Direkt zum Inhalt

Kommentare - - Seite 992

Ihre Beiträge sind uns willkommen! Schreiben Sie uns Ihre Fragen und Anregungen, Ihre Kritik oder Zustimmung. Wir veröffentlichen hier laufend Ihre aktuellen Zuschriften.
  • Eine praktikable, weil operationable Definition

    03.03.2010, Prof. Dr. Uwe Lehnert
    Philosophie und Theologie haben über die Jahrtausende davon gelebt, dass sie Begriffe in die Welt setzten, bei denen das damit Gemeinte nur in ihren Köpfen existierte, obwohl sie behaupteten, dass dem damit Gemeinten weltbestimmende Macht innewohne. Ein Beispiel für solche gedankliche Konstruktionen ist das so genannte Böse als absolute moralische Wesenheit, gern versinnbildlicht in Gestalt des Teufels. Handlungen mögen als "böse" bezeichnet werden, wenn sie bewusst gesellschaftliche Regeln verletzen, ein Ausfluss des "Bösen an sich", das sich des Menschen als ausführenden Organs bediene, sind sie sicher nicht.

    Eine ähnlich abstrakte Konstruktion ist der Begriff der Menschenwürde, die letztlich – wie Dahl erwähnt – mit der angeblichen Gottesebenbildlichkeit des Menschen begründet wird. Dieser Begriff entzieht sich damit einer allgemein gültigen Rechtfertigung und erlaubt, Diskussionen schlagartig zu beenden, weil eine Ablehnung eines solchen Arguments damit als Blasphemie gebrandmarkt werden kann. Der dahlsche Vorschlag, jede behauptete Verletzung der Menschenwürde daraufhin zu prüfen, ob sie eine Verletzung der Menschenrechte darstellt, führt daher eine handhabbare Konkretisierung und Präzisierung ein. Der Begriff der Menschenwürde – wenn man denn auf ihn nicht verzichten mag – wird damit operationabel, d. h. es lässt sich nachvollziehbar beurteilen, ob hier tatsächlich eine Verletzung von (verfassungsmäßig garantierten) Menschenrechten stattfindet, ob diese Verletzung vorsätzlich, achtlos, unbeabsichtigt oder gar unvermeidlich stattfindet, und es lässt sich die Schwere der Verletzung beurteilen. Letzteres kann dann von Bedeutung sein, wenn verschiedene Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen sind.

    Embryonenforschung zum Beispiel mit dem Hinweis auf die Verletzung der Menschenwürde zu verbieten, wäre danach unbegründet, weil ein Embryo kein Mensch ist (ein Embryo ist ein Embryo!), folglich würde hier auch kein Menschenrecht verletzt. Gleiches gälte zum Beispiel auch bei der Beurteilung, ob eine helfende Maßnahme am Lebensende die Menschenwürde verletze. Denn welches Menschenrecht, das sich ja immer nur im Individuum konkretisieren kann, wird verletzt, wenn ein sterbenskranker Mensch um Erlösung von seinem unerträglich gewordenen Leiden bittet und diesen letzten Willen erfüllt bekommt?

    www.uwelehnert.de
    Stellungnahme der Redaktion

    Sehr geehrter Herr Prof. Lehnert, ich fühle mich durch Ihren Leserbrief geehrt, denn ich bin ein begeisterter Leser Ihres kürzlich erschienenen Buches "Warum ich kein Christ sein will", in dem Sie sich ja weitgehend mit ähnlichen Fragen beschäftigen wie ich.

    Was die Sterbehilfe anbelangt, gebe ich Ihnen auf der ganzen Linie recht. Was die Embryonenforschung anbelangt, so würde ich Ihnen jedoch darin widersprechen, dass der Embryo kein Mensch sei. Ich halte die Frage "Ab wann ist der Mensch ein Mensch?" für vollkommen verfehlt. In meinen Augen lautet die Frage "Ab wann ist menschliches Leben schützenswert?"

    Der menschliche Embryo und der menschliche Fetus sind sicherlich Menschen im rein deskriptiven Sinne, insofern sie tatsächlich Mitglieder der Spezies Homo sapiens sind. Doch was zur Debatte steht ist die Frage, ob sie auch Menschen im normativen Sinne sind - ob ihr Leben also denselben moralischen und rechtlichen Schutz verdient wie das Leben erwachsener Menschen.

    Und meine Antwort auf diese Frage lautet "Nein!" In meinen Augen sind Moral und Recht dazu da, unsere Interessen zu schützen. Embryonen und Feten sind jedoch Wesen, die keine Interessen haben, ja noch nicht einmal haben können, weil ihnen die hierfür notwendigen neurobiologischen Voraussetzungen fehlen.



    Edgar Dahl

  • Warnung vor zu großer Euphorie

    03.03.2010, J.Götz, Dresden
    Zunächst sollten die Maßeinheiten richtig gebraucht werden. Da es um die Speicherung von elekrischen Energiemengen geht, sollte die Speicherkapazität in Gigawattstunden, Megawattstunden oder Kilowattstunden angegeben werden und nicht die Leistung, die die Batterie unter Last über einen gewissen Zeitraum abgeben kann.

    Weiterhin möchte ich folgende Bedenken anbringen:
    Wenn ich die Angaben im Artikel richtig zuordne, hat die entwickelte Batterie eine Kapazität von 700 Kilowattstunden und könnte ein Megawatt abgeben, d.H. sie ist nach 0,7 Stunden leer. Ihre Leistungsdichte beträgt rund 0,01 Megwattstunden pro Kubikmeter.

    Betrachtet man den Fall, dass die in Deutschland installierten 25 Gigawatt Windkraft für einen Tag (24 Stunden) zum Beispiel durch solche Batterien ersetzt werden sollten, würde eine Energiemenge von rund 600 Gigawattstunden benötigt, für die rund ein Million dieser Batterien erforderlich wären. Die Kosten von Lithiumbatterien dieser Größe dürften derzeit im sechstelligen Bereich liegen. Um also einen Tag Flaute überbrücken zu können, wären Investitionen im Bereich einiger hundert Milliarden Euro erforderlich. Ist das effektiv?

    Deutschland hat vor dem Hintergrund der derzeit ans Netz angeschlossenen Kraftwerke eine Leistungsreserve von 7000 Megawatt vorzuhalten. Das entspricht grob fünf Kernkraftwerken der Leistungsklasse 1,5 Gigawatt. Die Kosten eines solchen Kernkraftwerks liegen in der Größenordnung fünf Milliarden Euro. Die Zahlen sprechen für sich: der Weiterbetrieb und gegebenenfalls Neubau von Kernkraftwerken ist ökonomisch und sinnvoll, weil er eine sichere Versorgung zu wirtschaftlichen Preisen garantiert. Die Argumente zur Sicherheit werden gern nachgeliefert.

    In diesem Zusammenhang sei auch auf die Entwicklung des ITER verwiesen, mit dem die Energieversorgung zukünftig sichergestellt werden könnte - auch wenn es durchaus Probleme bei dessen Entwicklung gibt.
  • Langfristig denken!

    02.03.2010, Gero Rupprecht, Eching
    "Geologische Engpässe existieren so gut wie nicht" - hier fehlt eine Aussage über den betrachteten Zeitraum. Aus dem Kontext wird klar, dass typisch über Jahre oder höchstens Jahrzehnte nachgedacht wird, und da mag das auch stimmen. Fragwürdig wird die Sache allerdings, wenn man wirklich global denkt, und zwar auch zeitlich!

    Ernsthaft und quantitativ vorgenommen haben sich diese Frage zwei herausragende Wissenschaftler: Roger-Maurice Bonnet, der ehemalige Wissenschaftsdirektor der ESA, und Lodewijk Woltjer, der ehemalige Generaldirektor der ESO, in ihrem Buch "Surviving 1000 Centuries: Can We Do It?" Und über diesen - zugegeben sehr langen - Zeitraum betrachtet sieht die Situation völlig anders aus. Selbst heute scheinbar reichlich vorhandene Rohstoffe werden knapp, wenn wir weiter so großzügig mit ihnen umgehen wie bisher. Eine faszinierende, aber auch ernüchternde Lektüre, wenn man ernsthaft sehen will, was das wirklich langfristige Überleben der Menschheit erfordert!
  • Entwarnung

    02.03.2010, Markus Fischer, CH-Lugnorre
    Endlich Entwarnung! Nach all den Ermahnungen zu Nachhaltigkeit, Umdenken, Verzicht & Co. (vgl. dazu als aktuelles Beispiel den Artikel "Was von "Nachhaltigkeit" zu halten ist" auf Seite 15 im aktuellen NZZ FOLIO) kann ich wieder beruhigt schlafen, leben und weiter konsumieren. Es hat genug für Alle, offenbar ungeachtet von Szenario, Entwicklung und Folgen. Das nenne ich Erkenntnis - Stand März 2010, nicht im Busch, sondern in einer großen europäischen Volkswirtschaft.
  • Interessantes Argument

    01.03.2010, Kevin Fleischer
    Das Beispiel der Herzklappe ist durchaus geschickter.

    Ich finde das Argument von Magnus Rummey jedoch trotzdem interessant, denn es verweist wiederum auf Kant: "Das Ungeborene als reines Mittel - nicht als Zweck."

    Ich denke, hieran kann man eine Diskussion über die Würde gut entwickeln.

    Wenn die Operation/Eingriff dazu dient, dem Embryo einen Nutzen zu verschaffen, so ist der Embryo nicht nur ein "Mittel", sondern er ist der Zweck des Eingriffs. Somit ist für mich nachvollziehbar dargelegt, dass ein solcher Eingriff nicht die Würde des Menschen verletzt. Es muss einfach klar sein, dass der Vorteil eventuelle Nachteile deutlich überwiegt.

    Wenn jedoch ein Eingriff dazu dient, dass einer anderen Person als dem Embryo ein Nutzen zukommt, und dem Embryo vordergründig nicht, so bewegt man sich auf moralisch dünnem Eis.

    Hier kommt die Frage ins Spiel, ob einem Lebewesen, welches nicht selbst lebensfähig ist, eine Würde zukommt.
    Lebensfähig im Sinne von "10 Minuten ohne Unterstützung seine lebenserhaltenden Funktionen aufrechtzuerhalten."
    Stellungnahme der Redaktion

    Ich gebe Ihnen weitgehend recht. Doch ich bezweifele nach wie vor, dass der Begriff der Menschenwürdeverletzung wirklich hilfreich ist.



    Wenn wir Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen zeugen, haben wir sie offenbar als "ein bloßes Mittel um Zweck" gebraucht. Doch ist das ein "Verbrechen"?



    Wenn ja, was ist mit den Kindern, die gezeugt werden, nur um eine Ehe zu retten? Ist die Menschenwürde dieser Kinder verletzt worden? Haben die Frauen, die zu diesem jahrtausendealten Trick gegriffen haben, ein "Verbrechen" begangen? Ich glaube nicht.



    Edgar Dahl, Münster

  • Holzschnittartig und wenig durchdacht

    01.03.2010, Werner Kirsch, Köln
    Erst argumentiert Edgar Dahl ausführlich, dass der Begriff der Menschenwürde vermeintlich untauglich, geradezu überflüssig ist. Aus unserer Verfassung eliminieren will er ihn aber nicht. Warum? Traut er seiner eigenen Argumentation nicht?

    Und wenn die Menschenwürde in der Verfassung stehen bleiben soll, weshalb soll sie dann aus der bioethischen Diskussion herausgehalten werden? Gilt für die Bioethik ein außerhalb oder gar über der Verfassung stehendes Sonderrecht? Und wenn ja, welches? Wer formuliert und wer legitimiert es?

    An die Stelle des schwammigen Begriffs der Menschenwürde sollen die Menschenrechte treten, da diese präziser seien, schreibt Edgar Dahl. Wie aber der Begriff Menschenrecht definiert ist, wie ein Recht beschaffen sein muss, um ein Menschenrecht zu sein und auf was dieses Recht fußt, darüber verliert er kein Wort. Hätte er das getan, so wäre schnell klar geworden, dass sich die Menschenrechte gerade eben auf die Menschenwürde beziehen. Ohne diesen Bezugspunkt fehlt dem Begriff des Menschenrechts das Fundament. Man könnte dann alles nach Gutdünken zum Menschenrecht erklären – oder, je nach Kassen- und Wirtschaftslage, wieder abschaffen!

    Ein gewachsener Begriff wie die Menschenwürde lässt sich nicht in eine einfache Definition packen (wobei Kants Verbot der reinen Instrumentalisierung des Menschen hier schon weit reicht). JEDER Begriff, also auch der der Menschenwürde, ist für sich alleine genommen erst einmal eine leere Hülse. Er gewinnt erst durch Konkretisierungen und Handlungsanweisungen wie zum Beispiel die Menschenrechte an Kontur und Leben. In der deutschen Verfassung sind das die in den Artikeln 2 bis 19 aufgeführten Grundrechte: Die Würde des Menschen ist unantastbar (Artikel 1), das heißt, jeder Mensch hat ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2), Mann und Frau sind gleichgestellt (Artikel 3) usw. Dass es auf die Fragen, was die Menschenwürde konkret bedeutet und wie sie zu schützen ist, zu verschiedenen Zeiten verschiedene Antworten gab und dass um sie immer wieder aus Neue gerungen werden muss, wie das von Edgar Dahl angeführte Beispiel der Sterbehilfe zeigt, ist nicht zu vermeiden. Gerade dieses Ringen darum formt den Begriff der Menschenwürde und darf natürlich auch nicht aus der Bioethik-Diskussion herausgehalten werden.

    Edgar Dahl geht in seinem Essay mit der Menschenwürde doch sehr holzschnittartig um, bedient sich wenig durchdachter Argumente und holprigen oder sogar falschen Vergleichen. Vieles wurde bereits in anderen Leserbriefen angesprochen, und ich möchte mich nicht der Festrednermaxime bedienen, nach der alles bereits gesagt ist, nur noch nicht von jedem. Zwei Dinge nur noch:

    Zum einen: Herr Dahl behauptet, wir alle seien Chimären, da sich ja Bakterien in unserem Darm befänden. Nachdem er in mehreren Leserbriefen darauf hingewiesen wurde, dass sein Beispiel falsch ist, möchte er es, wie er in einer Antwort auf Magnus Rummeys Leserbrief schreibt, durch die in ein menschliches Herz implantierte Herzklappe eines Schweins ersetzt wissen. Doch auch dieses Beispiel ist falsch, denn in der Bioethik-Diskussion geht es, wie Herr Dahl im ersten Satz seines Essays schreibt, um GENETISCHE Chimären! Es geht um Menschen, denen tierische Gensequenzen im Zweifelsfall weit vor ihrer Geburt in ihr Erbgut eingefügt wurden. Das ist etwas essenziell anderes als Bakterien im Darm oder Schweineklappen im Herzen! Will das Herr Dahl nicht verstehen? Oder versucht er seinen Lesern Sand in die Augen zu streuen und sie für dumm zu verkaufen!

    Zum anderen: Edgar Dahl möchte die Menschheit von einigen Geißeln befreien. Was könne man dagegen haben, so schreibt er, künftige Generationen vor Aids und Krebs zu schützen. Nun: Die Erwartung durch bestimmte Forschungsanstrengungen fürderhin einmal Krebs, Aids, Demenz, Parkinson usw. heilen zu können, wird aber auch gerne als Totschlagargument eingesetzt (oder zur Abschöpfung neuer Forschungsgelder)! Niemand will gerne an Krebs oder Aids erkranken. Und wenn er daran erkrankt, möchte er geheilt werden. Doch hier geht es um Heilung, allenfalls um Vorbeugung, und nicht um Heil! Wie die Geschichte gezeigt hat, haben Heilsversprechungen, insbesondere dann, wenn sie mit der Schaffung eines neuen, eines besseren Menschen verbunden sind, letztlich zu großem Unheil geführt. In den schlimmsten Fällen haben sie Millionen von Leichen hinterlassen.
    Stellungnahme der Redaktion

    Hier wird wirklich mit Kanonen auf Spatzen geschossen! Der Punkt ist doch ganz einfach der, dass man die Diskussion um die Erzeuung von Hybriden und Chimären bereits mit dem Schlagwort der "Menschenwürde" beenden will, bevor sie überhaupt begonnen hat. Mag ja sein, dass es gute Einwände gegen die Zeugung von Hybriden und Chimären gibt. Doch dann sollte man die Rechte benennen, die durch ihre Erzegung verletzt werden, statt an die nichts sagende Menschenwürde zu appellieren. Besser noch: Man sollte den konkreten Schaden benennnen, den Hybride oder Chimären erleiden. Die Berufung auf die Menschenwürde ist doch nur das Symptom eines Defizits an Argumenten!



    Es gibt zahlreiche Formen von Hybriden und Chimären. Sie alle aufzulisten und genauer zu definieren, war nicht nötig, da es in meinem Essay ausschließlich um den Missbrauch des Begriffs der Menschenwürde ging. Die Hybridisierung, die Chimärisierung und das Enhancement sind nur als aktuelle Beispiele gewählt worden, an denen deutlich wird, wie man ohne Argumente und bloßer Rhetorik eine Diskussion zu stoppen sucht.



    Ich bin der Letzte, den Sie darüber belehren müssen, dass der Versuch, den Himmel auf Erden zu errichten, nur allzu oft zur Hölle geführt hat. Beim Enhancement, der Hybridisierung oder der Regenerativen Medizin geht es aber nicht um die Umsetzung einer absurden politischen Ideologie wie des Kommunismus oder des Nationalsozialismus, sondern einzig und allein um die Entwicklung einer medizinischen Therapie und Prävention.



    Nachdem wir bereit waren, unsere Kinder mit Hilfe einer Schutzimpfung gegen die Pocken zu schützen, sehe ich keinen PRINZIPIELLEN Grund, weshalb wir sie nicht auf dieselbe Art und Weise auch vor Aids oder Krebs schützen sollten, wenn dies möglich und sicher ist.


    Edgar Dahl, Münster

  • Für Ethik braucht es mehr als Rhetorik

    27.02.2010, Ulfert Höhne, Wien
    Die Darstellung Edgar Dahls provoziert – schon weil sie die Komplexität der ethischen Frage, um die das Konzept der Menschenwürde ringt, so hartnäckig ausblendet, dass man versucht ist, dem Autor dies übel zu nehmen. Einige Aspekte fehlen doch schmerzlich, wenn man die Ethik der Medizin in aller Würde weiterbringen will.

    Bereits die Definition des Enhancement als "generell die Verbesserung menschlicher Fähigkeiten" ist hinterhältig – falsch vom Wortsinn und tendenziös in der Logik (oder in den Interessen). Das ist billiger Utilitarismus, wo eigentlich die Diskussion einzusetzen hat, die Kant zu seinem Imperativ führte.

    "Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest."

    Kant nutzt ja nicht von ungefähr das Wort "Menschheit" in seiner ganzen Mehrdeutigkeit von individuellem Menschsein bis zur Gesamtheit der menschlichen Art, Kultur und Evolution. Demnach möge jedes Handeln immer und jedenfalls (auch) die Menschenqualität des Handelnden und der Menschheit um ihrer selbst Willen zum Zweck haben.

    Was Neuro-"Enhancement", Smart Pills, Happy Pills etc. betrifft, drohen schiere materielle Ziele und wenig moralische Antriebe die Oberhand zu gewinnen, wohl verstärkt durch milliardenschwere Werbung.

    Wer definiert die Ziele, bestimmt, was besser ist? Ist Enhancement besser? Konzentrierter, weniger nervös, weniger sensibel ist besser? Aufnahmefähiger, weniger abgelenkt, weniger widerborstig ist besser? Ist zielorientiert besser als innovativ? Dient der Zweck, das Rennen um den besseren Job zu gewinnen, der Menschheit in mir?

    Und die Entwicklung ist absehbar: Pharmazeutisch verstärkte Höchstleistung wird erst zum akzeptierten Standard, dann zum faktischen Nutzungszwang. Menschliche Fehler, Talente, Schwächen und Regungen ("Menschheit in deiner Person") verkommen zu aussteuerbaren Größen.

    Wenn Studenten im Rennen um die knappen Studienplätze und Stipendien sich faktisch zum Doping gezwungen sehen, sind wir zu weit. Wenn ein pharmazeutisch aufgeschlossener Bewerber um einen Arbeitsplatz einfach bessere Chancen hat, wenn von verantwortungsvollen Pilotinnen schließlich erwartet wird, dass sie Smart Pills im Sinne der Sicherheit Hunderter Menschen nutzen, dann ist der Kantsche Imperativ weit verfehlt. Die Fragen setzen sich fort über Kosten, Chancengleichheit und Gerechtigkeit und laufen alle darauf hinaus, dass hier eine Welle auf uns zuläuft, die ethisch fundierter gesellschaftlicher Steuerung bedarf.

    Dafür ist allerdings eine ernsthaftere und tiefere Diskussion notwendig, als sie Herr Dahl in diesem – hoffentlich tatsächlich nur provokativ gemeinten – Artikel abführt.
    Stellungnahme der Redaktion

    Enhancement vs Diminishment
    Vielen Dank für Ihren Leserbrief! Sie schreiben: "Bereits die Definition des Enhancement als 'generell die Verbesserung menschlicher Fähigkeiten' ist hinterhältig – falsch vom Wortsinn und tendenziös in der Logik (oder in den Interessen). Das ist billiger Utilitarismus, wo eigentlich die Diskussion einzusetzen hat, die Kant zu seinem Imperativ führte.



    Diese Definition ist weder "falsch" noch "tendenziös", geschweige denn "hinterhältig". Und mit "Utilitarismus" hat sie schon einmal gar nichts zu tun.



    Während "diminishment" die Verschlechterung von Fähigkeiten bedeutet, bedeutet "enhancement" die Verbesserung von Fähigkeiten.



    Wer bestimmt, was eine "Verbesserung" ist? Das Individuum! Ich persönlich würde eine Pille, die meine Aufmerksamkeit und meine Merkfähigkeit vergrößert, als eine Verbesserung betrachten. Jemand anders, mag dies aber durchaus anders sehen. Was dem einen sin Uhl, ist dem anderen sin Nachtigall.



    Meines Erachtens sollte man mit der Unterstellung, dass es letztlich nur um den Profit der Pharmafirmen geht, vorsichtig sein. Es gibt genügend Leute, die froh wären, wenn es ein sicheres und zuverlässiges Medikament gäbe, mit der man seine gelegentlichen Verstimmungen behandeln könnte.



    Bin ich der Meinung, dass jeder ein psychisches "Tief" mit Hilfe einer Pille kurieren sollte? Selbstverständlich nicht! Doch wer bin ich, dass ich es wagen wollte, es anderen zu verbieten?



    In Ihrem letzten Abschnitt haben Sie mir gut in die Hände gespielt. Denn Ihre Bemerkungen zum Neuro-Enhancement zeigen sehr schön, dass man kontroverse biotechnologische Entwicklungen auch ohne Berufung auf die viel beschworene Menschenwürde kritisieren kann.


    Edgar Dahl, Münster

  • Behutsamkeit ist gefragt

    26.02.2010, Werner Kirsch, Köln
    Sehr geehrter Herr Janicijevic,

    leider lese ich Ihren Beitrag erst jetzt, nachdem er in der Märzausgabe von Spektrum veröffentlicht wurde.

    Folgende Begebenheit habe ich selbst erlebt: Eine junge, asiatisch aussehende Dame lief fröhlich über die Bremer Jazzmesse "Jazzahead" und wunderte sich, dass sie von den anderen Messeteilnehmern kritisch beäugt wurde: Auf ihrem T-Shirt stand "jazz.kz".

    Die junge Frau kam aus Kasachstan und "jazz.kz" war schlicht eine kasachische Webadresse. Nachdem ihr einige Messebesucher erläutert hatten, wofür die Abkürzung KZ in der deutschen Sprache stand, war sie ganz erschrocken und hat sich sofort umgezogen. Egal wofür KZ sonst noch stehen mag; im Deutschen ist es als Kürzel für Konzentrationslager durch die Zeit des Nationalsozialismus belastet. Dabei ist das Konzentrationslager nicht einmal eine Erfindung der Nazis. Hätte es die Verwendung diese Begriffes im Dritten Reich nicht gegeben, würde man das Gefangenenlager auf Guantanamo heute wohl ganz selbstverständlich als concentration camp bezeichnen.

    Sprache wird durch Geschichte geprägt. Ehemals völlig unverfängliche Begriffe können durch eine neue, möglicherweise ja missbräuchliche Verwendung eine negative Bedeutung erhalten. Den Satz "Arbeit macht frei" wird man in der Deutschen Sprache wohl nie wieder ohne Erinnerung an Auschwitz verwenden können, auch wenn man seinem eigentlichen Inhalt noch so zustimmen mag. Das Hakenkreuz lässt sich in Deutschland nicht als indisches Glückssymbol verwenden, und polnische Erntehelfer kann man nicht als "Ostarbeiter" bezeichnen. Der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner wurde schwer dafür gescholten, dass er in seiner ihm eigenen sprachlichen Trampeligkeit während einer Predigt die Worte "entartet" und "Kultus" (nicht einmal "Kunst") in einem Satz gebrauchte. Man mag diesem Mann viel vorwerfen können, jedoch keine gedankliche Nähe zum Nationalsozialismus.

    Darf man all diese ursprünglich unverfänglichen Worte und Begriffe nicht mehr benutzen, nur weil sie von den Nazis missbraucht wurden? Man darf! Vielleicht muss man sogar, um dem Nationalsozialismus die Macht über diese Begriffe wieder zu entreißen. Aber man sollte es, wie Sie Herr Janicijevic ja selbst schreiben, behutsam und mit sprachlicher Sensibilität tun! Dafür muss mann sich aber zunächst darüber bewusst sein, dass diese Begriffe durch missbräuchliche Verwendung eine Bedeutungsänderung erlangt haben. Das Wort "Lebensborn" in einer Überschrift zu verwenden, weil es eine so schöne Alliteration zu "Todesbote" (born - bote) ist, zumal auf diesen Begriff im Text nicht wieder Bezug genommen wird, nenne ich nicht behutsam. Dass der Text nicht in einem politischen Kontext steht, ist dabei meines Erachtens ohne Belang. Kardinal Meisners Predigt stand auch in keinem politischen oder historischem Zusammenhang. Ärger gab's trotzdem.
  • Würde des Menschen

    26.02.2010, Michael Buscher, Langerwehe
    Ist die Menschenwürde nicht die Würde, die jeder Mensch für sein Leben beansprucht?

    Diese Würde zu akzeptieren ist so weit für andere verbindlich, wie die Gedanken der Menschenrechte dies fordern.

    Darüber hinaus verfügt aber meiner Ansicht nach jeder Mensch über das Recht, eine individuelle Würde für sich zu beanspruchen - ganz im Sinne von Kant so weit, wie nicht die Würde (und die vom Gesetz garantierten Rechte) anderer dadurch beschnitten werden.
    Stellungnahme der Redaktion

    Persönliche Würde oder menschliche Würde?
    Ich gebe Ihnen Recht. In meinen Augen gibt es tatsächlich Würde. Aber mit dieser Würde meine ich nicht die menschliche Würde, sondern die persönliche Würde.



    Wenn Marcel Reich-Ranicki in seiner Autobiografie beispielsweise davon berichtet, dass im besetzten Polen Jüdinnen dazu gezwungen wurden, deutsche Dienstgebäude auf allen vieren kriechend mit ihrer eigenen Schlüpfern zu reinigen, ist ihre persönliche Würde verletzt worden.



    Warum belassen wir es also nicht bei der persönlichen Würde? Ich sehe keinen Fortschritt und auch keinen Erkenntnisgewinn darin, die "Menschenwürde" zu bemühen.


    Edgar Dahl, Münster

  • Worin besteht die 'Würde' des Menschen?

    26.02.2010, Wilfried Kunstmann
    Zunächst danke ich Herrn Dahl für seine klugen und provokanten Gedanken. Die Frage ist, ob man diesen Gedanken zustimmen kann. Dazu möchte ich nur sagen:
    (a) die Würde des Menschen ist natürlich antastbar - dazu genügt ein täglicher Blick in die Zeitung. Deshalb sind die Menschenrechte (auch die sozialen und kulturellen) ein zentraler normativer Schritt zur Menschwerdung des Menschen. Die "Menschenwürde" ist nicht ohne Grund als Oberprinzip ins Grundgesetz aufgenommen worden: dieser unbestimmte Rechtsbegriff ermöglicht es, konkrete Menschenrechte zu definieren (vgl. Art.1 II). Daß diese auch auf anderen Wegen bestimmt werden können, steht auf einem anderen Blatt.
    (b) In der bioethischen Diskussion wird in der Tat häufig mit der Menschenwürde als abschließende Begründung argumentiert, was man als Totschlagargument klassifizieren könnte, wenn Herr Kohl nicht Recht hätte: 'Totschlagargument' ist selbst ein Totschlagargument'.
    (c) Herr Dahl macht einen Vorschlag, der als regulative Idee der bioethischen Diskussion ernst genommen werden sollte: Lasst uns konkret diskutieren, welche Rechte des Menschen bei den einzelnen Verfahren verletzt werden können. Aus solchen Diskussionen könnte dann auch eine vorlaufende Verfeinerung der Menschenrechte entstehen. Ich denke z.B. an die von Herrn Kohl aufgeworfene wichtige Frage der Patentierbarkeit von Genen und genetischen Manipulationen.
    (d) Machen wir uns nichts vor: Sollte irgendwann die Möglichkeit entstehen, durch gezielte Eingriffe in das Erbgut Krebs gar nicht erst entstehen zu lassen, werden findige Unternehmer diese Methode profitabel zu nutzen wissen. Was aber, wenn die Möglichkeit erforscht würde, die Toleranz für Radioaktivität zu erhöhen und damit Menschen zu schaffen, die sich besonders für Arbeiten mit radioaktiven Substanzen eignen? Die Bemerkungen von Herrn Dahl zum Thema Chimären zeigen mir da eine offene Flanke.
    (e) Letztendlich besteht das zentrale Problem der Bioethik darin, daß es bei ihren Fragen nicht primär um die Menschenrechte (und die Menschenwürde) bereits existierender Menschen geht - da gäbe es reichlich zu tun -, sondern um Eingriffe in künftige Generationen. Hier können die Überlegungen von Jürgen Habermas helfen, die Menschenrechte künftiger Menschen zu definieren.

    Stellungnahme der Redaktion

    Vielen Dank für Ihren Leserbrief! Sie haben vollkommen Recht, dass es in vielen Fragen der Bioethik nicht um die Würde gegenwärtiger, sondern um die Würde zukünftiger Menschen geht.

    Ihren Vorschlag, Habermas zu lesen, in allen Ehren, doch ich bevorzuge es, Bücher zu lesen, die mir Wissen vermitteln statt mir Kopfschmerzen zu geben.


    Edgar Dahl, Münster

  • Kein vernünftiges Gegenargument

    26.02.2010, Kurt Meuli, Valbella (Schweiz)
    Michael Springer fragt nach den Gründen für eine Verschwörung der Klimaforscher. Könnte es sein, dass sie alle nicht gerne am Ast sägen, auf dem sie sitzen?

    Zu meiner Meinung über die Klimapolitik habe ich noch kein vernünftiges Gegenargument gehört. Vielleicht kann Michael Springer mir helfen: „Niemand weiß, ob und allenfalls wie stark die Freisetzung von CO2 neben den vielen Kräften, die seit je Eis- und Warmzeiten verursacht haben, Klimaänderungen beeinflusst. Sollte ihr Einfluss entgegen der vernünftigen Abschätzung doch bedeutsam sein, werden alle fossilen Energieträger trotzdem verbrennt, weil der Menschen Abneigung vor dem Verhungern und dem Erfrieren alle ihre anderen Bedürfnisse verdrängt.

    Auch die Drosselung ihres CO2-Ausstoßes ist nutzlos. Naturgesetze steuern die Übertragung und den Abbau der Treibhausgase. Sie würden einzig das Maximum einer allfälligen Klimawirkung etwas hinausschieben. Statt uns weiter bis ans Ende der fossilen Energieträger mit enormem Aufwand, aber ohne Wirkung gegen den Klimawandel zu wehren, würden wir diese Mittel vernünftiger dafür einsetzen, um die uns dann fehlende Energie mit bewährter Technik zu decken.

  • Sehr gut!

    24.02.2010, Klaus Koenig
    Vielen Dank, dass Sie die Kolumne von Michael Shermer übersetzen, das sind sehr schöne Beiträge. Es ist immer interessant, was Wissenschaftler zum Themenspektrum Parawissenschaften zu sagen haben.
  • Vorbild

    24.02.2010, Klaus Deistung, Wismar
    Die Vorbildwirkung des deutschen Recyclingsystems ist gut – wir wissen auch, dass noch mehr Rohstoffe "herumliegen", die verwertet werden könnten. Manchmal liegt es an der Motivation der Leute, die angebotenen Möglichkeiten zu nutzen. Hin und wieder gibt es "Straßensammlungen", z. B. von Schrott, den man einfach vor die Haustür legt – und schon ist man ihn los und der Keller wieder leerer.

    Batterien und Akkus kann man überall abgeben, und bei Handys gibt es ebenfalls mehrere Möglichkeiten, etwa in den Verkaufsstellen. Sperrmüll wird erfasst und verschieden verwertet, im Endergebnis auch zur Wärmegewinnung mit Stromerzeugung.

    Unser Problem ist vielmehr, in vielen unserer Urlaubsländer das Müllproblem im Sinne des Recyclings in den Griff zu bekommen. Das ist ein langfristiges Ziel, das kurzfristig angegangen und systematisch erweitert werden muss. Auch wenn sich viele Hände im Kleinen um Recycling bemühen, können sie nicht die großen Anlagen der Sammelzentren ersetzen.

    Selbst sauberes Wasser für alle ist in diesen Ländern oft noch ein Problem – und weg muss das Abwasser ebenfalls wieder. Es gibt noch viel zu tun!
  • Würde ist ein Konjunktiv

    24.02.2010, Karl-Heinz Haid, Isny-Beuren
    „Niemand kann mich zwingen auf seine Art glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer nicht Abbruch tut“, sagte Kant. Und Edgar Dahl folgert daraus: „Lasst uns also die Konsequenzen ziehen und den Einwand der Verletzung der Menschenwürde ein für alle Mal aus der bioethischen Diskussion verbannen.“ Und dies unterstreicht er damit, dass für die einschlägigen Verbrechen „unser Gesetzbuch einen eigenen Strafbestand enthält“.

    Als Rechtsphilosoph weiß er aber, dass aus bestehenden Gesetzen, dem positiven Recht, keine moralischen Schlüsse gezogen werden können und keine gerechte Gesellschaftsordnung entsteht, wie die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts eindringlichst gezeigt hat. Er vergleiche dazu die Schriften von Gustav Radbruch vor und nach 1945.

    Der Prozess muss gerade umgekehrt verlaufen: Wir brauchen eine Vorstellung vom würdigen Menschsein, um daraus abzuleiten, wie unser Staatswesen organisiert sein soll und danach müssen die Rechtsnormen ausgerichtet werden. Ethikkommissionen sind nun dazu da, aus allgemeinen Vorstellungen über die Würde des Menschen zu Handlungsmaximen für Praktiker, Gesetzen, zu kommen. Also zum Beispiel auszuloten, wo der Biowissenschaftler, der seine Glückseligkeit im Züchten von Chimären oder im Entwickeln von Neuro-Enhancements sucht, an die Freiheitsgrenzen seiner Umwelt stößt. Insofern gehört Kant noch nicht in die Mottenkiste, wenn ihn der heutzutage im Namen der Freiheit zelebrierte Gay-Kult auch abgestoßen hätte. Und ich fühle mich in meiner Freiheit nicht erst dann verletzt, wenn ich entführt werde!

    Dabei ist der zitierte Satz von Herrn Wickler – wenn ich auch nicht weiß, in welchem Zusammenhang und mit welcher Intonation er gesprochen wurde – durchaus bedenkenswert: „Würde ist ein Konjunktiv!“ Also eine Möglichkeitsform, etwas, was wir immer neu überdenken und formulieren müssen. Etwas, um was wir uns – ganz im Sinne Kants – bemühen müssen. Und natürlich ist meine Würde antastbar, durch andere, die meine Lebenswelt durch ihr Streben nach Glückseligkeit bestimmen, und durch mich, wenn ich nicht mehr den Ehrgeiz habe, besser zu sein als das unvernünftige* Vieh. Aber das heißt nicht, dass es sie nicht gibt! Und es heißt nicht, dass sie angetastet werden darf, auch wenn im Einzelfall kein entsprechender Straftatbestand im Gesetzbuch steht.

    * die Vernunft und Würde der Tiere ist ein anderes – auch bioethisches – Thema.
    Stellungnahme der Redaktion

    Menschenwürdiges Leben


    "Wir brauchen eine Vorstellung vom würdigen Menschsein, um daraus abzuleiten, wie unser Staatswesen organisiert sein soll und danach müssen die Rechtsnormen ausgerichtet werden."

    Entschuldigen Sie, wenn ich widerspreche, doch ich würde sagen: Nein! Um zu ermitteln, welche rechtlichen Normen wir für ein gelingendes Staatswesen benötigen, müssen wir lediglich die Interessen der Menschen kennen und Gesetze schmieden, die uns helfen, ihre Interessenkonflikte zu lösen.

    Über die Vorstellung von einem "würdigen Menschsein" wird es nie Einigkeit geben. Daher wäre es auch kontraproduktiv, damit beginnen zu wollen.


    Edgar Dahl, Münster

  • Ständiger Widerspruch

    24.02.2010, Dr. Christian Jäkel
    Den Versuch des Biomediziners Dahl, die Menschenwürde aus der Bioethik herauszuhalten, kann ich nicht unwidersprochen lassen, zumal sich der Autor in seinem Artikel ständig selbst widerspricht. Dahl hält den Begriff der Menschenwürde für verzichtbar, da er durch die Menschenrechte abgedeckt sei. Falsch. Wer etwa Produktionsstätten in Billiglohnländer verlagert zwecks Unterlaufung gewerkschaftlicher Forderungen, verletzt keine Rechte der Billigarbeiter, er verschafft ihnen sogar Verdienstmöglichkeiten, aber er instrumentalisiert sie und verletzt so ihre Menschenwürde.

    Müssen wir einen Flirt zum Zweck der Schürung von Eifersucht gleichermaßen verurteilen wie eine Vergewaltigung? "Sicher nicht", legt Dahl der Leserschaft in den Mund und glaubt sich der Zustimmung sicher, weil er annimmt, dass jeder sich dabei ertappt fühlt. Falsch. Beides tritt die Würde des Mitmenschen mit Füßen, und beides ist schlimm. Schlimmer: Mit seiner Suggestivfrage versucht Dahl seinerseits, die Leser für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Dass Kant die Todesstrafe für gerechtfertigt hielt, ist bedauerlich, aber auch er war ein Kind seiner Zeit. Aber hätte er auch nichts gegen Neuro-Enhancement und Gentherapie gehabt?

    Sind diese mein privater Weg zur Glückseligkeit, den ich nach Gutdünken beschreiten kann? Falsch. Wenn diese Möglichkeiten erst einmal allgemein verfügbar sind, werden bald Arbeitgeber auf dem einen und Krankenversicherer auf dem anderen bestehen. Und schon wird aus der vermeintlichen Freiheit das Gegenteil: eine Instrumentalisierung, der man dann ohne den Begriff der Menschenwürde nicht mehr viel entgegenzusetzen hätte! Sofern solche Präparate (zum Neurodoping und zur Stimmungssteigerung) sicher, zuverlässig und nebenwirkungsarm wären, spricht nichts gegen ihr Einnahme? Falsch. Warum es falsch ist, werden spätere Generationen wissen, die mit den Spätfolgen – medizinischer wie sozialer Art – konfrontiert sein werden.

    Galt nicht die Atomenergie einmal als die Ultima Ratio? Sicher, zuverlässig, nebenwirkungsarm. Und jetzt sitzen wir da mit dem Atommüll. Durch Darmbakterien fühle ich mich in der Tat weder als Chimäre noch in meiner Würde verletzt. Der Evolution traue ich zu, dass sie unsere Spezies in den Millionen Jahren ihres Wirkens optimiert hat, und wenn dafür Darmbakterien erforderlich waren: okay. Aber wenn wir schon derart optimiert sind: Welches Vertrauen verdienen dann Molekularbiologen, die uns versprechen, sie könnten das alles noch viel besser? Der Autor zitiert Michel de Montaigne: "Die Anmaßung ist unsere natürliche Erbkrankheit." Genau. In diesem Punkt gebe ich ihm unwidersprochen Recht.
    Stellungnahme der Redaktion

    Selbstwiderspruch?
    Man neigt natürlich immer dazu, für die eigenen Fehler blind zu sein. Doch ich glaube, in diesem Falle sind wirklich Sie es, der sich widerspricht. So schreiben Sie etwa: "Sofern solche Präparate (zum Neurodoping und zur Stimmungssteigerung) sicher, zuverlässig und nebenwirkungsarm wären, spricht nichts gegen ihr Einnahme? Falsch. Warum es falsch ist, werden spätere Generationen wissen, die mit den Spätfolgen – medizinischer wie sozialer Art – konfrontiert sein werden." Nun, wenn spätere Generationen Grund zur Klage hätten, wären die Präparate ja wohl per definitionem nicht "sicher".



    Zudem scheinen Sie mir einen viel zu weiten Begriff von "Instrumentalisierung" zu haben. So schreiben Sie: "Dahl hält den Begriff der Menschenwürde für verzichtbar, da er durch die Menschenrechte abgedeckt sei. Falsch. Wer etwa Produktionsstätten in Billiglohnländer verlagert zwecks Unterlaufung gewerkschaftlicher Forderungen, verletzt keine Rechte der Billigarbeiter, er verschafft ihnen sogar Verdienstmöglichkeiten, aber er instrumentalisiert sie und verletzt so ihre Menschenwürde."



    Ein Unternehmer, der seine Produktionsstätten ins Ausland verlegt, um die Produktionskosten zu senken, verletzt niemandes Rechte und niemandes Würde. Er instrumentalisiert die Billiglohnarbeiter auch nicht! Ganz im Gegenteil: Er bringt sie in Lohn und Brot. Er würde sie nur dann instrumentalisieren, wenn er sie zur Arbeit in seinem Unternehmen zwingen oder ihnen kein Gehalt zahlen würde. Von alledem kann jedoch keine Rede sein.



    Sie werden sicher erwidern, dass der Unternehmer aber doch die Not der ausländischen Arbeiter ausnutzt. Vielleicht. Doch dies ist keine Instrumentalisierung, denn ansonsten würden wir alle instrumentalisiert werden. Jeder von uns ist schließlich "genötigt", seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch instrumentalisiert mich meine Universität, wenn sie meine Not, Frau und Kinder ernähren zu müssen, dazu nutzt, mich unterrichten zu lassen? Sicher nicht!



    Angesichts des überbordendes Hasses auf Unternehmer würde ich sogar einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass es in aller Regel umgekehrt ist, dass nicht der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, sondern der Arbeitnehmer den Arbeitgeber "instrumentalisiert". Die Arbeitnehmer betrachten den Arbeitgeber nämlich nur zu oft als ein bloßes Mittel, mit dessen Hilfe sie ihre eigenen Zwecke zu erreichen suchen - nämlich ein Dach über den Kopf zu finden und Essen auf dem Tisch zu haben. Dies wird spätestens dann deutlich, wenn ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber wegen eines höheren Gehaltes zu Gunsten eines anderen Arbeitgebers verlässt.



    Wie auch immer, in all diesen Fällen von "Instrumentalisierung" oder gar von "Menschenwürdeverletzungen" zu sprechen, erscheint vollkommen unangemessen.


    Edgar Dahl, Münster

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.