Direkt zum Inhalt

Weitemeiers Widerspruch: Die fettige Wunderwaffe

Eine buttrige Kaffeekreation soll der Energie-Booster schlechthin sein: Sie mache wach, satt, leistungsfähig wie nie – und auch noch schlank. Wer's glaubt, wird selig.
Butter in Kaffee zu mixen, klingt ein bisschen unappetitlich. Bei näherer Betrachtung ist es das auch.

Ich liebe Butter. Frisches, saftiges Brot, eine dicke Schicht Butter, darüber cremiger Honig. Oder Bergkäse, mit einem Hauch frisch gemahlenem Pfeffer. Doch es gibt Dinge, in denen ich Butter strikt ablehne – in meinem Kaffee zum Beispiel. Das stellt mich allerdings vor ein Problem: Es schließt mich von der Gruppe an Menschen aus, die morgens ohne Frühstück topfit zur Arbeit gehen, bis zum Mittag keinen Hunger verspüren und dabei leistungsbereit sind wie nie.

Zumindest dann, wenn man dem Versprechen des »Bulletproof Coffee« glaubt. Das Rezept mag zunächst irritieren: eine Tasse Filterkaffee, zwei Esslöffel Weidebutter, dazu Kokosöl. Aber die Mixtur soll nicht nur bis zum Mittagessen satt machen, sondern auch für einen unvergleichlichen Energiekick sorgen – da das Koffein durch das viele Fett nur langsam ins Blut gelangt.

Die Genese ist schnell erzählt: Dave Asprey, Unternehmer aus dem Silicon Valley, kommt nach einer erschöpfenden Klettertour im Himalaja durch einen tibetischen Tee mit Yak-Butter wieder derart in Schwung, dass er das Rezept, leicht abgewandelt, als Wundergetränk schlechthin in den USA populär macht. Nicht ohne Erfolg. Die Frage nach der Wirkung dieses maximal fettigen Heißgetränks füllt Männermagazine, Frauenzeitschriften, Fitness-Foren und, klar, Instagram.

Speck und Butter statt Kraut und Rüben

Kurz gesagt: Bulletproof Coffee gehört zum Ernährungskonzept der ketogenen Diät. Über deren Sinnhaftigkeit lässt sich streiten. Das Prinzip lautet ungefähr so: Streiche alles, was du jemals über gesunde Ernährung gelernt hast – und ersetze es durch das Gegenteil. Heißt: Keine Kohlenhydrate, stattdessen ganz viel Fett und ein paar Proteine. Also gerne viel Butter, aber auf gar keinen Fall Brot. Speck ist okay, Sahne auch. Obst bloß in Ausnahmefällen, lieber nur grünes Gemüse.

Tatsächlich nimmt man durch diese Form der Ernährung ab. Denn durch den strikten Verzicht auf Kohlenhydrate verfällt der Körper in eine Art Hungerstoffwechsel: Die Leber holt sich ihre Energie statt aus Kohlenhydraten – die sie vergebens sucht – aus Fett, das sie in einen Glukose-Ersatz umwandelt: Ketone. Die versorgen dann Organe und Hirn mit Energie, das Fett verbrennt fast wie von selbst.

Wählt man dann auch noch die richtigen Fette, läuft's wie geschmiert. Statt sich mit Sahne oder Olivenöl langkettige, trantütige Fettsäuren in den Kaffee zu mischen, nimmt der Kenner die agile mittelkettige Variante in Kokosöl und Butter. Die wird ruckzuck gespalten, auf dem schnellsten Weg zur Leber transportiert – und von da direkt ins Hirn. Energie-Kick.

So weit, so gut. Doch abgesehen von der Tatsache, dass ich mir noch nie den Kopf darüber zerbrochen habe, wie ich mein Müsli-mit-Früchten-Nüssen-und-Kokosraspeln-Frühstück am besten durch einen buttrigen Kaffee ersetzen könnte, verstehe ich eines nicht:

Fettreiche Mangelernährung

Bei kaum einer der hippen Ernährungsformen geht es nur ums Abnehmen. Es geht um einen Lebensstil: fit, leistungsfähig, kerngesund sein. Fernab ihres gewichtsreduzierenden Potenzials ist die ketogene Diät – und mit ihr der Bulletproof Coffee – aber vor allem eines nicht: gesund. Nicht nur der vielen Fette wegen. Wer all das meidet, was man gemeinhin unter gesunder Ernährung versteht – Obst, viele Gemüsesorten, Hülsenfrüchte –, dem fehlen unweigerlich wichtige Nährstoffe und Vitamine.

Ein Blick auf die Studienlage zeigt: Es gibt einige kleine Studien, die die kurzfristigen Effekte auf Gewicht, Sättigungsgefühl oder Blutzuckerspiegel untersuchen: Wer sich strikt ketogen ernährt, ist demnach länger satt, nimmt schneller ab als bei einer Low-Fat-Diät und hat einen niedrigeren Blutzuckerspiegel. Auch der Effekt auf Epilepsie im Kindesalter (gemischte Bilanz) oder die Krebsentwicklung (negativ) wurde überprüft. Verlässliche Langzeitstudien allerdings gibt es nicht. Was eine so extrem fettreiche Ernährung also auf Dauer in uns anrichtet, ist nicht bekannt. Fakt ist jedoch: Experten raten entschieden davon ab.

Hinzu kommt: Das Ganze funktioniert nur, wenn man den Kohlenhydrat-Bann strikt durchzieht. Als kleiner Wachmacher zur nachmittäglichen Apfeltarte macht der Bulletproof Coffee weder fit noch schlank – im Gegenteil. Und da er nicht einmal unter Genussaspekten reizvoll ist, praktiziere ich lieber eine Art Bulletproof-Trennkost. Die Butter genieße ich weiter auf dem Brot, gerne auch mal ein bisschen mehr, in meinen Kaffee darf aber höchstens Milchschaum. Und das Kokosöl schenke ich mir ganz.

Schreiben Sie uns!

1 Beitrag anzeigen

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.