Direkt zum Inhalt

»Eine kurze Geschichte des Universums«: Das Universum kompakt präsentiert

Die Astrophysikerin Gemma Lavender wählt einen erfrischend neuen Ansatz, um den Kosmos für ein breites Publikum verständlich zu erklären. Eine Rezension
Webb, JWST, Galaxien

Ich habe nicht gezählt, die wievielte »kurze Geschichte« der Kosmologie dieses Buch ist – Stephen Hawking hat bekanntlich damit angefangen. Der Titel lässt also zunächst etwas Gängiges vermuten, etwa die chronologische oder entfernungsmäßige Darstellung: vom Urknall bis in die ferne Zukunft oder von der Erde bis zu den Galaxienhaufen. Die Autorin, promovierte Astrophysikerin und derzeit Programmdirektorin »Knowledge & Education« bei einem britischen Medienunternehmen, hat sich aber wohl aus didaktischen Gründen für ein anderes Format entschieden.

Es gibt vier Kapitel: »Struktur«, »Geschichte und Zukunft«, »Bausteine« und »Theorien«. Jedes enthält Abschnitte zu speziellen Themen. Sie haben eine einheitliche Struktur, kompakt auf ein bis zwei Seiten präsentiert. Leider führt das zu einer gewissen Redundanz. Natürlich schadet es nicht, wenn komplizierte Dinge wiederholt behandelt werden. Immerhin gibt es hinreichend Querverweise.

Das erste Kapitel ist das kürzeste. Es geht um Grundlegendes, wie Raum, Zeit, fundamentale Kräfte und deren Wirkung im Mikro- und Makrokosmos. Am Anfang jeden Abschnitts wird auf wichtige Personen und Publikationen hingewiesen; in »Raumzeit« ist das »Albert Einstein: Die Feldgleichungen der Gravitation, Berlin, Deutschland, 1915«. Meist folgt noch eine kurze Biografie. Im Zentrum stehen ein allgemein verständlicher Text (die Schrift ist leider etwas klein geraten) sowie eine großformatige Abbildung; im genannten Beispiel wird ein Doppelsternsystem gezeigt, das Gravitationswellen erzeugt. Im nächsten Kapitel folgt Lavender der klassischen Chronologie. Im ersten Abschnitt »Vor dem Ursprung« sind bekannte Protagonisten wie Andrei Linde, Lee Smolin und Paul Steinhardt genannt. Ein gesonderter Bereich stellt »Wichtige Entwicklungen« vor.

Von fernen Galaxienhaufen bis zum Sonnensystem

Das Kapitel »Bausteine« ist das umfangreichste. Hier hat die Autorin die entfernungsabhängige Darstellung gewählt, allerdings in umgekehrter Reihenfolge: Sie beginnt mit den Galaxienhaufen und endet im Sonnensystem. Im Abschnitt »Galaxien« wird William Parsons (Lord Rosse) vorgestellt, der Entdecker der Spiralstruktur. Die Geschichte der Astronomie ist generell gut vertreten. Zu jedem »Baustein« nennt die Autorin, abgesetzt vom Text, Beispiele wie bekannte Galaxien. Im letzten Kapitel geht es um »Theorien«. Viele der Themen, etwa der Urknall, die Inflation oder Schwarze Löcher, wurden bereits an früherer Stelle vorgestellt. Neu sind Dopplereffekt, Dichtewellen in Spiralgalaxien oder die Panspermie. Die Mischung ist recht bunt und der Sinn des Kapitels nicht ganz klar.

Ein Register bildet den Abschluss. Literaturhinweise finden sich nur in den Abschnitten und beschränken sich auf Originalarbeiten. Leider fehlt ein Glossar; das aber wäre sinnvoll, denn oft werden Fachbegriffe erst später erklärt. Bilder und Grafiken sind fast alle farbig und von guter Qualität. Auch das Layout des handlichen Buchs und der flüssig, zuweilen humorvoll geschriebene Text überzeugen. Allerdings sind etwa 30 Stellen aufgefallen, an denen Fehler oder Ungenauigkeiten vorkommen. Vieles davon ist nicht gravierend – manches aber schon. Das Korrekturlesen war wohl nicht gründlich genug oder es fehlte die nötige Sachkenntnis.

Gleich zu Beginn wird die Schreibweise von Zahlen erläutert, dort steht: 10-b = 1/10b (statt 1/10b). Zudem sagt eine Stelle: 1929 »schaute der Astronom Edwin Hubble gerade durch das 2,50 Meter große Hooker Teleskop (…) als er feststellte, dass Lichtwellen, die aus weit entfernten Galaxien stammten, in längere, rötere Wellenlängen auseinandergezogen werden« – dabei ist die Rotverschiebung von Spektrallinien visuell nicht erkennbar. Weiter wird die Urknall-Singularität als »eindimensionaler Punkt«, wohingegen Punkte nulldimensional sind. Man liest, dass »Photonen nicht schnell genug beschleunigen konnten, um Protonen und Neutronen zu zerschlagen«, dabei bewegen sich die Lichtquanten stets mit Lichtgeschwindigkeit und beschleunigen somit niemals. An anderer Stelle steht, die Milchstraße habe viele Zwerggalaxien aufgesaugt, deren Gesamtmasse »nur 10 Prozent der Masse unserer Sonne« beträgt – statt Sonne ist wohl aber die Milchstraße gemeint. Zudem enthalten einige Abbildungstexte falsche Angaben, etwa: »Der Galaxienhaufen Abell 2744 ist nur ein Fünfzigstel so groß wie die Milchstraße, enthält aber zehnmal so viele Sterne«, korrekt wären hingegen die 3500-fache Größe und die 4000-fache Masse. Und: Die Spiralgalaxie NGC 3147 ist »etwa 130 000 Lichtjahre von der Erde entfernt«; hier muss es 130 Millionen Lichtjahre heißen. Und um den Doppelstern Albireo zu beobachten, »den man von hier aus mit bloßem Auge am leichtesten erkennen kann«, braucht man in Wirklichkeit ein kleines Fernrohr. Erstaunt erfährt man außerdem, dass die Astronauten von Apollo 12, die in der Nähe der Surveyor 3 landeten, »die Sonde wieder mit zur Erde« nahmen – das Gerät hat aber eine Masse von 296 Kilogramm. Tatsächlich mitgenommen wurden nur zehn Kilogramm, darunter die Kamera.

Trotz dieser redaktionellen Mängel ist das Buch allen zu empfehlen, die eine kompakte, allgemein verständliche Einführung in die »Geschichte des Universums« suchen. Die kosmischen Strukturen und Bausteine werden kompetent vorgestellt. Den Rahmen bilden Beobachtungen und Theorien nebst den beteiligten Wissenschaftlern, wobei auch die Geschichte der Astronomie nicht zu kurz kommt. Die ungewöhnliche Struktur des Buchs fördert das Verständnis der komplizierten Inhalte. Es gibt zwar eine Flut von Publikationen zum Thema, das Werk bereichert aber zweifellos den Markt.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Der Umbau der Chemieindustrie

Täglich entstehen in riesigen Fabriken zahllose Stoffe, die wir in unserem Alltag nutzen – allerdings nur dank fossiler Rohstoffe und eines extrem hohen Energieverbrauchs. In dieser »Woche« geht es um den Umbau der Chemieindustrie hin zur Klimaneutralität. Außerdem: Gibt es sie, die »Zuckersucht«?

Spektrum - Die Woche – Sind wir nicht alle ein bisschen ambivertiert?

Oft ist beim Thema Persönlichkeit die Rede von extravertiert oder introvertiert. Dabei stellen diese beiden Eigenschaften zwei Extreme dar, zu denen sich nur die wenigsten Menschen zuordnen würden. In der aktuellen »Woche« geht es um den Begriff der »Ambiversion«: ein gesundes Mittelmaß?

Spektrum der Wissenschaft – Leere im Kosmos

Es gibt riesige, Voids genannte, Bereiche im Universum, in denen praktisch keine Materie vorkommt. Ihre ungeheure Leere könnte helfen, einige hartnäckige Rätsel der modernen Kosmologie zu lösen. Außerdem: Viele Menschen haben angeblich einen Mangel an Vitamin D. Studien zeigen, von einer zusätzlichen Vitamin-D-Gabe profitieren wohl deutlich weniger Menschen als gedacht. Mehrere Forschungsgruppen und Unternehmen machen Jagd nach dem Majorana-Quasiteilchen, da dieses Quantencomputer dramatisch verbessern könnte. Wie kann Aufforstung angesichts von Klimawandel und Schädlingsbefall gelingen? Natürliche Erneuerung und andere Baumarten lassen auf einen gesunden Wald hoffen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.