Direkt zum Inhalt

Gute Frage: Sind Menschen, die Stimmen hören, psychisch krank?

Akustische Halluzinationen sind ein beliebtes Stilmittel in Horrorfilmen. Doch das transportiert ein falsches Bild. Auch Gesunde können Stimmen hören, wo keine sind.
Frau hält sich vor Lärm die Ohren zu
Manchmal möchte man sich die Ohren zuhalten. Doch diese Stimmen finden nur im Kopf statt.

Manche Menschen hören Stimmen, wo es keine gibt. Diese besondere Form der akustischen Halluzination erscheint vielen so faszinierend, dass sie Eingang in die Popkultur fand. Doch weil die meisten von uns das Stimmenhören nur aus Büchern und Filmen kennen, rankt sich darum eine Reihe von Mythen. Das beginnt schon bei der Frage, wer denn da eigentlich zu den Betreffenden spricht. In früheren Zeiten machte man oft übernatürliche Wesen dafür verantwortlich, etwa Dämonen oder Engel, und hielt Betroffene wahlweise für besessen oder erleuchtet.

Heute wissen wir: Beim Stimmenhören sind Hirnareale aktiv, die für das Verstehen und Produzieren von Sprache zuständig sind. Sehr ähnliche neuronale Aktivität ist auch zu verzeichnen, wenn wir unserer inneren Stimme lauschen, also still in Gedanken Sätze formen. Es handelt sich demnach um einen inneren Monolog, der von manchen Menschen jedoch so wahrgenommen wird, als käme er von außen. Das klingt dann etwa, als stünde jemand mit im Raum. Nicht ganz geklärt ist, welche konkreten Veränderungen der Hirnfunktion dazu führen, dass man eigene Gedanken als derart »von außen kommend« wahrnimmt.

Der wohl größte Mythos aber ist die Annahme, wer Stimmen hört, sei psychisch krank. Richtig ist, dass das Stimmenhören ein Symptom einer psychotischen Störung sein kann. Es tritt bei der Schizophrenie in etwa 70 Prozent der Fälle auf. Häufig sind auch Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Zwangsstörung davon betroffen sowie rund jeder Dritte mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Es gibt aber auch psychisch gesunde Menschen, die gelegentlich Stimmen hören. Sie führen dennoch ein normales Leben und benötigen keine psychiatrische oder therapeutische Hilfe. Denn nicht jeder, der Stimmen hört, leidet darunter. Studien deuten darauf hin, dass zwischen drei und acht Prozent aller Erwachsenen im Wachzustand schon einmal Stimmen halluzinierten. Im jungen Alter ist das deutlich häufiger: Gut jedes zehnte Kind hat sich schon einmal Stimmen eingebildet. Das ist in aller Regel kein Grund zur Sorge; meistens verstummen sie mit der Zeit von selbst.

Ein weiterer Mythos ist, dass die Stimmen immer Böses von sich geben. Zwar sind die Worte, die Menschen mit einer psychotischen Störung hören, typischerweise kritisch, beleidigend oder sogar bedrohlich. Doch etwa die Hälfte aller psychotischen Störungen werden mindestens zeitweise von freundlichen Stimmen begleitet, die demjenigen beratend oder tröstend zur Seite stehen. Die fantasierten Monologe – ob freundlich oder streng – können manchmal Stunden dauern, oft fällt aber auch nur ein einziger Satz.

Wie lässt sich nun harmloses von bedenklichem Stimmenhören unterscheiden? Es kommt vor allem auf den Stress an, den es verursacht. Bei Gesunden sprechen die Stimmen meist nur kurz und neutral oder positiv. Bei einer psychischen Störung dauern die Episoden hingegen meist länger und sind durch negative Inhalte geprägt. Solche Betroffene erleben die Stimmen auch häufig als übermächtig und unkontrollierbar. Das Ergebnis ist nicht selten ein Rückzug aus sozialen Beziehungen. Wer die Stimmen im Kopf hingegen als nicht bedrohlich und drängend wahrnimmt, reagiert meist gelassener auf sie – und kann sie leichter ignorieren.

Ein konstruktiver Umgang mit dem Stimmenhören ist daher ein Ziel psychotherapeutischer Ansätze. Es geht hierbei nicht darum, die Stimmen loszuwerden, sondern ihnen die Macht zu nehmen. So kann man zum Beispiel lernen, den Stimmen zuzuhören, ohne gleich alles zu glauben, was sie sagen. Auf diese Weise lässt sich selbst mit Stimmen im Kopf gut leben.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Schlier B., Bremenkamp A.: Ratgeber Stimmenhören und andere akustische Halluzinationen. Informationen für Betroffene und Angehörige. Hogrefe, Göttingen 2023

Beavan V., et al: The prevalence of voice-hearers in the general population: A literature review. Journal of Mental Health 20, 2011

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.