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Astronomie von Alpha bis Omega

Woran es auch immer liegen mag, die Angelsachsen publizieren seit Jahrzehnten zumeist anschaulichere Lehrbücher als ihre deutschsprachigen Kollegen. Ein eindrucksvoller Beleg hierfür ist das jüngst in der sechsten Auflage erschienene und für amerikanische Studenten der Astronomie geschriebene Opus "Astronomy – A cosmic Perspective". Die fünfte, aktualisierte Auflage dieses Buchs liegt nun in deutscher Fassung vor, herausgegeben von Harald Lesch, der in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe schreibt: "Das Buch, das Sie vor sich liegen haben, ist eine Einmaligkeit, es präsentiert eine im deutschen Sprachraum bis heute noch nie in dieser Breite vorgenommene Synthese von Astronomie, Physik, Mathematik und Geschichte."

In der Tat, dieser Huldigung ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Allein die rund dreieinhalb Kilogramm, die dieses Werk auf die Waage bringt, bieten einen leisen Vorgeschmack auf die Einzigartigkeit dessen, was auf rund 1150 durchweg anschaulich gestalteten Seiten geboten wird. Verwundert mag sich der Leser beim ersten Durchblättern die Augen reiben und fragen: "Astronomie in einem Buch – und das im Jahre 2010, da die astrophysikalischen Erkenntnisse inflationäre Ausmaße erreicht haben – geht das?"

Schnell fällt der ausgeprägt systematische Aufbau der "kosmischen Perspektive" ins Auge. Die glasklare Struktur zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk. Das beginnt mit zwei Inhaltsverzeichnissen, einem kurzen, einseitigen, und einem ausführlichen, das 14 Seiten umfasst. Der Leser soll sich stets zurechtfinden – dieser Maxime folgen sämtliche der 28 großen Kapitel.

Die reich illustrierten Texte sind aufgelockert durch verschiedene Kästen ("Zum Nachdenken", "Häufige Irrtümer", "Mathematische Einblicke"). Abgeschlossen sind die Kapitel durch jeweils zwei unterschiedlich umfangreiche Zusammenfassungen sowie Aufgaben und Übungen. Dieser Teil fächert sich wiederum auf in Erinnerungs-, Verständnis-, Vertiefungsfragen, Fragen zur Wissenschaftlichen Methodik und Quantitative Fragen. Bestens geeignet zum schnellen Check des eigenen Verständnisses eignen sich Fragen der Rubrik "Schnellquiz". Dieses Werk ist ein wunderbar gelungenes Lehrbuch, das den Leser auf seiner eigenen Reise durch astrophysikalischen Wissensstoff anhand didaktisch durchdachter Mittel begleitet.

Aber das ist längst nicht alles! Denn dieses Buch ist eine Art Mikrokosmos und bietet Überraschungen an jedem Winkel. Eine Inhaltsangabe würde den Rahmen einer Rezension sprengen. "Der Bennett" deckt sämtliche Themen der Astronomie ab. 28 Kapitel (vier Exkurse inklusive) beginnen stets bei den Grundlagen, und spannen einen gewaltigen Bogen. Dieser beginnt bei der klassischen Himmelsmechanik, beschreibt unsere Stellung im Universum, führt in die moderne Kosmologie ein, und endet bei den großen Rätseln der Astrophysik. Das abschließende Kapitel behandelt die Frage nach Leben im Universum, und gipfelt in einer philosophischen Betrachtung eines in der fernen Zukunft möglichen Rückblicks menschlicher Zivilisationen auf die Welt im 21. Jahrhundert.

Vielleicht werden viele astrophysikalische Fragen dereinst zu klären sein, deren Antworten sich – mit unserem Weltbild des Jahres 2010 betrachtet – noch in Büchern mit sieben Siegeln verbergen. Diese Überlegung soll exemplarisch genannt sein für die Ausgewogenheit aller Texte: Selbst hier nicht, und auch in keinem anderen Fall, bewegen sich die vier Autoren über Glatteis und verzichten stets auf vage Vermutungen oder Spekulationen ohne wissenschaftliche Basis.

Die vier zwischengeschalteten Kapitel mit grundlegenden Inhalten behandeln unter anderem das Thema "Zeitmessung" oder leisten eine besonders gut fassbare Einführung in die spezielle Relativitätstheorie. Auch diese getrennte Darstellung von Grundlagen und darauf aufbauenden Inhalten ist didaktisch sauber, und hilft dem Leser beim Verständnis sehr. Das Buch ist auch deshalb ein ausnehmend gelungenes Werk, weil sich die Art der Darstellung vieler origineller Ideen bedient. Eines dieser sinnvollen – und gut umgesetzten – Details sind kleine Piktogramme, die sich über vielen Abbildungen im Buch finden, und die Auskunft über jenen Wellenlängenbereich geben, in dem sie aufgenommen wurden. Zudem verraten die Piktogramme, ob die Aufnahmen mit bodengebundenen Instrumenten oder mit Satelliten gewonnen wurden. Dem Betrachter erschließen sich so ohne Umschweife jene Informationen, die zum Verständnis und zur Interpretation der Aufnahmen notwendig sind.

Das E-Learning wird derzeit von vielen Verlagen als wichtiges Betätigungsfeld erkannt, auf dem sich Buchinhalte hervorragend erweitern und ergänzen lassen. Wer das Buch kauft, erhält ein exklusives Passwort, und kann damit auf die Internet-Plattform "Mastering- Astronomy" zugreifen. Auf dieser umfangreichen Website finden sich unter anderem Aufgaben zum vertiefenden Selbststudium, deren Lösung stets Knobelarbeit und häufig einen Taschenrechner erfordert.

Zu den vielen Überraschungen, die dieses Buch bietet, zählen auch die vier im Anhang befindlichen, auf schwerem Papier gedruckten Sternkarten mit nachtleuchtenden Sternen. Eine der Zugaben verdient besondere Erwähnung: Die dem Buch beigelegte Planetariums-Software SkyGazer der amerikanischen Firma Carina Software, die ganz auf benutzerfreundliche Astronomie-Programme spezialisiert ist. Zwei Softwarepakete ergänzen einander, nämlich ein Planetariumsprogramm sowie ein Bündel verschiedener Tutorien und Demonstrationen.

Obwohl an diesem Werk mehrere Autoren – über mehrere Jahre! – gearbeitet haben, ist es wie aus einem Guss, und marginalisiert schon damit viele ähnliche Astronomiebücher. Zudem fällt die Aktualität sämtlicher Ausführungen positiv auf. Auch das ist – mit Blick auf manche jüngere deutschsprachige Publikation – nicht selbstverständlich, wird doch sicher viel Mühe allein für die präzise Übersetzung dieses mächtigen Opus vonnöten gewesen sein. Wenn dieses Buch überhaupt einen Haken erkennen lässt, dann nur mit einem schmunzelnden Auge: Aufgrund seines hohen Gewichts eignet es sich weniger zur Gute-Nacht-Lektüre als zur reinen Tisch-Lektüre.

Wenngleich dieses Buch ursprünglich für Studierende an US-amerikanischen Colleges konzipiert ist – an einigen Colleges kann Astronomie als eigenständige Disziplin belegt werden, ohne gleichzeitig für Physik oder Mathematik eingeschrieben zu sein –, und den Stoff erstaunlich "mathematikfrei" präsentiert, so dürfte es sich auch für Studierende der Astrophysik hierzulande eignen, die einen Einstieg mit Tiefgang suchen. Auch all Jene, die an Astronomie einfach nur interessiert sind, und keine Examensprüfungen mehr vor sich haben, dürften diesen allumfassenden und stets leicht verständlichen Astronomiewälzer schätzen.

Um die eingangs gestellte Frage, ob Astronomie in ein einziges Buch "passen" kann, zu beantworten: Ja, es funktioniert – und wie! Wer astronomische Sachverhalte von Grund auf "verstehen" möchte, ohne sich in mathematischem Formelwerk zu verheddern, dem wird dieses besondere Buch lange Zeit als Wissensfundus dienen. Dem Herausgeber der deutschen Ausgabe, Harald Lesch, gebührt ein großer Dank, dieses Buch auf deutsche Schreibtische gewuchtet zu haben. Ach ja, ein zweiter "Haken" soll nicht unerwähnt bleiben. Das Werk birgt ein hohes Gefahrenpotenzial: Der Leser will partout nicht mehr von ihm ablassen, weil er an jeder Ecke Gefahr läuft, sich unentrinnbar festzulesen.

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 6/2010

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