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Storks Spezialfutter: Erst kommt das Marketing, dann die Moral

Seit einem Jahr verrät ein freiwilliges Label, aus welcher Haltungsform Fleisch stammt. Und jetzt? Alles »4 - Premium«? Natürlich nicht. Eine echte Kennzeichnungspflicht muss her.
Verbraucher greifen zu - aber wo?

Wenn man Hühner, Schweine und Rinder fragen könnte, unter welchen Bedingungen sie leben möchten, wäre die Schnittmenge mit den tatsächlichen Haltungsformen überschaubar: Gibt es Hühner, die sich freiwillig mit einer Fläche von einem zehntel Quadratmeter zufriedengeben würden? Eher nicht. Wollen Sauen rund um die Geburt bis zu 35 Tage nahezu bewegungslos fixiert werden? Wohl auch nicht. Wollen Rinder sich frei bewegen können und regelmäßig auf einer saftigen Wiese weiden? Schon eher. Allerdings hat nicht einmal die Hälfte der Rinder Zugang zu einer Weide, schon gar nicht regelmäßig. Freilich hätten die Tiere noch gegen die besten Haltungsformen das Totschlagargument einzuwenden: Am Ende eines oft kurzen und unerfüllten Lebens werden sie geschlachtet, ausgeweidet und konsumiert.

An dieser grundlegenden Unwucht im Verhältnis zwischen Menschen und Tieren wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Trotzdem – vielleicht auch gerade deshalb – ist es wichtig, dass der Mensch sich die Haltungsformen seiner Nutztiere genau anschaut und zu verbessern sucht. Die Verbraucher wollen es auch so: 69 Prozent würden mehr zahlen, wenn sie sicher wären, dass die Tierhaltung besser ist. Das sagen sie zumindest in einer repräsentativen Umfrage für die Verbraucherzentralen. 79 Prozent der Verbraucher ist es demnach auch wichtig, dass Lebensmittel aus tierfreundlicher Haltung stammen.

Die Fleischindustrie labelt sich selbst

Eigentlich sollte ein staatliches Tierwohl-Label in diesem Punkt Abhilfe schaffen. Weil aber das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Julia Klöckner mit der Umsetzung nicht in die Puschen kommt, sind die Lebensmitteleinzelhändler gemeinsam mit Landwirten und Fleischwirtschaft vor einem Jahr vorgeprescht. »Initiative Tierwohl« heißt das gemeinsame Label, das seit April 2019 fast überall auf abgepackten Fleisch prangt. Unterschieden werden die Haltungsformen: 1 Stallhaltung, 2 Stallhaltung Plus, 3 Außenklima und 4 Premium. Die Stallhaltung entspricht dabei den gesetzlichen Mindestanforderungen; Premium dem europäischen Bio-Standard. Ob die Kategorien tatsächlich so »informativ und transparent« sind wie von der Initiative beworben, kann bezweifelt werden: Die zweitbeste Kategorie »3 Außenklima« klingt nach Auslauf und Weidegang, bedeutet aber in der Praxis nur, dass in einem Geflügelstall ein Fenster offen stehen muss oder bei Schweinen und Rindern eine Front des Stalls.

Ein Jahr nach Einführung des Labels hat die Initiative Bilanz gezogen, die für Tierfreunde ernüchternd ausfällt: Beim Rind ist der Absatz von Fleisch, das nur den gesetzlichen Mindestanforderungen entspricht (Haltung nach Stufe 1), mit 90 Prozent überwältigend groß. Beim Schweinefleisch stammen rund 80 Prozent aus der Haltungsform 1. Bei Geflügel sieht es etwas besser aus: Dort stammt nur noch weniger als ein Prozent aus Stallhaltung. Die Stufe 2 – Stallhaltung Plus – deckt mit 85 Prozent bei Hähnchen und 98 Prozent bei Pute den weitaus größten Bereich des gekennzeichneten Sortiments ab. Weiterhin wird aber vor allem günstiges Fleisch gekauft, bei dessen Produktion das Tierwohl kaum eine Rolle spielt.

»Bei Kennzeichnungen wird viel getrickst«

»Tierwohl ist Verbrauchern schon wichtig, und sie fordern das auch. Aber die meisten können oder wollen sich keine deutlich höheren Preise leisten«, sagt Patrick Klein, Sprecher der »Initiative Tierwohl«.

Zur Entlastung der Verbraucher könnte man unter Umständen noch anbringen, dass sie vielleicht eben doch etwas mehr Fleisch von den etwas »glücklicheren« Tieren (Haltungsformen 3 und 4) kaufen würden, wenn das Produkt a) in ausreichendem Maß im Supermarkt vorhanden wäre und b) entsprechend beworben würde. Beides ist längst nicht immer der Fall.

Ein weiterer Punkt ist, dass das Label auch grundsätzlich in die Irre führen kann: Selbst auf Fleisch, das nur nach dem gesetzlichen Mindeststandard produziert wurde, prangt der große Aufkleber: »Dieses Produkt stammt aus einem teilnehmenden Betrieb der Initiative Tierwohl.« Bei oberflächlicher Betrachtung kann das schon als Qualitätssiegel missverstanden werden.

Gleichzeitig fehlt der Lebensmittelindustrie das Vertrauen ihrer Käufer. In der oben genannten Befragung im Auftrag der Verbraucherzentralen stehen 70,2 Prozent der Befragten hinter der Aussage »Bei den Angaben auf Lebensmittelverpackungen wird viel getrickst«. 67,8 Prozent unterstützen die Aussage: »Beim Lebensmittelkauf werden Verbraucher oft getäuscht.« Das könnte auch dazu beitragen, dass das vor einem Jahr eingeführte Label zwar vielleicht ein Bewusstsein dafür schafft, dass es den Tieren, die wir essen, in ihrem kurzen Leben unterschiedlich gut gegangen ist, aber kaum eine lenkende Wirkung Richtung mehr Tierwohl entfaltet.

Abhilfe könnte da nur ein – verbindliches – staatliches Tierschutzlabel schaffen, das beim Verbraucher mehr Vertrauen genießt als die Selbstetikettierung von Einzelhandel und Fleischindustrie.

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