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Der mathematische Monatskalender: Daniel Bernoulli (1700–1782): Von der Medizin zur Mathematik

Offenbar kopierte Johann Bernoulli wichtige wissenschaftliche Ideen seines Sohns Daniel, dem er zuvor verboten hatte, Mathematik zu studieren.
Daniel Bernoulli

»Mit Mathematik kann man nur schwerlich Geld verdienen.« Aus dieser Überzeugung heraus hatte der Gewürzhändler Niklaus Bernoulli versucht, seine Söhne vom Studium der Mathematik abzuhalten – vergeblich: Jakob und Johann wurden berühmte Mathematiker und verarmten nicht. Und obwohl Johann selbst sich nicht an den väterlichen Rat gehalten hatte, plante er dennoch für seinen zweiten Sohn Daniel eine Laufbahn als Kaufmann – wie bereits sein Vater bei ihm. Vor Beginn der Lehre sollte Daniel zunächst seine schulische Bildung durch den Besuch von Vorlesungen über Philosophie und Logik an der Universität zu Basel abschließen, was dieser auch in drei Jahren erfolgreich absolvierte (Magisterexamen im Jahr 1716).

Zuhause wird Daniel Zeuge des heftigen Prioritätsstreits mit dem Newtonschen Lager – insbesondere ist sein fünf Jahre älterer Bruder Nikolaus (II) mit der Abfassung der Briefe an die Gegenseite befasst. Zwangsläufig ist Daniel auch auf dem Laufenden, welch rasante Fortschritte die Theorie der Differenzial- und Integralrechnung in diesen Tagen macht.

Gleichwohl verbietet der Vater seinem zweiten Sohn ein Studium der Mathematik, lässt sich aber – ziemlich verärgert – darauf ein, dass dieser statt der kaufmännischen Lehre ein Studium der Medizin beginnt. Bereits 1720, nach Studienaufenthalten in Heidelberg und Straßburg, beendet Daniel dieses Studium und schreibt – angeregt durch die Untersuchungen seines Vaters über kinetische Energie – seine Doktorarbeit über die Mechanik des Atmens (»De respiratione«).

Vergeblich bewirbt sich Daniel Bernoulli um einen an der Universität Basel frei gewordenen Lehrstuhl für Anatomie und Botanik, der am Ende durch Losentscheid besetzt wird. Auch bei der Bewerbung um die nächste in Basel frei werdene Professur (für Logik) trifft ihn in der entscheidenden letzten Runde erneut das Los-Pech.

Um seine praktischen Erkenntnisse in Medizin zu erweitern, reist Daniel Bernoulli – zusammen mit seinem Bruder Nikolaus – nach Italien. Auf dem Weg nach Padua, wo er einen berühmten Arzt besuchen möchte, erkrankt er und muss für längere Zeit in Venedig bleiben. Dort begegnet er Christian Goldbach, der ihm 1724 dabei hilft, seine erste mathematische Schrift zu veröffentlichen: Die »Exercitationes quaedam mathematicae« (Mathematische Übungen) bestehen aus vier Teilen. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit den Gewinnchancen bei dem – in der damaligen Zeit sehr beliebten – Kartenspiel »Pharao« (Pharo, Faro), das bereits 1708 von Pierre Rémond de Montmort in seinem »Essai d’Analyse sur les jeux de Hazard« beschrieben worden war.

In einem zweiten Teil setzt er sich mit einem Beitrag Newtons auseinander, der eine (falsche) Theorie über die Druckverhältnisse in fließendem Wasser aufgestellt hatte – hier deutet sich ein späterer Schwerpunkt seiner Forschung an.

Der dritte Teil über das Lösen von so genannten Riccatischen Differenzialgleichungen (Gleichungen vom Typ y'(x) = f(x) · y2(x) + g(x) · y(x) + h(x) mit gegebenen Funktionen f, g, und h, benannt nach Jacopo Francesco Riccati, 1676–1754) findet europaweite Beachtung.

Im letzten Teil der Schrift befasst er sich mit »Möndchen«, also Flächenstücken, die von Kreisbögen eingeschlossen werden.

Während der Zeit seiner Rekonvaleszenz entwickelt Daniel Bernoulli die Idee zu einer besonderen Sanduhr, die auch auf stürmischer See zur Zeitmessung geeignet ist – 1725 erhält er hierfür den Preis der Pariser Akademie der Wissenschaften.

Das Angebot, in Genua die Leitung einer noch zu gründenden Akademie der Wissenschaften zu übernehmen, schlägt er aus, als eine Doppelberufung nach St. Petersburg eintrifft: Dort sollen er und sein Bruder Nikolaus jeweils einen Lehrstuhl für Mathematik übernehmen. Mit großem Optimismus reisen die beiden 1727 in die russische Hauptstadt, wollen sie doch aller Welt durch gemeinsame Publikationen zeigen, dass es auch ein Brüderpaar Bernoulli gibt, das miteinander kooperieren kann – im Unterschied zum eifersüchtigen Verhalten zwischen ihrem Vater Johann und dessen Bruder Jakob. Der Traum zerplatzt, als Nikolaus acht Monate nach der Ankunft in St. Petersburg erkrankt und kurze Zeit später stirbt.

Daniel Bernoulli gelingt es, Leonhard Euler, den besten der Schüler seines Vaters, als Nachfolger seines Bruders zu gewinnen. Aber auch Daniel leidet unter den harten klimatischen Verhältnissen. Trotz der äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit mit Euler, der Aufstockung seines Gehalts und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen bewirbt er sich ab 1731 um frei werdende Stellen in Basel – lieber übernimmt er wieder den Lehrstuhl der Botanik als noch länger im kalten St. Petersburg zu bleiben. 1733 kehrt er in seine Heimat zurück.

1734 reicht Daniel erneut eine Arbeit zur Ausschreibung der Pariser Akademie ein (zu der Frage, warum die Planetenbahnen ähnliche Neigungen besitzen), und gewinnt den ersten Preis, den er sich jedoch mit seinem Vater teilen muss. Johann ist empört darüber, dass ausgerechnet Daniels Arbeit als gleichrangig zu seiner angesehen wird, und verweigert von da an seinem Sohn den Zutritt zum Elternhaus.

Damit nicht genug, denkt sich der Vater eine besondere Form der Bestrafung seines Sohnes aus: Kurz vor seiner Abreise aus St. Petersburg hatte Daniel das Manuskript zu einem Buch mit dem Titel »Hydrodynamica« fertiggestellt und dort einem Setzer übergeben. Bedingt durch die lange Dauer der Übermittlung von Nachrichten und mehrfach notwendiger Korrekturen und Ergänzungen wird das Werk erst 1738 gedruckt.

Ein Jahr später erscheint Johann Bernoullis Buch »Hydraulica«, das große Übereinstimmungen mit Daniels »Hydrodynamica« hat – allerdings gibt Johann 1732 als Jahr der Fertigstellung an, um hiermit vor aller Welt zu zeigen, dass sein Sohn ein Plagiator ist. Dem sanftmütigen Daniel kann man indes nicht vorwerfen, dass er sich nicht genügend darum bemüht hat, seine Hochachtung vor den wissenschaftlichen Leistungen seines Vaters zu zeigen: In die erste Zeile des Titelblatts der »Hydrodynamica« setzt er neben seinen Namen als Autor noch »Joh. Fil.«, also Sohn von Johann.

1743 kann Daniel endlich den ungeliebten Lehrstuhl für Botanik abgeben und eine Medizin-Professur übernehmen, von 1750 bis 1776 dann den Lehrstuhl für Physik. Aus heutiger Sicht ist es bemerkenswert zu erwähnen, dass er in seinen Physik-Vorlesungen nicht nur vorträgt, sondern seine Lehre durch Experimente veranschaulicht.

Insgesamt zehnmal gewinnt Daniel Bernoulli den ausgeschriebenen Wissenschaftspreis der Pariser Akademie: Außer zu den oben angegebenen Themen geschieht dies für Arbeiten über die optimale Form eines Schiffsankers, über die Newtonsche Theorie der Ursache der Gezeiten (zusammen mit Euler, mit dem er in ständigem Briefkontakt steht), über Fragen des Magnetismus, über Methoden der Zeitmessung auf dem Meer, über Meeresströmungen sowie über Kräfte, die auf Schiffe wirken.

Wegen seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen wird Daniel Bernoulli von zahlreichen Akademien durch Ehrenmitgliedschaften geehrt: Bologna, St. Petersburg, Berlin, Paris, London, Bern, Turin, Zürich und Mannheim.

Mit dem Namen Daniel Bernoullis verbinden wir heute noch die folgenden Begriffe:

  • Der Bernoulli-Effekt aus der Strömungslehre: Eine Vergrößerung der Fließge-schwindigkeit einer (inkompressiblen, viskosefreien) Flüssigkeit ist mit einer Verminderung des statischen Drucks verbunden. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass ein Schlauch, aus dem Wasser fließt und der gegen eine Wand gehalten wird, zur Wand hingezogen wird (»hydrostatisches Paradoxon«). Die Gesamtenergie der Flüssigkeitselemente, also Staudruck + hydrodynamischer Druck + Schweredruck, bleibt konstant (so genannte Bernoulli-Gleichung).

  • Das Bernoulli-Prinzip in der Entscheidungstheorie: Auf Nikolaus (I) Bernoulli, einem Cousin Daniels, geht ein Problem zurück, das als Sankt-Petersburg-Paradoxon in die Literatur eingegangen ist: In einem Spielcasino wird ein Spiel angeboten, bei dem eine (faire) Münze so lange geworfen wird, bis Wappen erscheint; der Auszahlungsbetrag verdoppelt sich von Runde zu Runde – der Erwartungswert der Auszahlung ist daher unendlich groß. Paradoxerweise wäre also ein Spieleinsatz in beliebiger Höhe angemessen. Daniel Bernoulli empfiehlt, die Teilnahme am Spiel vom Nutzen für die eigene Person abhängig zu machen.

Daniel Bernoulli

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