»T wie Testosteron«: Das »Männlichkeitshormon« unter der Lupe
Um das Sexualhormon Testosteron tummeln sich viele Vorurteile. Mit diesen möchte die Evolutionsbiologin und Dozentin Carol Hooven vom Department of Human Evolutionary Biology der Harvard University aufräumen: Auf knapp 500 Seiten illustriert sie die Rolle des Hormons. Leserinnen und Leser lernen dabei viel Wissenswertes über die biologischen und biochemischen Grundlagen sowie die Wirkung von Testosteron auf den menschlichen und tierischen Organismus. Überträgt man diese Kenntnisse auf das Verhalten und Geschlechtsunterschiede, führt das schnell zu Vorurteilen und unwissenschaftlichen Behauptungen. Das Buch hilft zu verstehen, warum die Einflüsse von Hormonen allein komplexe Verhaltensweisen nicht vollständig erklären können.
Wie Hormone das Verhalten beeinflussen
Die Autorin beschreibt das Wissen über Testosteron kenntnisreich anhand von Beispielen aus dem Tierreich, der Embryologie und von Untersuchungen an Jugendlichen und Erwachsenen. Wie Hormone grundsätzlich funktionieren und wie sie das Verhalten beeinflussen können, diskutiert sie auch im Zusammenhang mit hormonellen Entwicklungsstörungen, Homosexualität und Transgender. Dabei schildert Hooven lebensnahe Fallbeispiele.
Die biologischen und biochemischen Grundlagen sind äußerst komplex, weshalb voreilige Interpretationen nicht angebracht sind: Bereits im Mutterleib wirken sich Hormone auf männliche und weibliche Ungeborene unterschiedlich aus. Etwa ab der sechsten Schwangerschaftswoche entwickeln sich die Geschlechter durch die Steuerung der Sexualhormone verschieden. Aber Testosteron ist auch bei Frauen wichtig. Zudem beeinflussen Sexualhormone nicht nur die Entwicklung der primären und sekundären Geschlechtsorgane, sondern prägen auch das sich entwickelnde Gehirn und somit Verhaltensweisen. Zum Beispiel spielt Testosteron eine zentrale Rolle bei der Fortpflanzung: Sowohl im Tierreich als auch beim Menschen ist das zentrale evolutionäre Ziel, den eigenen Genen einen Vorteil zu verschaffen, was wiederum das Verhalten beeinflusst, so die Autorin.
Testosteron sorgt für verschiedene Verhaltensweisen, die sowohl bei Männern als auch bei Frauen sichtbar sind. Daraus lassen sich natürlich keine allgemein gültigen Normen oder Erklärungen für komplexes Verhalten ableiten, doch Kenntnisse über die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind eine wesentliche Voraussetzung, um diese zu verstehen. Hooven beschreibt anschaulich das komplexe Zusammenspiel zwischen Hormonen, Genen, Erfahrungen und sozialem Umfeld, das letztlich für das Denken, Fühlen und Handeln eines Individuums verantwortlich ist.
Das Buch ist flüssig geschrieben, die Autorin gibt viele wissenschaftlich abgesicherte Erklärungen verständlich wieder. Die Leser und Leserinnen finden zudem viele Angaben zu Originalliteratur. Die Hinweise auf spezifisch US-amerikanische Verhältnisse (Trump, Clinton, Summers, Weinstein und so weiter) sind für ein deutsches Publikum vermutlich nicht ganz so interessant, ähnlich wie sehr persönliche Erlebnisse der Autorin, etwa als sie »mit feuchten, glänzenden Augen« im Seminar saß und stolz einen Autor als »Arschloch« bezeichnete. Darauf kann man in einem Sachbuch gerne verzichten. Ein stilistisches Manko ist die nicht nachvollziehbare Verwendung von »T« im laufenden Text: Mal wird Testosteron ausgeschrieben, mal einfach T genannt, was zu albernen Bezeichnungen wie »König T« führt.
Zusammenfassend eignet sich dieses Buch für alle Interessierten, die einen breiten wissenschaftlichen Zugang zu den Unterschieden zwischen den Geschlechtern suchen.
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