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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte vom Reißverschluss und dem Haken an der Sache

Über Jahrzehnte hatte Gideon Sundbäck den Reißverschluss perfektioniert. Und seine Zeitgenossen? Blieben einfach zugeknöpft, erzählen unsere Geschichtskolumnisten Richard Hemmer und Daniel Meßner.
Reißverschluss
Erste Reißverschlüsse arbeiteten noch mit Haken und Ösen, die den traditionellen Schließen ähnlich waren. Erst als man sich von diesem althergebrachten Konzept verabschiedete, gelang der Durchbruch.
Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Es gibt Dinge im Leben, von denen man nie gedacht hätte, dass man sie braucht, bis man sie hat und sich fragt, wie man je ohne existieren konnte. Die Rede ist nicht vom Podcast, nein, die Rede ist vom Reißverschluss. Das 19. Jahrhundert war eine Ära voller bahnbrechender Erfindungen. Die Menschen saßen in Eisenbahnen, Wolkenkratzern und knatternden Automobilen. Aber sie hakten, schnürten und knöpften ihre Kleidung noch immer wie ihre Ururgroßeltern Jahrhunderte zuvor. Und das, obwohl die Mode eine unheilvolle Vorliebe fürs Komplizierte entwickelt hatte: für Schuhe mit bis zu 20 Knöpfen beispielsweise.

Erst sieben Jahre vor Ende des Jahrhunderts, im Jahr 1893, kündigte sich auch in der Welt des Kleiderverschlusses zaghaft eine Revolution an, als dem US-Amerikaner Whitcomb Judson zwei Patente zuerkannt wurden. Der Erfinder hatte zuvor kaum etwas mit der Modeindustrie zu tun gehabt, nun jedoch reichte er Unterlagen für einen Mechanismus ein, den er »Clasp Locker For Shoes« nannte, auf Deutsch etwa »Klammerverschluss für Schuhe«. Er gilt als die Urform des heutigen Reißverschlusses und verhieß dem Nutzer, seine Schuhe mit nur einer einzigen Bewegung zu öffnen und zu schließen. Innovativ ja, aber leider auch sehr fehleranfällig und zu teuer in der Herstellung. Für den Massenmarkt war das wenig attraktiv.

Trotzdem machte sich Judson, gemeinsam mit dem Investor und Unternehmer Harry Earle, daran, sein System zu verbessern und marktreif zu gestalten. Mit der »Automatic Fastener Company« wurde dafür ein eigenes Unternehmen gegründet. Doch selbst zehn Jahre danach, trotz diverser Verbesserungen und Versuche, die Hersteller von Taschen, Schuhen, Röcken oder Hosen von den Vorteilen des Systems zu überzeugen, blieb der Erfolg aus. Die mittlerweile in »Automatic Hook and Eye Company« umbenannte Firma brachte nun eine aus Haken und Ösen (»hook and eye«) bestehende Version des Verschlusses auf den Markt, aber konnte weder kostengünstig produzieren noch die Fehleranfälligkeit des Systems zufriedenstellend verringern.

Gideon Sundbäck verliebt sich

Auftritt Gideon Sundbäck – Schwede, Ingenieur und Mann mit außergewöhnlichem Talent für Mechanik und Erfindungen. Nur durch Zufall fand er seinen Weg in die Welt der Reißverschlüsse.

Nachdem er sein Elektroingenieurstudium in Deutschland abgeschlossen hatte, wanderte Sundbäck zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten aus, um dort Teil der technischen Revolution zu werden. Kein Wunder, dass er bei Westinghouse Electric anheuerte, jenem Unternehmen, das der Erfinder, Großindustrielle und berühmte Edison-Konkurrent George Westinghouse gegründet hatte.

Sundbäcks verbesserter Reißverschluss | Im Patent aus dem Jahr 1917 ist der Reißverschluss, wie wir ihn heute nutzen, schon deutlich erkennbar.

Wendepunkt in Sundbäcks Leben und Karriere – und gleichzeitig auch Wendepunkt in der Geschichte des Reißverschlusses – war das Treffen mit einem weiteren aus Schweden stammenden Amerikaner. Peter Aronson, Projektleiter bei der Hook and Eye Company, war auf den 25-jährigen Ingenieur aufmerksam geworden und brachte ihn 1906 in Kontakt mit dem Präsidenten des Unternehmens. Kurz darauf kündigte Sundbäck seinen Job bei Westinghouse und wurde der neue Chefentwickler des Verschlussunternehmens.

Sundbäck folgte dabei dem Reiz der technischen Herausforderung ebenso wie dem von Elvira, der Tochter Aronsons, der er auf diese Weise näherzukommen hoffte. Sundbäck hatte sich in sie verliebt und sie in ihn. Bald darauf schlossen sie den Bund der Ehe. Wie sich manchmal doch die Dinge so passgenau ineinanderfügen! Leider in diesem Fall nicht auf Dauer, die Liebesgeschichte wird ein tragisches Ende nehmen.

Zwischenzeitlich hatten die beiden Gründer Judson und Earle das Unternehmen verlassen, Ersterer, um sich neuen Erfindungen zu widmen, Letzterer desillusioniert vom ausbleibenden Erfolg des Reißverschlusssystems. Sundbäck übernahm das Ruder und verbesserte das zu jener Zeit vom Unternehmen vertriebene »C-Curity« System. Nachdem er Schwachstellen ausgemerzt hatte, wurde es unter dem neuen Namen »Plako« vermarktet – allerdings blieb auch hier der Erfolg aus. Es war die alte Leier: zu fehleranfällig, zu teuer.

Eine Tragödie sorgt für den Durchbruch

Es sollte der plötzliche Tod seiner Frau Elvira kurz nach der Geburt ihrer Tochter im März 1911 sein, der schließlich die Karriere des Reißverschlusses, so wie wir ihn kennen, begründete. Im Schmerz über den Verlust seiner geliebten Frau stürzte sich Sundbäck in die Arbeit.

In jener Zeit gelang ihm der alles entscheidende Durchbruch. Er überdachte das gesamte Konzept des Reißverschlusses und erkannte, dass die größten Problemverursacher – die Haken und Ösen – einer grundlegend neuen Lösung weichen mussten. Sundbäck erfand ein System ineinandergreifender Zähne, das viel zuverlässiger und effizienter war als alles bisher Dagewesene. Der von ihm entwickelte Schieber, der die Zähne miteinander verband oder trennte, war ein Meisterwerk der Präzision und der Ingenieurskunst.

Das neue System, das nun ganz ohne Haken und Ösen auskam, war so erfolgversprechend, dass die Automatic Hook and Eye Company sich kurzerhand einen neuen Namen gab: Hookless, also ohne Haken, war nun Name und Programm zugleich, sowohl für das Unternehmen als auch für sein Produkt.

Peter Aronson (links) und Gideon Sundbäck | Bei der Automatic Hook and Eye Company, zu der Aronson den jungen Auswanderer holte, entwickelte Sundbäck den praxistauglichen Reißverschluss.

Aber wer braucht einen Reißverschluss denn wirklich?

In seinem 1994 erschienenen Werk »Zipper – An Exploration in Novelty« sieht der US-Historiker Robert Friedel die Geschichte des Reißverschlusses als Musterbeispiel für die Art, wie Innovationen die Gesellschaft durchdringen – oder auch nicht. Denn Sundbäcks Verbesserungen allein, so entscheidend sie auch waren, garantierten weder Akzeptanz noch Erfolg. Zwar erlebte der Reißverschluss durch den Ersten Weltkrieg eine gewisse Nachfrage in der Militärschneiderei, er fand beispielsweise in Uniformen und Gürteltaschen Verwendung. Vom täglichen Gebrauch war das neue System noch weit entfernt.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es schließlich wieder Schuhe waren, genauer gesagt Gummigaloschen, die man über seine Stiefel ziehen konnte, die den Reißverschluss tatsächlich ins Bewusstsein und damit auch in die Alltagskleidung der Menschen transportieren sollten.

Als nämlich die B.F. Goodrich Company aus Ohio erkannte, dass der Reißverschluss Potenzial für den breiteren Markt hatte, begannen sie ab 1923, diesen in ihren Galoschen zu verwenden. Die Überzieher, die unter dem Namen »Zipper« vermarktet wurden, waren ein Riesenerfolg, allein im Winter desselben Jahres ging eine halbe Million davon über den Ladentisch. Und ganz nebenbei gaben sie dem neuen Wunderwerk der Technik auch seinen Namen. Nicht als »Talon«, also Kralle, wie die Hookless Company ihr Produkt nannte und später auch sich selbst (bis heute übrigens, die Firma gibt es immer noch), machte der Verschluss Geschichte. Im angelsächsischen Sprachraum verfing stattdessen der Name des Gummischuhs: »Zipper«.

Obwohl – oder gerade weil – nun also Gummistiefel mit dem revolutionären System versehen waren: Die Modeindustrie konnte sich mit dem Konzept noch immer nicht richtig anfreunden. Dass der Reißverschluss doch seinen Durchbruch schaffte, ist nicht zuletzt einer innovationsfreudigen Designerin zu verdanken. Elsa Schiaparelli, die mit ihrer oft gewagten Haute Couture die Pariser Oberschicht einkleidete, versah ihre Frühjahrskollektion von 1935 reichlich mit Reißverschlüssen. Das praktische Utensil wurde mit einem Mal zum modischen Statement, zum ästhetischen Highlight. Damit stand der Weg offen zu einer neuen Ära der Bekleidungsindustrie.

Sundbäck profitierte schließlich sogar noch finanziell von seiner Kreation. In den Vereinigten Staaten gehörten zwar seinem Arbeitgeber die Rechte an der Erfindung, auf dem internationalen Markt konnte Sundbäck jedoch eigene Patente platzieren. Unternehmen wie die deutschen ZIPP-Werke, aber auch der heute noch größte Reißverschlusshersteller YKK aus Japan mussten Lizenzgebühren zahlen.

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