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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Es gibt nur fünf perfekte Körper

Zumindest sind die fünf platonischen Körper in der Mathematik ein Inbegriff von Perfektion. Warum es nur fünf davon gibt, erklärt die Topologie.
Platonische Körper in verschiedenen Farben
In der Antike dachte man, die vier Elemente (Feuer, Erde, Wasser und Luft) bestünden aus Teilchen, die wie platonische Körper geformt sind.

Im echten Leben ist so gut wie nichts perfekt. In der Mathematik aber schon. So empfanden Gelehrte etwa Kreise und Kugeln wegen ihrer hohen Symmetrie als perfekt – auch deshalb fiel es ihnen schwer, vom Konzept der kreisförmigen Planetenbahnen abzulassen und die vom Astronomen Johannes Kepler (1571–1630) postulierten Ellipsen zu akzeptieren. Lässt man Kreise und Kugeln hingegen außen vor und konzentriert sich auf Polyeder (dreidimensionale Vielecke), dann stechen fünf davon besonders heraus: die so genannten platonischen Körper Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder. Zugegeben, ihre Namen sind es nicht, die ihnen ihre besondere Ästhetik verleihen. Stattdessen ist es ihre Form. Denn platonische Körper sind Polyeder mit der größtmöglichen Symmetrie. Jede ihrer Flächen ist durch gleich viele Kanten begrenzt, zudem treffen an jeder Ecke gleich viele Flächen aufeinander.

Beschränkt man sich auf Polyeder ohne Einbuchtungen oder Löcher, dann gibt es tatsächlich nur fünf Stück, die die obigen Anforderungen erfüllen. Grund dafür ist eine meiner Lieblingsgrößen aus der Mathematik: die Euler-Charakteristik. Dabei handelt es sich um eine Kennzahl aus der Topologie, dem abstrakten Teilbereich, bei dem man fast immer Gebäck als Analogie heranzieht. Statt sich auf geometrische Details zu versteifen, fokussieren sich Topologen auf die grundlegenden Eigenschaften von Objekten – und stellen sich dazu vor, sie seien aus Teig. Kann man zwei Figuren durch bloßes Kneten, ohne Reißen oder Zusammenkleben ineinander umformen, dann sind sie gleich. Das trifft auf ein Baguette und ein Brötchen zu – jedoch nicht auf einen Bagel und eine Brezel.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Obwohl erste topologische Ideen erst im 18. Jahrhundert entstanden, reicht die Geschichte der platonischen Körper viel weiter zurück. Gelehrte aus dem antiken Griechenland haben sich bereits intensiv damit beschäftigt, allen voran Platon (ca. 427–347 v. Chr.), der daher auch ihr Namensgeber ist. Er ging davon aus, dass die vier Grundelemente (Feuer, Wasser, Erde, Luft) aus je einem platonischen Körper aufgebaut sind: Feuer aus Tetraedern (eine spitze Form, die bei Berührung Schmerzen verursachen kann), Luft aus Oktaedern (so geschmeidig, dass man die Teilchen kaum spürt), Wasser aus Ikosaedern (fließt durch die Hände durch) und Erde aus Würfeln (bröckelige Struktur, die Teilchen können den dreidimensionalen Raum lückenlos füllen, was die Erde besonders stabil macht). Das Dodekaeder sei hingegen mit dem Äther und dem Sternenhimmel verbunden. Theaitetos, Mathematiker und Zeitgenosse Platons (ca. 415–369 v. Chr.), gelang es, mit geometrischen Mitteln zu beweisen, dass es nicht mehr als fünf dieser hochsymmetrischen Körper gibt. Knapp 2000 Jahre später versuchte Kepler, mit Hilfe dieser fünf Körper das bisher bekannte Sonnensystem zu erklären. Er scheiterte. Trotzdem führten ihn seine Überlegungen schließlich zur mittlerweile erwiesenen Feststellung, dass die Planetenbahnen ellipsenförmig sind.

Platonische Körper | Die fünf symmetrischsten Polyeder sind (von links nach rechts): Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder.

Dass es nur fünf platonische Körper gibt, ist somit seit der Antike bekannt. Doch es gibt einen eleganten Weg, das zu beweisen, der auf neueren Methoden fußt. Dieser hat mit einer Beobachtung des Schweizer Mathematikers Leonhard Euler (1707–1783) zu tun: Zählt man alle Ecken und Flächen eines lochlosen Polyeders zusammen und zieht davon die Anzahl der Kanten ab, kommt immer 2 heraus. Einfach immer! Überprüfen Sie es selbst: Ein Quader hat zum Beispiel 8 Ecken, 6 Flächen und 12 Kanten, also 8 + 6 − 12 = 2. Ein Trigondodekaeder hat 8 Ecken, 12 Flächen und 18 Kanten, wodurch sich 8 + 12 − 18 = 2 ergibt.

Gilt dieser Zusammenhang für alle Polyeder ohne Löcher, lässt sich das nutzen, um zu berechnen, wie viele platonische Körper es gibt. Aber warum sollte für die Ecken (V wie vertex), Kanten (E wie edge) und Flächen (F wie face) die »Eulersche Polyederformel« V − E + F = 2 immer erfüllt sein? Wie sich in den späteren Jahren herausgestellt hat, handelt es sich dabei um eine »topologische Invariante«: also eine Größe, die für alle Körper gleich ist, die sich ohne Reißen und Zusammenkleben ineinander verformen lassen. Das eröffnet viele Möglichkeiten, um allerlei Figuren auf einfachste Weise zu sortieren. Doch wir konzentrieren uns zunächst auf Polyeder – und zwar nur auf solche ohne Löcher. Und für die lässt sich relativ schnell zeigen, warum V − E + F = 2 gilt.

Weil es kompliziert ist, Berechnungen mit dreidimensionalen Objekten anzustellen, möchten wir zunächst die Polyeder vereinfachen – um genau zu sein, drücken wir sie flach. Die Schritte kann man beispielhaft an einem Würfel durchführen, sie lassen sich aber auf jedes andere Polyeder übertragen. Man fängt damit an, eine beliebige Fläche des Würfels zu entfernen. Damit hat man eine Art Box, in die man hineinschauen kann. Anschließend nimmt man die Kanten, die mit der entfernten Fläche verbunden waren, und drückt sie weit auseinander nach außen.

Flachdrücken eines Würfels

Das Objekt ist nun zweidimensional, so wie wir es wollten. Damit hat man einen Graph geschaffen, ein Netzwerk aus Ecken und Kanten. Der Graph besitzt aber eine Fläche weniger als der ursprüngliche Würfel, da wir sie anfangs entfernt haben. Die Anzahl der Ecken und Kanten ist gleich geblieben, daher muss die Eulersche Polyederformel für den Graphen nun lauten: V − E + F = 1. Unser Würfelbeispiel hat nun 8 Ecken, 12 Kanten und 5 Flächen, also 8 − 12 + 5 = 1. Um zu zeigen, dass alle flachgedrückten Polyeder die Formel V − E + F = 1 erfüllen, werden wir verschiedene Änderungen vornehmen, welche die Gleichung nicht beeinflussen.

Der erste Schritt besteht darin, alle Flächen des Graphen in Dreiecke zu unterteilen. Das heißt, man fügt einer Fläche so lange Kanten hinzu, bis sie nur noch aus Dreiecken besteht. In unserem Würfelfall ist das recht einfach, man muss jede Fläche halbieren. Komplizierte Flächen muss man aber unter Umständen mehrmals teilen. Durch das Hinzufügen einer Kante erhöht sich E um 1, ebenso die Anzahl der Flächen F. Die Anzahl der Ecken bleibt dadurch aber unverändert. In der Formel ergibt sich also: V − (E+1) + (F+1) = V − E + F. Das Unterteilen in Dreiecke ändert also nichts an der Eulerschen Polyederformel. In unserem Beispiel haben wir nach der Transformation 8 Ecken, 17 Kanten und 10 Flächen, also 8 − 17 + 10 = 1.

Dreiecke einfügen

Dieser Schritt hat nicht wirklich wie eine Vereinfachung gewirkt. Aber die nächsten zwei Schritte werden die Graphen erheblich simpler gestalten. Denn nun fängt man an, alle Flächen, die genau eine äußere Kante haben, samt äußerer Kante zu entfernen. Damit verschwinden nacheinander alle rot markierten Begrenzungen unseres Graphs – und mit ihnen vier Flächen. Bei jeder Eliminierung bleibt die Anzahl der Ecken gleich, lediglich die Anzahl der Kanten und der Flächen reduziert sich jeweils um 1. Damit folgt: V − (E−1) + (F−1) = V − E + F, das Ergebnis der Eulerschen Polyederformel bleibt also unverändert. Und tatsächlich: Nach der Transformation in unserem Beispiel gibt es 8 Ecken, 13 Kanten und 6 Flächen: 8 − 13 + 6 = 1.

Entfernen der äußeren Kanten

Nun folgt noch eine letzte Umgestaltung, welche die Eulersche Polyederformel unberührt lässt: Falls es Flächen gibt, die zwei äußere Kanten besitzen, dann entfernt man sie samt der äußeren Kanten und deren gemeinsamer Ecke. Das heißt, man entfernt alle »Zacken«. Dadurch reduziert sich die Anzahl der Ecken jedes Mal um 1, die der Kanten um 2 und die der Flächen um 1: (V−1) − (E−2) + (F−1) = V − E + F. Damit hat auch diese Veränderung keinen Einfluss auf das Ergebnis der Eulerschen Polyederformel. Man wiederholt diese Transformation so lange, bis von dem ganzen Graphen nur noch ein Dreieck übrig bleibt.

Die Zacken entfernen

Tatsächlich bleibt am Schluss immer genau ein Dreieck zurück. Man kann die genannten drei Transformationen bei jedem Polyeder ohne Loch durchführen, stets endet man beim Dreieck. Da alle Transformationen der Graphen die Eulersche Polyederformel unverändert lassen, ist das Ergebnis für jeden anderen Graphen gleich, der auch aus einem Polyeder entstand. Weil ein Dreieck aus 3 Ecken, 3 Kanten und 1 Fläche besteht, ergibt sich: 3 − 3 + 1 = 1. Da der Graph immer eine Fläche weniger besitzt als der ursprüngliche Polyeder, gilt für Polyeder: V − E + F = 2, wie es bereits Euler beobachtet hatte.

Das klingt vielleicht nicht sonderlich spektakulär, doch die Formel ist extrem hilfreich. Zum Beispiel lässt sich damit unser ursprüngliches Vorhaben beweisen: dass es nur fünf platonische Körper gibt! Diese symmetrischen Gebilde bestehen aus gleichen Polygonen (n-Ecken), wobei jede Ecke von genau m Kanten gekreuzt wird. Um herauszufinden, welche Polyeder diese Eigenschaften erfüllen können, suchen wir alle möglichen natürlichen Zahlen n und m, welche die Eulersche Polyederformel erfüllen.

Dafür muss man zunächst die Anzahl der Flächen und der Ecken eines Polyeders durch die Zahlen n und m ausdrücken. Wenn jeweils m Kanten eine Ecke kreuzen und jede Kante durch zwei Ecken begrenzt ist, dann gilt: m·V = 2E. Gleichzeitig bildet eine Kante immer eine Begrenzung für zwei Flächen. Da jede Fläche aus n Kanten besteht, folgt daraus: n·F = 2E. Indem man diese Erkenntnisse in die Eulersche Polyederformel einsetzt, erhält man: 2Em − E + 2En = 2. Diesen Ausdruck kann man vereinfachen, indem man die Brüche auf den Hauptnenner bringt, zusammenfasst und den Kehrwert bildet: 2nmn+2m2mn = 1E. Ein wenig weiteres Umformen liefert dann den Ausdruck: 1m + 1n = 1E + ½. Da der Summand 1E den Wert auf der rechten Seite einfach nur größer macht (er ist immer positiv), kann man stattdessen folgende Ungleichung für n und m betrachten: 1m + 1n > ½.

Um also einen platonischen Körper zu erzeugen, müssen die addierten Kehrwerte von n und m größer als 1/2 sein. Da n und m natürliche Zahlen sind und größer als drei sein müssen (sonst ist kein Polyeder möglich), lässt das nur fünf Möglichkeiten zu: (3,3), (3,4), (4,3), (3,5) und (5,3). Aus diesen ergeben sich die bekannten platonischen Polyeder – weitere kann es nicht geben, da beispielsweise 13 + 16 < ½ ist.

Triangulation einer Brezel

Damit haben wir dank der Eulerschen Polyederformel einen stichhaltigen Beweis dafür gefunden, dass es genau fünf platonische Körper gibt. Aber die Formel hilft nicht nur dabei, Polyeder zu untersuchen. Denn tatsächlich steckt hinter der Gleichung ein viel allgemeineres Konzept, das sich auf allerlei Figuren – und Raumdimensionen – anwenden lässt. Man kann eine Oberfläche zum Beispiel mit einem Netz aus Dreiecken überspannen und dann die Polyederformel berechnen: V − E + F. Das Ergebnis wird dabei, unabhängig davon, ob das Netz aus 6 oder 600 Dreiecken besteht, immer gleich sein. Bei einer Kugel erhält man wie bei Polyedern das Ergebnis 2. Doch bei anderen Oberflächen, etwa einem Bagel, erhält man den Wert 0. Wie sich herausstellt, ist V − E + F = χ eine topologische Invariante, also eine Kennzahl, die aus topologischer Sicht unterschiedliche Objekte voneinander unterscheidet. Wenn also χ für zwei Figuren unterschiedlich ausfällt, dass sind sie auch aus topologischer Sicht verschieden. Für gewöhnliche zweidimensionale Oberflächen gilt V − E + F = 2 – 2·L, wobei L die Anzahl der Löcher der Oberfläche ist. Für eine Brezel (3 Löcher) ist also χ = −4.

Und damit ist die von Euler vorgebrachte Formel zu einem unerlässlichen mathematischen Werkzeug geworden: Mit ihrer Hilfe kommen Topologen ihrem Ziel, geeignete Größen zu finden, um verschiedene Gebilde zu kategorisieren, einen Schritt näher.

​​Was ist euer Lieblingsmathetheorem? Schreibt es gerne in die Kommentare – und vielleicht ist es schon bald das Thema dieser Kolumne!

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