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Barbar aus dem Norden

Hätte man einem Griechen im 5. vorchristlichen Jahrhundert gesagt, ein Makedone werde die Herrschaft über Griechenland übernehmen und die heillos zerstrittenen Hellenen gemeinsam gegen den Erzfeind Persien führen, er hätte ungläubig den Kopf geschüttelt. Denn die Makedonen, das waren aus Sicht der damaligen Griechen ungehobelte Barbaren des Nordens.

Doch das schier Unglaubliche geschah bereits im darauf folgenden Jahrhundert, als Philipp II. von Makedonien (um 382–336 v. Chr.), Vater von Alexander dem Großen, die Macht in Hellas an sich riss. Wie es dazu kam, erzählt der Aachener Althistoriker Jörg Fündling profund und verständlich im vorliegenden Buch. Fündling reduziert Philipp II. nicht auf die Rolle des Vaters einer Übergestalt, sondern betrachtet ihn aus dessen eigener Erfolgsgeschichte heraus. Er schildert den Makedonen als ausgefuchsten und mit allen Wassern gewaschenen Machtmenschen, der sich mit Bestechung, Diplomatie, persönlichem Charme und Waffengewalt im politischen Dschungel der griechischen Staatenwelt zu behaupten wusste.

Aufgewachsen unter Wölfen

Um Philipps Handeln zu verstehen, muss man einiges über das Umfeld wissen, in dem er sozialisiert wurde. Fündling beschreibt es sehr anschaulich. Makedonien war damals eine politische Randexistenz nördlich des Olymp und umgeben von zahlreichen Feinden. Dem entsprechend befanden sich die Makedonen in beinahe permanentem Kriegszustand und pflegten eine martialische Lebensweise. Philipp wuchs in einer kriegerischen Adelskultur mit starkem Konkurrenzdruck auf. Ehrbewusstsein und kompromissloses Streben nach Prestige gaben das soziale Handeln vor. Immer der Beste zu sein und die anderen zu übertreffen, wurde zum Leitprinzip der Gesellschaft.

Sich in diesem Milieu zu behaupten, erforderte besondere Qualitäten. Zwar war der makedonische König als Angehöriger der "Argeaden" dynastisch legitimiert – eines königlichen Geschlechts, das sich auf den mythischen Helden Herakles zurückführte. Doch konnte er sich nur durchsetzen, wenn er Stärke zeigte (durchaus auch handgreiflich) und sich vor seinen Kriegern dauerhaft bewährte – als guter Jäger, tapferer Kämpfer, schlauer Kommandeur und standfester Trinker. Erfüllte er diese Erwartungen nicht, drohte ihm die Zustimmung der Heeresversammlung verloren zu gehen, jener Instanz, die sich aus den waffentragenden Makedonen zusammensetzte und seine Machtansprüche anerkannte.

Die Thraker im Nacken

Zudem musste der König mit zahlreichen äußeren Gefahren umgehen. In einem großen Halbkreis scharten sich nördlich um Makedonien herum die epirotischen, illyrischen und thrakischen Völkerschaften, von denen eine permanente Bedrohung ausging. Die Raubeinigkeit der Thraker beispielsweise war schon damals sprichwörtlich. Im Süden wiederum waren die griechischen Poleis angesiedelt, insbesondere die Großmächte Athen und Theben, zu deren Spielball Makedonien im 4. Jahrhundert zeitweise geworden war.

Gut nachvollziehbar erzählt Fündling, wie Philipp die griechische Staatenwelt, die in hunderte autonome Poleis zersplittert war, unter seine Kontrolle brachte – mitsamt Athen, Korinth und Theben. Der bedeutendste Faktor dabei war das makedonische Heer, das Philipp zu einem schlagkräftigen Kampfverband formte. Neben die zu Pferde kämpfenden adligen Krieger, Hetairen (Gefährten) genannt, traten die Pezhetairen, die "Kampfgefährten zu Fuß", die in geschlossener Formation agierten. Sie waren gepanzert und mit einem etwa fünf Meter langen Spieß, der Sarissa, bewaffnet. Das verschaffte ihnen in Reichweite und Stoßkraft einen entscheidenden Vorteil gegenüber den griechischen Heeren, deren Kämpfer in der damals üblichen Hoplitenausrüstung antraten. Daneben gab es bei den Makedonen die Hypaspisten, ebenfalls Fußkämpfer, mit großem Schild und kurzem Spieß und beweglicher als die Pezhetairen. Indem er die verschiedenen Waffengattungen gekonnt miteinander kombinierte, gelang es Philipp im Jahre 338 v. Chr. in der Schlacht von Chaironeia, die verbündeten Bürgerheere Athens und Thebens entscheidend zu schlagen.

Überhöhung des Griechentums

Um das eroberte Hellas auch politisch für sich zu gewinnen, entwarf Philipp mit dem korinthischen Bund eine unter seiner Ägide stehende, multilaterale Friedens- und Sicherheitsordnung. Mit ihrer Hilfe wollte er die Stadtstaaten fester aneinanderschweißen und unauflöslich mit Makedonien verbinden. Als Mittel zum Zweck diente ihm dabei der Leitgedanke des "Panhellenismus", der bereits im 5. Jahrhundert im Zuge der Perserkriege aufgekommen war. Diesem Ansatz zufolge waren die Gemeinsamkeiten, die alle Griechen miteinander verbanden, wichtiger als ihre Differenzen untereinander. Philipp legitimierte mit dem Panhellenismus sowohl seinen Waffengang gegen Persien, den er als gesamtgriechischen Rachefeldzug inszenierte, als auch seine Herrschaft als "Vorkämpfer der griechischen Freiheit".

Indem der Makedone die kriegerischen Energien der griechischen Staaten, die lange Zeit gegeneinander gerichtet und somit selbstzerstörerisch gewesen waren, auf den alten Feind Persien lenkte, gelang es ihm, seinen königlichen Machtanspruch mit der städtischen Bürgerfreiheit in Hellas zu versöhnen. Es blieb ihm jedoch verwehrt, die politische Landschaft Griechenlands dauerhaft zu prägen. Kurz bevor er in den Krieg gegen Persien aufbrach, ermordete ihn einer seiner Leibwächter.

Wer Fündlings Buch gelesen hat, dem wird klar, dass der Welteroberer Alexander der Große jene Lorbeeren erntete, die sein Vater Philipp gesät hatte.

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