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»Achtung, Hormone«: Das faszinierende Orchester der molekularen Signale

Max Nieuwdorp zeigt eindrücklich: Ohne das fein abgestimmte Zusammenwirken von Botenstoffen im Körper würde nichts funktionieren – unser Leben wäre nicht möglich.
Insulinmolekül

Hormone bestimmen alle Funktionen des Körpers; das Zusammenspiel der Botenstoffe ist essenziell in jeder Phase unseres Lebens. Daran angelehnt ist das Buch des Endokrinologen Max Nieuwdorp auch in Kapitel geteilt, die den Lebensabschnitten des Menschen entsprechen. Am Anfang steht die Befruchtung, bei der Hormone die Begegnung zwischen Ei- und Samenzelle erst ermöglichen. Es folgen Lebensphasen, die gemeinhin mit Hormonen assoziiert werden, wie die Pubertät oder die Menopause. Unter den zehn Kapiteln befinden sich aber auch überraschende Themen wie die Verbindung zwischen Verdauung und Gehirn über Hormone, auch Darm-Hirn-Achse genannt.

Auf 382 Seiten schreibt Nieuwdorp immer wieder über Beispiele aus der Praxis oder persönliche Erfahrungen, was die Erklärungen für den Leser noch greifbarer macht. Einschübe zu bestimmten Themen wie beispielsweise Endorphinen und Exorphinen, also Schmerzstillern und Glücksstoffen, machen auch kompliziertere Themen verständlich. Abbildungen veranschaulichen, wo bestimmte Hormone produziert oder wahrgenommen werden. So wird zum Beispiel das Pheromon über das Jacobson-Organ in der Nasenscheidewand perzipiert, das über Nervenbahnen in direkter Verbindung mit dem Hypothalamus steht.

Der Hypothalamus ist ein Schlüsselspieler unseres Hormonsystems. Dieser nur daumennagelgroße Bereich des Gehirns steuert so ziemlich alle überlebenswichtigen Funktionen, angefangen bei Hunger und Durst über den Energiehaushalt und die Sexualität bis hin zum Tag-Nacht-Rhythmus und die Körpertemperatur. Im Zusammenhang damit beschreibt Nieuwdorp auch, dass gerade diese Körperfunktionen im Alter durcheinandergeraten, und so widmet er ein ganzes Kapitel den hormonellen Veränderungen im hohen Alter.

Hierbei wird deutlich, wie komplex die Vorgänge im menschlichen Körper sind und in welchem Maß sie sich gegenseitig beeinflussen. So führt beispielsweise der Verlust des Tag-Nacht-Rhythmus ab dem 80. Lebensjahr zu einer schlechteren Schlafqualität und in der Folge zu einer gestörten Hormonproduktion. Doch auch bei jüngeren Menschen weiß der Endokrinologe von einem Zusammenhang zwischen lang andauerndem Stress und einer Beeinflussung des hormonellen Gleichgewichts zu berichten.

Selbst ein einzelnes Hormon kann in verschiedenen Lebensphasen eine unterschiedliche Wirkung entfalten. So beschreibt Nieuwdorp, dass das Wachstumshormon bei Kindern vor allem für das namensgebende Längenwachstum verantwortlich ist, bei Erwachsenen hingegen hilft es bei der Verbrennung von Fetten und der Umwandlung von Glykogen in Glukose, wodurch der Zuckerspiegel erhöht und Energie freigesetzt wird.

Von Schwangerschaftsdemenz und Penopause

Auch das Thema Genderidentität wird im Zusammenhang mit den Sexualhormonen beleuchtet. Dabei hält Nieuwdorp fest, dass bislang immer noch unklar ist, wie die sexuelle Orientierung von Menschen aus hormoneller Sicht zu Stande kommt. Bekannt ist jedoch eine Gruppe von Neuronen in der Nähe des Hypothalamus, die SDN (»sexuell dimorpher Nucleus«) genannt wird und die Sexualhormonproduktion sowie das sexuelle Verhalten steuert.

Das weibliche Sexualhormon Östrogen spielt klarerweise auch bei der Schwangerschaft eine zentrale Rolle, allerdings ist die erhöhte Konzentration in Zusammenhang mit einem ebenfalls erhöhten hCG-Spiegel (»humanes Choriongonadotropin«) für eine Veränderung im Gehirn von Schwangeren verantwortlich. Dies ist die wissenschaftliche Erklärung für die so genannte Schwangerschaftsdemenz. Damit zeigt der Autor in einem weiteren Beispiel, wie vielschichtig die Funktionen und Wirkungsweisen von Hormonen sind. Auch die hormonellen Veränderungen bei Männern während einer Schwangerschaft ihrer Partnerinnen werden thematisiert. So macht es evolutionär Sinn, dass bei werdenden Vätern der Testosteronspiegel sinkt. Denn Testosteron, das männliche Sexualhormon, kann körperliche Aggressionen verstärken. In einem Anstieg des Testosteronspiegels liegt außerdem die Erklärung, warum Pubertierende eine erhöhte Neigung haben, Risiken einzugehen. Gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass es ebenfalls für die niedrigere Lebenserwartung von Männern verantwortlich ist.

Auch in der »Penopause«, also der Menopause des Mannes, spielt Testosteron die Hauptrolle. Während es bei Frauen auf Grund des plötzlichen Abfalls von Östrogen im gesamten Hormongefüge heftiger zugeht als bei Männern, kommt es bei ihnen zu einem stetigen Abfall von Testosteron, der bereits ab dem 30. Lebensjahr beginnt. Da es sich bei Testosteron um ein so genanntes Androgen handelt, spricht man hier eher von Androgen Deficiency in Aging Males (ADAM). Allgemein beschreibt Nieuwdorp, dass sich Frauen und Männer in diesem Lebensabschnitt, geschuldet der veränderten hormonellen Zusammensetzung, immer ähnlicher werden.

Die Sprache des Buchs ist leicht verständlich, und so erfährt der Leser viel Interessantes über die unser Leben so bestimmenden Hormone. Zu Recht hat es »Achtung, Hormone« auf die Shortlist für das österreichische Wissenschaftsbuch des Jahres 2024 geschafft.

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