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Mikrobiom: Zur Ehrenrettung des Kusses

80 Millionen Bakterien sollen bei einem einzigen Kuss den Besitzer wechseln - eine niederländische Kuss-Studie spaltet mit dieser Erkenntnis die Gemüter. Der eine mag sich spontan den Morgenkuss an den Partner verkniffen haben, der andere hatte es schon immer geahnt: Küssen ist eigentlich unhygienisch. Oder doch nicht?
Zärtlicher Kuss

Dass der Austausch von Zärtlichkeiten auch den Austausch von Bakterien beinhaltet, dürfte den meisten Menschen klar gewesen sein. Dass wir aber bei jedem Kuss gleich mehrere Millionen Kleinstlebewesen auf die Reise schicken, klingt dann doch schockierend: 80 Millionen sollen es laut einer Studie der Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO) pro Kuss sein. Aber ist die Zahl wirklich so groß? Das kommt stark auf den Vergleich an, stellt Remco Kort, einer der Autoren der neuen Kuss-Studie, fest. "Wir haben unheimlich viele Bakterien in unserem Mund. Auf einen Quadratzentimeter Zunge kommen etwa eine Milliarde Bakterien, da ist die Zahl der pro Kuss ausgetauschten Mikroben im Vergleich eigentlich sehr klein", erklärt er. Wer dem Partner einen ordentlichen Schmatzer verpasst, muss also nicht befürchten, gleich die Hälfte seiner Mundflora ausgetauscht zu haben.

Kuss für die Wissenschaft

Bei Paaren, die sich häufig küssen, spielt außerdem ein anderer Faktor mit in die Rechnung. Pärchen teilen offenbar nicht nur Wohnung, Vorlieben oder Hobbys, sondern auch die Zusammensetzung der Bakterien in ihrem Mund. Das musste auch das Team um Remco Kort feststellen, als sie 21 Paare im Amsterdamer Zoo zum Kuss baten. Eine anschließende Untersuchung von Speichelproben und Wangenabstrichen sollte die Auswirkung eines Kusses auf unsere Mundflora zeigen. Besonders ähnlich waren sich die Proben von Paaren, die sich im Schnitt mindestens neunmal am Tag küssten. Das stellte die Forscher vor eine Herausforderung, denn wo von vornherein gleiche Bedingungen herrschen, kann man auch keinen Unterschied messen. Den benötigt man aber, um zu ermitteln, wie viele "neue" Bakterien durch einen Kuss in den Mund des Partners gelangen.

Die niederländischen Forscher griffen daher zu einem Trick: Eine der beiden Turteltauben musste einen Jogurt-Drink mit probiotischen Bakterien trinken und durfte erst dann den Partner küssen. Die Forscher konnten anschließend mittels Speichelanalysen ermitteln, wie viele der "fremden" Jogurt-Bakterien in den Mund des Partners gewandert waren. Der Testdrink enthielt eine Milliarde Bakterien pro Milliliter. Verglichen damit sind die 80 Millionen ausgetauschten Bakterien fast nichts: Insgesamt erreichten nur 0,16 Prozent der Bakterien aus dem probiotischen Getränk den Mund des Partners.

Auch der Vergleich mit unserer Umwelt lässt den Kuss-Skandal schrumpfen. So leben allein auf einem Quadratzentimeter unserer Haut rund zehn Millionen Bakterien. Verglichen mit einem ordentlichen Händedruck scheint ein Begrüßungskuss mit Zunge fast hygienischer. Auch ist Speichel bei Weitem nicht die einzige Flüssigkeit, in der wir mit Bakterien rechnen dürfen. In Meerwasser beispielsweise können pro Milliliter eine Million Bakterien enthalten sein. Da kommt uns ein Kuss also ganz schnell wieder rein und unschuldig vor.

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  • Quellen
PNAS 2008, 10.1073/pnas.0807920105 Microbiome, 2014,10.1186/2049–2618–2-41, http://scienceblogs.de/weitergen/2010/06/fotos-von-der-kaust-und-marine-mikrobielle-okosysteme/

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