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Vulkan auf Island: Steht ein Ausbruch unmittelbar bevor?

Unter der Ortschaft Grindavík fließt Magma schneller als bei früheren Ausbrüchen. Fachleute ordnen ein, was die sich anbahnende Eruption für die Region bedeuten könnte.
Risse im Boden
Ein Bagger beseitigt die Spuren der Senkung, die der unterirdische Magmafluss hinterlassen hat. Experten befürchten, dass ein Ausbruch die Siedlung Grindavík bedrohen könnte. Doch sicher ist das nicht.

In Island ist man die Nachbarschaft von Vulkanen eigentlich gewöhnt, doch nun herrscht seit Wochen angespanntes Warten auf einen sich ankündigenden Vulkanausbruch. Schauplatz ist der Südwesten des Landes. Dort könnten unterirdische Magmaströme jederzeit die Oberfläche durchbrechen und sich über die Landschaft ergießen. Gefährdet ist insbesondere die Küstengemeinde Grindavík, in der mehr als 3000 Menschen leben, sowie ein nahe gelegenes Geothermiekraftwerk. Es versorgt Zehntausende von Häusern mit Energie.

Mit einer engmaschigen Überwachung der geologischen Vorgänge versuchen Fachleute nun die Behörden so gut es geht auf das Bevorstehende vorzubereiten. »Es liegt so nah an einem bewohnten Gebiet«, sagt Evgenia Ilyinskaya, Vulkanologin an der University of Leeds. »Ich fühle mit allen mit, die dort leben.«

Unabhängig davon, wann das Magma bei Grindavík an die Oberfläche treten wird – und ob überhaupt: Viele Experten sind überzeugt, dass der ganzen Halbinsel Reykjanes, auf der die Siedlung liegt, eine Phase vulkanischer Aktivität bevorsteht. Sie könnte Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte andauern. In den letzten drei Jahren gab es bereits drei kleinere Ausbrüche. Das letzte Mal war dieser Teil der Insel zwischen den Jahren 800 und 1240 vulkanisch aktiv. Damals floss die Lava dorthin, wo sich heute Vororte der Inselhauptstadt Reykjavík befinden.

Die jüngsten Aktivitäten begannen am 25. Oktober. Tausende kleiner Erdbeben traten nördlich von Grindavík auf. In den folgenden Tagen zeigten GPS- und Satellitenradarmessungen, dass sich Teile des Bodens um ganze sieben Zentimeter angehoben hatten. Vulkanologen vom Isländischen Wetterdienst in Reykjavík und andere Fachleute ermittelten, dass geschmolzenes Gestein in einen 15 Kilometer langen unterirdischen Gang eingedrungen war. Diese fachlich als Dike bezeichnete Struktur liegt weniger als fünf Kilometer unter der Oberfläche.

Risse durch die Landschaft

Seitdem haben neue Erdbeben das Gebiet erschüttert. Risse verlaufen quer durch Straßen um Grindavík, weil das dahinfließende Magma in der Tiefe den Boden absacken lässt. Am 10. November führte ein weiterer Erdbebenschwarm dazu, dass die Behörden von einem unmittelbar bevorstehenden Ausbruch ausgingen. Die Evakuierung der Ortschaft wurde angeordnet, Arbeiter errichten Erdwälle um das nahe gelegene Kraftwerk, in der Hoffnung, eventuelle Lavaströme umzuleiten. Die berühmte Blaue Lagune wurde geschlossen. Das Thermalbad verdankt sein dauerhaft warmes Badewasser dem Vulkanismus im Untergrund, nun kann eine der größten Touristenattraktionen Islands mindestens bis Ende November keine Gäste mehr empfangen.

Am 20. November teilte der Isländische Wetterdienst mit, dass der Boden im Bereich um das Kraftwerk weiterhin schnell ansteigt, da sich Magma darunter ansammelt.

Seit Jahren rumort es nun schon unter der Halbinsel Reykjanes. Doch nie war die Lage so brisant wie in den vergangenen Wochen. Gefährlich wird es durch die Nähe zu bewohnten Gebieten. Die drei jüngsten Ausbrüche – in den Jahren 2021, 2022 und Juli 2023 – ließen Lava noch in unbewohnte Täler etwa zehn Kilometer östlich der aktuellen Aktivität fließen. Nun liegt der Dike direkt unter der Ortschaft. »Der Unterschied ist, dass der Dike größer ist und alles viel schneller passiert«, sagt Freysteinn Sigmundsson, Vulkanologe an der Universität von Island in Reykjavík.

Das Magma sammele sich bereits seit Januar 2020 unter der Halbinsel, sagt Andy Hooper, Geophysiker an der University of Leeds. In drei getrennten Kanälen sei es dann zur Oberfläche vorgedrungen und habe die drei Eruptionen ausgelöst. Nun aber steige das Magma mit höherer Geschwindigkeit auf als die Male zuvor, erklärt Hooper: »Das bedeutet, wenn es ausbricht, wird die Effusionsrate wahrscheinlich höher sein.« Die Effusionsrate ist die Geschwindigkeit, mit der Magma an die Oberfläche tritt und zu Lava wird.

Noch ist aber nicht sicher, ob es tatsächlich zum befürchteten großen Ausbruch kommt. Auch im Dezember 2021 stieg Magma in einem Dike unter Reykjanes auf, brach aber nicht an die Oberfläche durch.

Island ist vulkanisch aktiv, weil die Insel auf einem Schlot aufsteigenden Magmas sitzt, einem Plume, der Material aus dem tiefen Inneren der Erde nach oben befördert. Hinzu kommt seine Lage an der Grenze zwischen den tektonischen Platten Nordamerikas und Eurasiens. Wenn diese sich auseinanderbewegen, gelangt ebenfalls Gestein an die Oberfläche.

Blaue Lagune am Kraftwerk | Das natürliche Thermalbad lädt auch im isländischen Winter zum Baden ein. Der Vulkanismus, der es aufheizt, könnte nun zu einer Gefahr für sein Fortbestehen werden.

Nicht so verheerend wie der Eyjafjallajökull

Ein Ausbruch im Grindavík-Gebiet wäre vermutlich nicht so verheerend wie der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010, der Asche im europäischen Luftraum verteilte und den Flugverkehr tagelang lahmlegte. Das Magma unter der Halbinsel Reykjanes ist relativ dünnflüssig, dadurch können Gasblasen entweichen, bevor sie sich zu einer explosiven Mischung anreichern. Dass die Aktivität nicht unter Gletschereis stattfindet, verringert ebenfalls die Wahrscheinlichkeit einer Explosion.

Isländische Vulkanologen überwachen mit einer Vielzahl von Instrumenten, wie der Boden auf den Magmafluss reagiert. Mit einer umfunktionierten Glasfaserleitung können sie beispielsweise Erdbeben in Echtzeit erkennen. Und Gassensoren, die der Wetterdienst betreibt, sollen anschlagen, wenn Schwefeldioxid und andere Gase aus dem flüssigen Gestein aufsteigen.

Vulkanische Gase untersucht auch Hoppers Kollegin Laura Wainmann. Gemeinsam mit dem Isländischen Wetterdienst und anderen Forschern hat sie jetzt Proben in einem zwei Kilometer tiefen Bohrloch des Geothermiekraftwerks entnommen. Die Bohrung biete die seltene Gelegenheit, Proben zu ziehen, die vermutlich direkt aus tiefem Magma stammen, erzählt Wainmann. Normalerweise komme man nur an Magma, das bereits an die Oberfläche gelangt ist, wo sich seine chemische Zusammensetzung schnell ändert. Untersuchungen an den drei jüngsten Ausbrüchen zeigen, dass ihr Material aus Tiefen von bis zu 20 Kilometern stammen dürfte.

Lavaflussmodelle verraten den isländischen Fachleuten, wie sich Lava nach einem Ausbruch über die Landschaft bewegt. Wie lange sie heiß bleibt, hängt beispielsweise davon ab, ob sie flächig austritt oder sich in engen Kanälen bewegt. Mit diesen Informationen können die Behörden bestimmen, wo sie Barrieren errichten lassen müssen.

Aber niemand kam zum aktuellen Zeitpunkt sagen, ob es wirklich zur Eruption kommt und wann. Auch eine Entspannung kann trügerisch sein. Bei beiden Ausbrüchen 2021 und 2022 ging die Anzahl der Erdbeben und das Ausmaß der Bodenverformung in den Tagen davor zurück. Ein Großteil des tektonischen Drucks hatte sich offenbar bereits abgebaut. Damit fehlten allerdings die Anzeichen, die die Eruption ankündigten. Ähnliches sei 2021 am Vulkan Nyiragongo in der Demokratischen Republik Kongo verlaufen, sagt Freysteinn Sigmundsson. Und dann habe sich praktisch ohne Vorwarnung ein Spalt geöffnet und Lavaströme in die Stadt Goma geschickt. Dutzende Menschen starben, hunderttausende wurden von Grund und Boden vertrieben.

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