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Freund Morpheus

Ist Schlafen Zeitverschwendung? Warum müssen wir täglich viele Stunden ohne Bewusstsein verbringen? Das wollte Tobias Hürter schon als Kind nicht einsehen – und vor allem die Kontrolle nicht abgeben. Warum reicht es nicht, still dazusitzen, um sich zu erholen? Warum verbringt ein Mensch rund sechs Jahre seines Lebens mit Träumen? Macht Schlafen schön?

Als mittlerweile 39-Jähriger hat der Wissenschaftsjournalist und Mathematiker Tobias Hürter die Ergebnisse unzähliger Studien zusammengetragen und dabei – neben viel Falschem und Überholtem – wissenschaftlich fundierte Antworten auf all diese Fragen gefunden. Die Kindheitsvorstellung von der Entbehrlichkeit des Schlafs musste er dabei aufgeben. Schlaf formt die Persönlichkeit, bewertet Erinnerungen emotional und baut das Weltbild aus. "Wer Mensch sein will, muss schlafen."

Das Buch hat seine eigene Note, wie schon das Inhaltsverzeichnis zeigt. Jedes Kapitel hat eine Uhrzeit zwischen 21 Uhr und 7.30 Uhr am nächsten Morgen; "die Dauer eines typischen Nachtschlafs" soll zum Durchlesen reichen.

Konsequenterweise geht die Erzählung von der Dämmerung über das Einschlafen, den REM- und den Tiefschlaf bis zum Aufwachen. Dazwischen geht es um Phänomene wie Schlafwandeln, Gähnen, Klarträumen oder Schlafentzug. Hürters Fakten sind oft verblüffend. Wer hätte gedacht, dass bis ins Mittelalter der Nachtschlaf der Menschen aus zwei deutlich getrennten Phasen bestand? Dass Elefanten nur drei Stunden Schlaf brauchen und Giraffen nicht gähnen? Sie enthalten aber auch Desillusionierungen: Schlafen macht leider nicht schlank.

Viele Kapitel beginnen mit einer kurzen Geschichte, die eine Frage aufwirft. Die klärt der Autor dann mit Hilfe wissenschaftlicher Studien. Der Weg der Forschung zur jeweiligen Erkenntnis war lang – teilweise beginnend mit Aristoteles –, mühsam und oft grotesk verschlungen. Bis vor wenigen Jahrzehnten vertraten die Wissenschaftler unhaltbare Positionen – das ist dem Schlafmuffel Hürter persönlich nicht anders gegangen. Aber manche Hartnäckigkeit erregt selbst heute noch Kopfschütteln, so die Suche nach einer "Essenz des Schlafs". Ein Forscher namens John Pappenheimer verarbeitete tausende Liter Urin, um am Ende sieben millionstel Gramm einer "Essenz" zu gewinnen – die dann keine war. Inzwischen weiß man, dass "die Chemie des Einschlafens viel zu komplex und umfassend ist, um von einer einzelnen Substanz gesteuert zu werden". Auch die Theorie, Träume seien sinnloses Synapsengeflimmer, hielt sich über mehr als drei Jahrzehnte.

Die Prozesse in Gehirn und Körper beschreibt Hürter präzise, eingängig und – dank seiner lockeren und anschaulichen Sprache – unterhaltsam. Die einfallsreichen Vergleiche tragen zum Verständnis bei. Wer hätte erwartet, dass Gehirnwellen im Prinzip "La Ola durch Zuschauerränge der Stadien" gleichen? Einige Grundkenntnisse über Nervenzellen und neurologische Messverfahren wie das Elektroenzephalogramm (EEG) sind trotzdem hilfreich.

Humorvolle Abbildungen und eingestreute Fallgeschichten lockern das Buch auf. Nur einige Kapitel wie das über den REM-Schlaf enthalten etwas zu reichlich Information. Das Werk ist kein Ratgeber, sondern eine Sammlung von Antworten auf häufig gestellte Fragen. Hürter bewertet die Erkenntnisse nicht, er stellt den aktuellen Wissensstand dar, samt Quellenangabe im ausführlichen Literaturverzeichnis.

Einige Tipps gibt es dann doch – zum Beispiel, dass es zum Einschlafen hilft, das Gesicht mit einem Föhn zu erwärmen. Doch im Vordergrund steht das amüsant aufbereitete Wissen zum Schlaf. Und die Einsicht: "Die Frage, warum wir schlafen, ist ebenso sinnlos wie die Frage, warum wir wach sind."

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 2/2012

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