Umweltschutzpolitik: Wal-Management
Vom 19. bis zum 22. Juli sitzen sie zusammen: Die Vertragsstaaten der Internationalen Walfangkommission (IWC) tagen im italienischen Sorrento, und - wie jedes Jahr - treffen Walschutz- und Walfangländer aufeinander, um über Situation und Zukunft der Walbestände zu debattieren. Ausgeklügelte Fangquoten sollen möglicherweise zwischen den Positionen vermitteln - aber ist das Risiko eines Kompromisses tatsächlich kalkulierbar?
Angesichts solcher Szenarien fällt es schwer, auf eine sachliche Ebene zurückzufinden – Walfang ist und bleibt ein emotionsgeladenes Thema. Doch auch ganz nüchtern betrachtet, wirft das vom Wissenschaftsausschuss der Internationalen Walfangkommission entwickelte, seit Jahren diskutierte und bei der diesjährigen 56. Jahrestagung für Walbestände vorgeschlagene Bewirtschaftungsverfahren einige grundsätzliche Fragen auf.
Berechenbare Zukunft?
Der Begriff "Bewirtschaftungsverfahren" oder englisch Revised Management Scheme, kurz RMS genannt, klingt nach einer reichlich durchdachten Strategie, die Walbestände weltweit nachhaltig zu nutzen. Seit Mitte der 1990er Jahre von der IWC diskutiert, beruht es auf der Annahme, dass Walschutz und Walfang vereinbar sind und zusammen eine nachhaltige Nutzung der Meeressäuger ermöglichen – vorausgesetzt, die Fangquoten werden mit Bedacht festgelegt und gründlich überwacht. Um diese zu ermitteln, haben Wissenschaftler in den letzten acht Jahren ein kompliziertes mathematisches Modell ausgetüftelt, genannt Revised Management Procedure oder RMP. Gefüttert wird es mit Daten zu aktuellen Bestandsgrößen, historischen Fangzahlen, dem jährlichen Bestandszuwachs und mit einer Reihe von Hypothesen und Regeln, um Schwächen im Datenmaterial und andere Unsicherheitsfaktoren einzukalkulieren. Aus diesem Datenknäuel berechnet das Modell, wie groß ein Bestand ursprünglich einmal war, und legt Fangquoten fest, die sich auf einzelne geografische Areale beziehen und bestimmen, wie viele Individuen in einem solchen Managementgebiet gefahrlos bejagt werden können.
Ist das Modell überhaupt umsetzbar?
Zwar sei das Rechenmodell wissenschaftlich anerkannt und zähle im Bereich des Naturschutzes zu den am weitesten entwickelten und strengsten, meint Nicolas Entrup von der Whale and Dolphin Conservation Society. Man dürfe allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass es lediglich auf Annahmen beruhe. Darüber hinaus stelle sich die grundlegende Frage: "Ist das Modell überhaupt umsetzbar und wie kann man sicherstellen, dass es zu keinen Verstößen kommt?" Ebenso wie das stark am Walschutz interessierte Australien, das die Diskussion um das Revised Management Scheme ablehnt und sich öffentlich gegen die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs ausspricht, sieht Entrup in der Absicht, mit Hilfe des RMS zwischen den Fronten zu vermitteln, eine ernsthafte Gefahr für die Meeressäuger.
Einen Knackpunkt stellt bereits die Datenerfassung dar: Tiere, die die meiste Zeit ihres Lebens unter der Wasseroberfläche verbringen, sind schwer zu studieren – und schwer zu zählen. Die von den Wissenschaftlern der einzelnen Mitgliedsstaaten an den Wissenschaftsausschuss herangetragenen Daten zu aktuellen Bestandsgrößen stehen teilweise als Schätzwerte im Raum, die um bis zu hundert Prozent variieren. Wenig anders verhält es sich mit den Zahlen zu den ursprünglichen Bestandsgrößen. Es sind mathematische Hochrechnungen auf deren Grundlage anschließend Fangquoten berechnet werden, ausgehend von Zahlenmaterial, das nicht selten aus nur einer Quelle stammt. Wie objektiv diese Zählungen vorgenommen worden waren, bleibt in vielen Fällen unklar.
Seiner Meinung nach sollten vielmehr einzelne Populationen, also Gruppen von Individuen derselben Art, im Zentrum des Interesses stehen. Unter diesem Gesichtspunkt scheint ein kontrollierter Walfang einmal mehr nicht realisierbar. Zu wenig ist über die Meeressäuger bekannt – im Falle des Brydewales, einer Bartenwalart der tropischen und subtropischen Meere, diskutieren Wissenschaftler beispielsweise, ob es sich dabei tatsächlich nur um eine oder vielleicht doch um mehrere Arten handeln könnte. Auf einer solch wackligen Basis Fangquoten zu bestimmen, erscheint zumindest sehr risikoreich. Zudem ist fraglich, ob jeder Walfänger tatsächlich in der Lage ist, Arten zuverlässig voneinander zu unterscheiden.
Und wer kann schon mit Sicherheit behaupten, der Fang einzelner Tiere bleibe ohne negative Folgen für den Rest der Population? Hal Whitehead und sein Kollege Luke Rendell von der Dalhousie-Universität in Halifax untersuchten das Sozialverhalten einiger Walarten, darunter das des Buckelwals, und kamen zu dem Schluss, dass Wale Informationen nicht nur über Gene, sondern auch durch soziales Lernen weitergeben – werden diese Strukturen zerstört, kann sich das möglicherweise durchaus kritisch auswirken.
Theorie und Praxis liegen weit auseinander
Kann also im Grunde jeder machen, was er will? Es sieht beinahe so aus, verfügt die IWC doch über keinerlei Vollzugsmechanismen: Im Gegensatz zum Washingtoner Artenschutzabkommen gibt es keine institutionalisierten Gremien, die Verstöße mit entsprechenden Sanktionen ahnden. Anstatt das kommerzielle Walfangverbot Schritt für Schritt aufzuweichen, wäre es deshalb sehr viel wichtiger, die "Konvention mit Zähnen auszustatten", damit sie ihre Bestimmungen auch einfordern könne, meint Entrup. Zumal der Risikofaktor Walfang noch am ehesten von den Meeressäugern ferngehalten werden könne – sehr viel leichter als Bedrohungen wie Lärmverschmutzung oder globaler Klimawandel, mit denen die Tiere ohnehin schon genug zu kämpfen haben.
Schreiben Sie uns!