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Essenz des Denkens

Es ist für viele Philosophiestudenten eine der frustrierendsten Erfahrungen: Man lernt, wie Descartes die neuere Philosophie begründete, welches gewaltige philosophische System Kant aus dem Boden stampfte und wie viele andere große Denker ihre Ansichten untermauerten. Doch welche Argumentationen und Theorien letztlich schlüssig sind, scheint eher eine Frage des Glaubens und persönlicher Vorlieben zu sein. Echte Erkenntnisse, verlässliches Wissen – offenbar Fehlanzeige in der Philosophie.

Herbert Schnädelbach, vor seiner Emeritierung unter anderem Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, versucht diesem Missstand zu begegnen. In 14 Kapiteln versucht er aus dem Streit der Meinungen "echtes" Wissen herauszufiltern. Dieses setzt er dabei gleich mit wahrer, gerechtfertigter Meinung – ähnlich wie in den anderen Wissenschaften könne es aber nicht über jeden Zweifel erhaben sein. Wissen sei nun einmal fehlbar.

Zu Beginn verweist der Autor darauf, dass auch in anderen Disziplinen immer wieder Meinungsverschiedenheiten herrschen. Außerdem zeigt Schnädelbach, dass auch Kontroversen in der Philosophie wie etwa die zwischen Rationalismus und Empirismus immer eine gemeinsame Basis haben müssen, ohne die die Philosophen vollkommen aneinander vorbeireden würden.

Entsprechend seiner eigenen Fachkompetenz konzentriert sich Schnädelbach in erster Linie auf Themen aus der Theoretischen Philosophie. So geht er der Frage nach, ob man ohne Sprache denken kann und ob es legitim ist, Erkenntnis als Beziehung von Subjekt und Objekt aufzufassen. Als überholten Irrtum stellt er zudem die zunächst einleuchtende Vorstellung dar, die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks bestünde in dem Gegenstand, auf den er sich bezieht. Denn um beispielsweise den Sinn des Ausdrucks "Venus" zu verstehen, helfe es nicht, sich dem entsprechenden Gegenstand zuzuwenden. Schließlich ist der Begriff selbst mehrdeutig, es kann vom Planeten oder von der römischen Göttin der Liebe die Rede sein.

Man müsse umgekehrt erst einmal über den Kontext die konkrete Bedeutung herausfinden und sei nur danach in der Lage, sich mit dem gemeinten Gegenstand zu beschäftigen. Bedeutung und Gegenstand eines sprachlichen Ausdrucks seien also nicht dasselbe.

Mit einem anderen Beispiel für philosophisches Wissen betritt Schnädelbach den Bereich der Ethik. Philosophen wüssten, dass es nicht zulässig ist, von dem, was ist, auf das zu schließen, was sein sollte. So sei es nicht legitim, auf der Grundlage der Evolutionstheorie einen gesellschaftlichen Sozialdarwinismus zu propagieren und zum Beispiel das Ausmerzen fehlerhafter Erbanlagen zu verlangen.

Ob das von Schnädelbach in seinem Buch angeführte Wissen tatsächlich so unumstritten ist, wie er meint, darf bezweifelt werden. Oft merkt man dem Autor allzu sehr an, welcher theoretischen Schule er anhängt – der analytischen Sprachphilosophie. Außerdem ist die Lektüre für Einsteiger wohl nur schwer verdaulich. Zu verschlungen erscheinen viele Gedankengänge, zu viel Vorwissen setzen sie voraus.

Mit der Leichtigkeit, mit der etwa ein Richard David Precht den Deutschen im Schnelldurchgang die Welt erklärt, darf der Leser hier nicht rechnen. Wer aber Vorkenntnisse hat und sich für die durch viele lehrreiche Irrtümer gewonnenen Erkenntnisse der Philosophie interessiert, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.

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