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Hirnforschung: Kernschmelze im Gehirn

Heidelberg. Unter starkem psychischen Stress fallen mitunter Hirnregionen aus, die der Selbstkontrolle dienen. Dann übernehmen andere, primitive Hirnbereiche das Kommando, und impulsives Verhalten bricht durch. In solchen Situationen neigen wir etwa zu hemmungslosem Essen und Trinken, exzessivem Drogenkonsum oder zügellosem Einkaufen. Das schreiben amerikanische Psychiaterinnen und Neurobiologinnen in der Dezemberausgabe von "Spektrum der Wissenschaft".
Fällt in Stresssituationen eine wichtige Steuerzentrale unseres Gehirns, der präfrontale Kortex, aus, kommt es zu Denkblockaden und Verhaltensstörungen.

Verantwortlich für die Selbstkontrolle ist der so genannte präfrontale Kortex, ein Abschnitt der Großhirnrinde hinter der Stirn. Normalerweise hält er unsere Gefühle und Impulse im Zaum. In Stresssituationen kann es jedoch vorkommen, dass er mit Signalstoffen aus tieferen Hirnregionen überflutet wird und seine Arbeit einstellt.

"Archaische" Teile des Gehirns beginnen dann unser Verhalten zu prägen. Zahlreiche Forscher suchen nach Trainingsmethoden, Medikamenten und Entspannungstechniken, die dabei helfen sollen, dass wir unsere Selbstkontrolle auch unter außergewöhnlichen Belastungen aufrechterhalten. Wichtig ist das etwa für Notfallmediziner, Katastrophenhelfer und Militärangehörige.

Hintergrund: Der präfrontale Kortex ist ein Areal an der Stirnseite der Großhirnrinde. Er vermittelt unsere am höchsten entwickelten kognitiven Fähigkeiten, darunter die zur Konzentration, Planung, Analyse sowie das Urteilsvermögen und den Gedächtniszugriff. In psychisch stark belastenden Situationen schütten tief gelegene Hirnregionen die Signalstoffe Noradrenalin und Dopamin aus. Diese hemmen die Arbeit des präfrontalen Kortex, indem sie seine Nervenverbindungen quasi kurzschließen. Anschließend übernehmen "archaische" Hirnregionen wie der Hypothalamus die Kontrolle über unser Verhalten. Das führt dazu, dass wir lähmende Angst spüren oder Impulsen erliegen, die wir normalerweise im Zaum halten.

Vermutlich dient dieser Mechanismus dem Überleben. Denn in plötzlichen Gefahrensituationen sorgt er zum Beispiel dafür, dass wir unter Schock stehenbleiben oder augenblicklich die Flucht ergreifen, ohne darüber nachzudenken. Noch heute nützen uns solche primitiven Reaktionen, etwa wenn uns ein Autofahrer die Vorfahrt nimmt und wir impulsiv auf die Bremse treten. Hält der Alarmzustand im Gehirn jedoch länger an, etwa unter starkem Dauerstress, kann der präfrontale Kortex bleibend verkümmern – und mit ihm die Fähigkeit zur Selbstkontrolle.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, Dezember 2012
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