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Wissenschaftsgeschichte: Kopernikus - Revolution mit Hindernissen

Das kopernikanische System, dem zufolge die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums ruht, stieß keineswegs nur auf den Widerstand der Kirche. Auch die meisten Astronomen fanden seinerzeit, das Modell widerspreche den Beobachtungen.
Kopernikus

Ein Forscherteam am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung bei Genf, schickte 2011 einen Neutrinostrahl auf eine 730 Kilometer lange Reise zum Gran-Sasso-Nationallaboratorium in L’ Aquila (Italien). Als die Forscher die Flugzeit maßen, schienen die Daten deutlich zu besagen, die Neutrinos hätten die Vakuumlichtgeschwindigkeit überschritten. Wie reagierten die Wissenschaftler auf dieses überraschende Resultat? Fast niemand verwarf gleich Albert Einsteins tausendfach bestätigtes Postulat, wonach nichts sich schneller bewegen darf als das Licht. Die allermeisten Fachkollegen waren davon überzeugt, die Messungen seien fehlerhaft – und sollten damit auch Recht behalten.

Versetzen wir uns nun 400 Jahre voraus in eine fiktive Zukunft, in der Einsteins Ideen längst überholt sind. Wie dort jeder Physikstudent lernt, haben Forscher vor langer Zeit experimentell bestätigt, dass Neutrinos tatsächlich Überlichtgeschwindigkeit erreichen. Wie würde man dann rückblickend den Widerstand heutiger Physiker gegen das Messresultat einschätzen? Vielleicht fände man, die Physiker des 21. Jahrhunderts seien einfach unflexibel und unempfänglich für neue Ideen gewesen – bloß ein Haufen engstirniger Einsteinianer, der blind dem Diktat von Tradition und Autorität folgte. Wir hoffen, dass unsere zögerlichen Forscher später einmal nicht so hart beurteilt werden. Denn ihre Weigerung, vernünftig erscheinende Schlussfolgerungen aufzugeben, ist kein Zeichen für hartnäckige Vorurteile, sondern gute wissenschaftliche Praxis.

Ähnliche Fälle kommen in der Wissenschaftsgeschichte gar nicht selten vor. Im 19. Jahrhundert glaubten die Astronomen, die Milchstraße umfasse das gesamte Universum. Als sie die ersten Aufnahmen der Andromedagalaxie untersuchten, hatten sie daher guten Grund zu der Annahme, der "Andromedanebel" sei ein einzelner, von einem entstehenden Planetensystem umgebener Stern – und nicht, wie wir heute wissen, eine mehrere Millionen Lichtjahre entfernte Ansammlung von Billionen Sternen. In ähnlicher Weise war Einsteindavon überzeugt, das Universum sei statisch, und führte deshalb in seine Gleichungen eine kosmologische Konstante ein, die eine Expansion des Alls verhinderte. Beide Annahmen waren vernünftig – und falsch. Wie David Kaiser vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und Angela N. H. Creager von der Princeton University bereits in dieser Zeitschrift argumentierten, kann eine Annahme zugleich falsch und sehr fruchtbar sein. ...

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  • Quellen und Literaturtipps

Danielson, D.: Ancestors of Apollo. In: American Scientist 99, S. 136 - 143, 2011

Graney, C. M.: The Telescope Against Copernicus: Star Observations by Riccioli Supporting a Geocentric Universe. In: Journal for the History of Astronomy 41, S. 453 - 467, 2010

Van Helden, A.: Measuring the Universe: Cosmic Dimensions from Aristarchus to Halley. University of Chicago Press, 1985

Blumenberg, H.: Die Genesis der kopernikanischen Welt. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981
Grundlegendes Werk zum Wandel des Weltbilds vom Mittelalter zur Neuzeit

Singh, S.: Big Bang: Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007
Spannende Schilderung der Auseinandersetzungen um kosmologische Fragen einst und jetzt

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