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America first? Nicht wirklich

Die Veranstaltung hat, der Teilnehmerzahl von 3200 zum Trotz, gewisse Züge eines Familientreffens. Die Leute, die die leistungsstärksten Computer der Welt herstellen und betreiben, sind ein relativ kleiner Kreis. Man trifft sich seit mehr als 30 Jahren im festen Rhythmus: im Frühsommer in Deutschland, im Spätherbst in den USA, und veröffentlicht die mittlerweile berühmte Top500, die Liste der 500 rechenstärksten Computer der Welt. Und das mit dem Familientreffen ist durchaus wörtlich zu verstehen: Anstelle von Hans Meuer, dem verstorbenen Initiator der ganzen Konferenzreihe, organisieren inzwischen seine Söhne Thomas und Martin die Veranstaltung.

Die beiden ersten Plätze der Top500 nehmen chinesische Maschinen ein: Ein Gerät mit dem poetischen Namen Sunway TaihuLight bietet mit einer (nach dem etablierten Standard LINPACK gemessenen) Leistung von 93 Petaflops (93 x 1015 Rechenoperationen pro Sekunde) fast das Dreifache der Leistung des Zweitplatzierten Tianhe-2. Die Insider kann das wenig überraschen: Der Tianhe-2 war bei siner Inbetriebnahme der Konkurrenz so weit voraus, dass er drei Jahre in Folge den ersten Listenplatz einnahm, bis ihn sein Landsmann im Sommer 2016 in den Schatten stellte.

Eher überraschend ist der dritte Platz: Piz Daint vom Nationalen Computerzentrum der Schweiz stand schon einmal relativ weit oben in der Liste und war dann allmählich von konkurrierenden Systemen überholt worden. Aber mit der Hilfe von zusätzlichen zweckentfremdeten Grafikprozessoren (die können nur einige wenige Dinge, die aber sehr schnell) hat sich das Gerät wieder auf einen Spitzenplatz hochgearbeitet.

Erst danach kommen die Computer aus den USA, die sonst eigentlich immer die ersten Ränge dominieren. Dass unter den ersten drei Plätzen kein Amerikaner ist, das ist bisher erst einmal vorgekommen. Das kann sich doch Donald Trump mit seinem "America first" eigentlich nicht gefallen lassen, oder?

An dieser Stelle machen die amerikanischen Fachleute ziemlich süßsaure Gesichter. Natürlich ist nationaler Ehrgeiz ein starkes Motiv. Der hat häufig – und manchmal stärker als die Nachfrage nach Rechenleistung – das technologische Wettrennen beflügelt. Nur: Wenn Trump erst dahinterkommt, dass ein großer Teil der Hochleistungs-Rechenkapazität für Klimaforschung verwendet wird, was passiert dann?

Zum Eröffnungs-Hauptvortrag kommt eine Firma zu Wort, der das Hochleistungsrechnen nicht wirklich in die Wiege gelegt wurde: Microsoft. Aber nichts da: Man hat inzwischen ein richtiges Forschungszentrum in New York, und Jennifer Chayes, die (Mit-)Gründerin desselben, brennt in einer knappen Stunde ein wahres Feuerwerk ab. Es fängt an mit ganz abstrakter mathematischer Graphentheorie, und ehe man sich's versieht, ist man bei sehr großen Graphen wie dem Beziehungsnetz von Facebook oder dem World Wide Web. Ein raffinerter Übergang zum Grenzfall unendlich vieler Knoten, und man landet bei Ergebnissen, die nicht nur das Amazon-Problem lösen ("Welche Produkte soll ich dem Kunden außerdem noch schmackhaft zu machen versuchen?"), sondern vielleicht auch das entscheidende Glied in dem DNA-Protein-Netzwerk finden, das bei Fehlfunktion eine Krebserkrankung auslöst.

Jennifer Chayes fliegt am Montag in der Frühe aus New York ein, hält ihren Vortrag und sitzt eine Stunde später schon wieder im Flieger – für ihre innere Uhr also ein Auftritt in tiefer Nacht. Nages Sieslack, die Pressechefin des Kongresses, weiß daraufhin eine plausible Erklärung dafür, dass Chayes so eine imposante Liste von Veröffentlichungen und wissenschaftlichen Ehrungen auszuweisen hat: "Sie schläft nicht …"

Kleine Begegnung am Rande: Ich komme dem Kollegen Andreas Stiller von c't so bekannt vor. Ob man sich kürzlich schon mal über den Weg gelaufen sei? Nach längerem Überlegen kommen wir drauf: Das war bei dem großen Presseereignis, als IBM seine Chipfabrik in Böblingen eröffnete. Helmut Kohl höchstselbst hatte auf den roten Knopf gedrückt, der angeblich die ganze Produktion anlaufen ließ. Das war im Frühsommer 1989. Wie die Zeit vergeht …

Die Konferenz geht noch bis Mittwoch, 21. Juni.

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