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News: Tunneleffekt nach Newton

Das Verhalten makroskopischer Objekte beschreibt man mit klassischer Mechanik, das mikroskopischer Teilchen mit der Quantenmechanik. Doch wie ist mit alldem zu verfahren, was dazwischen liegt? Quantenmechanisch lässt sich hier nur mühselig rechnen, und eine reine klassische Beschreibung gelingt meist nicht. Oder doch? Chemiker konnten nun ein Ensemble aus 900 Teilchen allein mit klassischer Mechanik vollständig beschreiben, ohne dass ein Quantenphänomen wie der Tunneleffekt verloren ging.
Vieles aus unserer Alltagswelt, wie die Fahrt mit dem Drahtesel oder das abendliche Billardspiel, lässt sich allein mit den Gesetzen der klassischen Mechanik erklären, wie sie Isaac Newton bereits im 17. Jahrhundert formulierte. Betritt man den Mikrokosmos, so bedarf es hingegen der Quantenmechanik, um Licht ins Dunkel zu bringen. Doch die Grenzen zwischen Mikro- und Makrokosmos sind fließend und für komplexere Systeme eignet sich die Quantenmechanik oftmals nicht mehr. Warum also nicht eine klassische Beschreibung wählen?

Das dachten sich wohl auch die Chemiker Arnaldo Donoso und Craig Martens von der University of California in Irvine. "Chemie spielt sich im Grenzgebiet zwischen Quantenmechanik und klassischer Mechanik ab", erklärt Martens. So treffen Chemiker häufig auf Systeme, die zu groß sind, um sie quantenmechanisch zu beschreiten, aber auch zu klein um sie rein klassisch zu behandeln. Um das Problem zu umgehen, rechnen Wissenschaftler deshalb häufig mit klassischen Näherungen der Quantenmechanik. Das hat jedoch den Nachteil, dass die Genauigkeit leidet, vor allem aber auch manche quantenmechanischen Effekte verloren gehen.

Eine neue Methode von Donoso und Martens könnte nun beides bieten: einfachere Gleichungen und simulierbare Quanteneffekte. Die Forscher konnten nämlich den Tunneleffekt bei 900 klassisch modellierten Teilchen beobachten – ein bizarres Phänomen, dass eigentlich erst durch die Gesetze der Quantenmechanik möglich wird. Denn Murmeln, die in einer Schale hin und her rollen, brauchen beispielsweise genug Schwung, um über den Rand des Gefäßes zu springen. In der Quantenmechanik betrachtet man die Murmeln nun nicht mehr als Teilchen, sondern weist ihnen eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit zu. Damit ergibt sich dann aber auch, dass sich die Murmeln, abhängig von ihrer Energie, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit jenseits der Schalenwand aufhalten dürfen – sie also getunnelt sind.

Dieses quantenmechanische Phänomen konnten die Forscher nun auch bei den klassisch behandelten Teilchen feststellen, dazu mussten sie den Gleichungen nur einen Term hinzufügen, der die Wechselwirkung der Teilchen beschreibt. Auch wenn die Energie der Teilchen im Mittel nicht dazu reichte, die "Schüsselwand" zu erklimmen, so sorgten die Stöße immerhin dafür, dass wenigstens ein kleine Zahl der Teilchen genug Bewegungsenergie erhielten, um das Hindernis zu überwinden. Und es stellte sich tatsächlich heraus, dass der Prozentsatz der entkommenen Teilchen sehr gut der Tunnelwahrscheinlichkeit in einer quantenmechanischen Rechnung entsprach.

"Der Tunneleffekt ist ein wichtiger Bestandteil vieler chemischer Reaktionen", äußert sich William Reinhardt von der University of Washington in Seattle. So könnte diese Methode in vielen Fällen wesentlich genauere Ergebnisse liefern, als es bisher möglich ist. Doch noch ist Vorsicht geboten, mahnt John Tully von der Yale University, denn die Frage ist, ob die Methode auch dann funktioniert, wenn quantenmechanische Rechnungen hoffnungslos sind.

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