählte" in ihrem durch das Medikament fast völlig entvölkerten Lebensraum optimal vermehren können.

Sobald aber Penicillin-resistente mit nicht-resistenten Bakterien zusammenkommen, lässt sich sehr bald feststellen, dass einige der ehemals anfälligen Keime die Resistenz erworben haben – und zwar deutlich schneller als es eine zufällige Mutation erlauben würde. Der Grund dafür sind kleine runde, hochmobile DNA-Stücke – Plasmide genannt –, auf denen viele der Resistenzgene liegen. Sie können von den Bakterien untereinander ausgetauscht werden, wodurch sich solche Abwehrmechanismen wesentlich schneller verbreiten können.

Auch wenn die Resistenzen schon in der Prä-Antibiotika-Ära entstanden sein müssten, hätte demnach erst der Einsatz dieser Medikamente dazu geführt, dass sie auf Plasmide übertragen wurden und sich ihre Mobilität dadurch wesentlich erhöht hat. Zumindest dafür sei der Mensch verantwortlich gewesen, erwiesen sich doch konservierte Proben von Bakterienstämmen vom Beginn des letzten Jahrhunderts in aller Regel als empfindlich gegenüber Antibiotika – ihre Plasmide trugen kaum Resistenzgene.

Doch möglicherweise muss auch diese Vorstellung aufgrund neuer Untersuchungen von Barry Hall und seinen Kollegen der University of Rochester wieder über Bord geworfen werden. Sie rekonstruierten die Entwicklung des Penicillin ausschaltenden OXA-Beta-Lactamase-Gens, indem sie dessen Gensequenz in verschiedenen Salmonella- und Staphylococcus-Stämmen verglichen. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass das Resistenzgen zu drei verschiedenen Zeitpunkten auf das Plasmid übertragen wurde.

Aus den Veränderungen der Gensequenzen, konnten die Wissenschaftler abschätzen, wann die Sprünge auf die Plasmide ungefähr stattgefunden hatten. Zu ihrer Verblüffung stellten Hall und seine Kollegen fest, dass zwei dieser Übertragungen schon vor Millionen von Jahren passiert sein müssen.

Der Einsatz moderner Antibiotika in den letzten 60 Jahren scheint also doch nicht für das Auftauchen von Resistenzen auf Plasmiden verantwortlich zu sein – die Resitenz war wohl zuerst da.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.