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Krebs verstehen: Was kann man von der Tierwelt über Krebs lernen?

Warum Elefanten so selten Krebs bekommen und wie Hunde uns dabei helfen, mehr über Krebs beim Menschen zu verstehen, erklärt die Ärztin Marisa Kurz in ihrer aktuellen Kolumne.
Ein Elefant mit einem Jungtier
Nur etwa fünf Prozent der Elefanten versterben an einer Krebserkrankung, während es beim Menschen rund 20 Prozent sind.

Kolumne: »Krebs verstehen«

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung.

Was passiert dabei im Körper? Warum bekommen nur manche Menschen Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«. Denn wer informiert ist, kann selbstbestimmte Entscheidungen treffen.

Je älter man wird, desto höher ist das Risiko, an Krebs zu erkranken. Auch gibt es einen statistischen Zusammenhang zwischen der Körpergröße und Krebserkrankungen. Könnte man beide Effekte auf die Tierwelt übertragen, müssten Tiere, die alt und groß werden, ebenfalls häufiger an Krebs erkranken. Tatsächlich tun sie das aber nicht. Forschende bezeichnen diesen Sachverhalt als das »Peto-Paradox«.

Warum bekommen Elefanten und Grönlandwale so selten Krebs?

Während rund 20 Prozent der Menschen an Krebs sterben, sind es bei Elefanten weniger als fünf Prozent. Und dabei besitzen die Dickhäuter viel mehr Zellen, die potenziell Krebs entwickeln könnten. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben herausgefunden, dass in Zellen von Elefanten besonders viele Erbgutkopien vorkommen, die den Bauplan für das Protein p53 in sich tragen. Es erkennt Schäden im Erbgut, leitet Reparaturprozesse ein und kann eine Zelle – wenn der Schaden nicht mehr behebbar ist – in den programmierten Selbstmord schicken. So wird verhindert, dass eine entartete Zelle den Organismus schädigt. Das Protein wird deshalb auch als »Wächter des Genoms« bezeichnet. Bei Krebserkrankungen ist p53 häufig verändert.

Neben p53 liegen in Elefantenzellen viele Erbgutkopien mit dem Bauplan für das Protein LIF6 vor, das bei irreparablen Erbgutschäden ebenfalls den Zelltod einleiten kann. Womöglich haben diese Eigenschaften die Evolution der großen Säugetiere begünstigt.

Auch Grönlandwale werden groß und alt, nämlich rund 200 Jahre, und erkranken selten an Krebs. Wissenschaftler haben das Erbgut des Wals entschlüsselt und mehrere Genkopien für bestimmte Proteine gefunden, die unter anderem für die DNA-Reparatur zuständig sind. Und zwar andere als bei Elefanten. Um die Forschung zum Thema weiter zu fördern, haben die Autoren die Ergebnisse frei zugänglich auf einer Website zur Verfügung gestellt.

Es sind noch mehr Tierarten bekannt, die selten an Krebs erkranken – etwa eine bestimmte Fledermausart. Auch sie profitiert vermutlich von einer hochfunktionalen DNA-Reparatur. Nacktmulle bekommen ebenfalls selten Krebs, obwohl sie rund 30 Jahre alt werden, was etwa dem siebenfachen Alter einer ähnlich großen Maus entspricht. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Zellen von Nacktmullen sehr schnell »bemerken«, wenn sie zu dicht aneinanderwachsen. Sie blockieren dann das Wachstum weiterer Zellen.

Interessant ist, dass sich die Mechanismen bei diesen Tieren unterscheiden. Die Evolution scheint verschiedene Wege gefunden zu haben, einen Schutz vor Krebs zu schaffen.

Liegt der Schlüssel zur Behandlung von Krebs in der Tierwelt?

Lassen sich diese Erkenntnisse aus der Tierwelt auf den Menschen übertragen, und können sie dabei helfen, neue Therapien gegen Krebs zu entwickeln? Ein eigenes Forschungsfeld mit dem Namen »Comparative Oncology«, also vergleichende Onkologie, widmet sich genau dieser Frage.

Untersuchungen an Tieren, die selten Krebs bekommen, helfen vor allem dabei, die Funktion bestimmter Gene besser zu verstehen, die Krebs entstehen lassen oder vor ihm schützen. Viele der gefundenen Schutzmechanismen sind bereits in den Körperzellen der Tiere enthalten, doch es ist nicht trivial, sie in menschliche Zellen einzuführen. Auch aus anderen Gründen lassen sich die Erkenntnisse aus der Tierwelt nur zum Teil auf Menschen übertragen: Denn viele Krebsfälle beim Menschen sind auf Lebensstilfaktoren zurückzuführen, die bei Tieren in der Regel eine untergeordnete Rolle spielen.

Ein besseres Verständnis von Krebserkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten können Forschende vor allem entwickeln, wenn sie Tiere untersuchen, die auch an Krebs erkranken und so eng mit uns zusammenleben, dass sie ähnlichen Schadstoffen wie wir ausgesetzt sind: zum Beispiel Hunde. Rund jeder vierte Hund erkrankt im Lauf seines Lebens an Krebs und ungefähr jeder zweite bis dritte Mensch. Einige Krebsarten von Hund und Mensch sind in ihrer Biologie ähnlich. Hunde entwickeln beispielsweise Brustkrebs, Prostatakrebs, Lymphdrüsenkrebs, Osteosarkome – eine Art von Knochenkrebs – oder Glioblastome, besonders aggressive Hirntumoren.

Natürlich auftretende Krebserkrankungen bei Hunden zu erforschen, ist in den Augen einiger Wissenschaftler aussagekräftiger, als Krebszellen isoliert von einem Organismus unter künstlichen Laborbedingungen zu untersuchen oder in Mäuse zu verpflanzen. Tatsächlich gibt es klinische Studien, in denen an Krebs erkrankte Hunde neue Medikamente gegen Krebs erhalten. Sie leben bei ihren Besitzern und kommen regelmäßig zu Untersuchungen bei Tierärzten. Wenn die Medikamente bei Hunden wirken und verträglich sind, können sie in Zukunft vielleicht bei Menschen eingesetzt werden. Solche Forschungsprojekte werden unter anderem vom National Cancer Institute in den USA gefördert.

In einer Studie mit einer zielgerichteten Therapie gegen Krebs bei Hunden konnte die Erkrankung in vielen Fällen eingebremst werden. Die Ergebnisse haben die Forschung zu einem verwandten Medikament beim Menschen vorangetrieben. Dieses Medikament, Sunitinib, ist heute als Therapie zugelassen. Kranke Hunde können durch solche Studien Therapien erhalten, die sie sonst nie bekommen hätten – denn im Bereich der Tiermedizin wird viel weniger Forschung betrieben als in der Humanmedizin. Und die Besitzer müssen nicht für die Behandlungen zahlen. Einerseits sehe ich als Ärztin die Vorteile, die sich daraus für Tiere und Menschen ergeben können. Als Hundebesitzerin frage ich mich andererseits, ob eine womöglich nebenwirkungsreiche Therapie mit vielfachen Tierarztbesuchen und Untersuchungen wirklich im Interesse eines Hundes ist. Schließlich kann man ihn nicht nach seinem Willen befragen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich diese Frage ebenfalls gestellt und Handlungsempfehlungen für die Durchführung klinischer Studien an Haustieren mit Krebs veröffentlicht. Wie in vielen Forschungsbereichen gibt es auch in der vergleichenden Onkologie zahlreiche ethische Herausforderungen.

Diverse Forschungsfragen können außerdem beantwortet werden, indem Proben und Gesundheitsdaten von Tieren analysiert werden, ohne dass diese im Rahmen klinischer Studien therapiert werden. Und die zuvor aufgezählten Beispiele zeigen, dass sich ein Blick in die Natur lohnt, um mehr von Krebs zu verstehen.

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