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Seid umschlungen, Emotionen!

Traurigkeit gehört zum Leben dazu. Und wer erwachsen wird, muss mitunter erleben, wie sicher geglaubte Säulen der Identität einstürzen. Diese Themen ins Zentrum eines quietschbunten Animationsfilms für Kinder zu stellen, klingt nach einem aberwitzigen Plan. Pixar traut es sich mit "Alles steht Kopf" (Inside Out) dennoch – und das Experiment gelingt. Der Film startet am 1. Oktober 2015 in den deutschen Kinos.

Die elfjährige Riley zieht mit ihren Eltern vom provinziellen Minnesota nach San Francisco, das auf sie trist und abweisend wirkt. Die Trennung von ihrer besten Freundin und ihrem Eishockeyteam setzt ihr zu – und bringt die eigentlichen Hauptdarsteller des Films in Bedrängnis. Es sind die fünf Grundemotionen, die täglich in der Kommandozentrale von Rileys Psyche zur Arbeit erscheinen: Freude, Kummer, Wut, Angst und Ekel.

Eingetrübte Sicht

Freude ist bei Riley an sich die Wortführerin. Sie hat dafür gesorgt, dass das Mädchen eine unbekümmerte Kindheit auf dem Land erlebte. Doch nach dem Umzug gewinnt Kummer an Bedeutung und schickt sich an, Rileys sonnengelbe Erinnerungen nachträglich in traurigem Blau einzufärben. Bei einem Handgemenge werden Freude und Kummer in entlegenere Regionen von Rileys Verstand gezogen. Mit nur noch Wut, Angst und Ekel am Steuerpult der Emotionen nimmt das Chaos seinen Lauf. Freude und Kummer kämpfen sich derweil durch das Langzeitgedächtnis, die Traumfabrik und das Unterbewusstsein, springen auf den Gedankenzug auf und treffen Rileys imaginären Freund aus dem Kindergartenalter, der immer noch an sein großes Comeback glaubt. Irgendwann auf dieser Reise entdeckt Freude, wie wichtig auch Kummer für Rileys Psyche ist, und dass Traurigsein einen reinigenden Effekt haben kann.

Wie so oft verstehen es die Pixar-Macher, allen Altersgruppen etwas zu bieten. Kinder erfreuen sich an den skurrilen Charakteren und den Slapstick-Einlagen mit treffsicherem Timing. Erwachsene können sich darüber amüsieren, wenn im Langzeitgedächtnis der Aufräumdienst nicht mehr benötigte Erinnerungen entsorgt. Eine "schon recht verblasste" Erinnerung an vier Jahre Klavierunterricht schmeißen sie auf die Deponie des ewigen Vergessens, nur den "Flohwalzer" und "Für Elise" behalten sie. Andere witzige Szenen stellen dar, woher Ohrwürmer kommen, oder warum unsere Träume oft so seltsam sind: Manchmal engagiert die Traumfabrik einfach schlechte Schauspieler.

Das "Ich" ist nicht in Stein gemeißelt

Auch wenn die Macher von renommierten Experten wie dem amerikanischen Psychologen Paul Ekman beraten ließen, ist "Alles steht Kopf" kein psychologisches Lehrstück geworden. Wie viele Grundemotionen wir haben, diskutieren Fachleute noch immer intensiv; die "Inseln der Persönlichkeit" sind in dem Film aus wissenschaftlicher Sicht irreführend bezeichnet; und das Unterbewusste wird nur aus Ängsten bestehend dargestellt. Als erwachsener Zuschauer wünscht man sich auch deutlich mehr Ausflüge in die Köpfe anderer Charaktere.

Letztlich wollten die Filmemacher aber wohl das junge Publikum nicht überfordern, um die nicht ganz leicht verdaulichen Kernbotschaften rüberzubringen. Demnach ist unser Selbst kein einheitliches Ganzes, vielmehr definieren verschiedene und wandelbare Anteile, wer wir sind. Und jedes unserer Gefühle hat eine Daseinsberechtigung. Das wunderbar unterhaltsam zu vermitteln, ist eine große Leistung, die man "Alles steht Kopf" nicht hoch genug anrechnen kann.

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