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Buchkritik zu »Fußball – Wissenschaft mit Kick«

Die Bewegungsgesetze Isaac Newtons (1643 – 1727) gelten, wie für jede bewegte Masse, auch für den Fußball; aber ob und wie der große Meister selbst das runde Leder getreten hat, ist nicht überliefert. Umgekehrt rechnet kein Spieler Newtons zweites Bewegungsgesetz nach, bevor er schießt. Er hat gar keine Zeit dazu; er muss sogar viele Bewegungsabläufe unbewusst antizipieren, um am Ball zu bleiben. Trotz aller Wissenschaft bleibt Fußball also ein Spiel. Vielleicht hält es der Ball wie die sprichwörtliche Hummel, die nur deswegen fliegen kann, weil sie die Gesetze der Physik nicht versteht, die ihr angeblich das Fliegen verbieten.

John Wesson, ehemals theoretischer Physiker und aktiver Fußballer, verfügt nun im Ruhestand über die Muße, die beiden wenig kompatiblen Kulturen zu vereinen. Im Originaltitel »The Science of Soccer« erhebt er noch den wissenschaftlichen Anspruch; aber im Inneren hat er sein Buch weit gehend allgemein verständlich gehalten. In neun Kapiteln beschreibt er formelfrei physikalische Abläufe, unterstützt durch zahlreiche Grafiken und realistische Zahlenbeispiele. Vom simplen Aufprallen des Balls über die Ballannahme und den klugen Pass kommt er zum Höhepunkt jeglicher Ballphysik, der Bananenflanke.

Mit Letzterer hat sich auch schon Isaac Newton beschäftigt, wenn auch im Zusammenhang mit Tennis. Im zehnten und letzten Kapitel liefert der Autor zu allen Themen den Formelapparat nach – verständlich mit Vorkenntnissen der gymnasialen Oberstufe und eine Fundgrube für Physiklehrer auf der Suche nach motivierenden Anwendungen der Wissenschaft. Doch den Physiker Wesson beschäftigt weit mehr als nur die Bewegung der Lederkugel, er behandelt auch Fragen, die das Spiel insgesamt betreffen.

Besonders schön sind seine Untersuchungen zu der Frage, ob wirklich immer die beste Mannschaft am Saisonende den Meister stellt. Dass dem nicht so sein muss, trägt zum Reiz des Spiels bei. Anders als beim Handball oder gar beim Basketball, wo die vielen Treffer in einem Spiel der besseren Mannschaft die Gelegenheit geben, sich auch wirklich durchzusetzen, kann beim Fußball auch der Schwächere gewinnen, denn ein einzelnes Tor hat eine viel größere Bedeutung. Wie sich dies auf den Verlauf einer ganzen Saison auswirkt, erläutert Wesson mit stochastischen Mitteln und konkreten Beispielen.

Auch hierzu finden sich im zehnten Kapitel die verwendeten Formeln. Die Wahrscheinlichkeitstheorie benutzt der Autor auch, um die Stärke einzelner Spieler zu bewerten. Dass dabei Gerd Müller um den Faktor vier besser abschneidet als Jürgen Klinsmann, überrascht den Fußballkenner nicht. Spätestens in diesem Kapitel gerät der Autor an die Grenzen der Schulmathematik. Die elementare Ballphysik lässt sich noch geschlossen beschreiben, aber komplexere Aspekte dieses Spiels sind nicht einfach auf die Newton’schen Gesetze und die Regeln der Kombinatorik zu reduzieren. Hier hält Wesson den Ball flach, und der deutsche Verlag hat gut daran getan, den wuchtigen Titel der Originalausgabe nicht einfach zu übernehmen.

Das Buch bietet keine Wissenschaft vom Fußball, sondern eine solide, durchaus spielerische Abhandlung über das Spiel für mathematisch-physikalisch interessierte Leser. So bleibt das Buch auch handlich und passt in jede Sporttasche.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 7/2006

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