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Springers Einwürfe: Tut die Pandemie der Umwelt gut?

Auf den ersten Blick hilft die Corona-Pandemie dabei, die Klimaschutzziele zu erreichen. Langfristig wird sich das Jahr 2020 jedoch rächen, argumentiert unser Autor.
Containerterminal Hamburg-Altenwerder mit einlaufendem Schiff, Containerbrücken und der Köhlbrandbrücke im Hintergrund

Als angehender Physiker, lange ist es her, konnte ich der erstarkenden Ökobewegung herzlich wenig abgewinnen. Mir widerstrebte, wie dort Wissenschaft und Technik oft als direkte Gefahr für die Umwelt abgestempelt wurden. Den Slogan »Small is beautiful« fand ich albern, und wenn ich später dennoch gegen Umweltzerstörung mitdemonstrierte, brachte ich es nicht über mich, bei »Karl der Käfer wurde nicht gefragt / Man hat ihn einfach fortgejagt« allen Ernstes mitzusingen.

Selbst heute empfinde ich keine Genugtuung darüber, dass infolge der diversen Lockdowns wegen der Corona-Pandemie nicht so viel geflogen und gefahren sowie weniger produziert wird. Damit sinkt zwar in den hoch industrialisierten Ländern momentan die Umweltbelastung, aber das bloße Einschränken von Produktion und Verkehr bei gleich bleibendem Stand der weitgehend fossilen Technik kann kaum eine dauerhafte Lösung für die globalen Klimaprobleme sein – höchstens eine vorübergehende Atempause.

Ist die Energiewende sauber durchgerechnet? Kann die Wissenschaft wirklich die Zukunft voraussagen? Und widerspricht die Quantenphysik sich selbst? In seinen Kommentaren geht der Physiker und Schriftsteller Michael Springer diesen und anderen Fragen am Rande des aktuellen Wissenschaftsgeschehen nach. Seit 2005 erscheint seine Kolumne »Springers Einwürfe«.

Tatsächlich droht der Umwelt langfristig immenser Schaden, falls die Lieferketten, auf denen bislang innovative Energieträger und CO2-arme Technologien in alle Welt gelangen konnten, durch die Pandemie zusammenbrechen. Davor warnen mit guten Gründen die Politologen Andreas Goldthau von der Universität Erfurt und Llewelyn Hughes von der Australian National University in Canberra (Nature 585, S. 28–30, 2020).

Wie die Autoren zeigen, hat sich im vergangenen Jahrzehnt eine ökologisch äußerst vorteilhafte internationale Arbeitsteilung etabliert. So dominieren chinesische Firmen zwar den Fotovoltaikmarkt, beziehen aber die Maschinen zur Herstellung von Siliziumscheiben und Solarzellen aus Deutschland. Dadurch sanken die Preise für Solarmodule binnen zehn Jahren um 90 Prozent, und entsprechend fielen weltweit auch die Kosten der solaren Stromerzeugung. Ähnliches gilt – bei anders gelagerten Lieferketten – für Windräder, Lithium-Batterien und Elektroautos.

Doch nun, im Zeichen von Covid-19, versuchen mehrere Regierungen die Globalisierung zurückzudrehen. Vor allem die USA unter Donald Trump hatten schon vorher begonnen, China durch protektionistische Maßnahmen aus bestehenden Handelsnetzen zu schubsen, um es durch »vertrauenswürdige« Partner wie Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea zu ersetzen. Allerdings wird es kaum gelingen, China wirtschaftlich so konsequent zu isolieren, wie es in der Ära des Kalten Kriegs mit der Sowjetunion geschehen ist, denn die Verflechtung Chinas mit der Weltwirtschaft, nicht zuletzt mit den USA, ist viel enger als seinerzeit die des Ostblocks mit dem Westen.

Jedenfalls kosten derlei politisch motivierte Produktionsverlagerungen enorm viel Zeit und Geld, die besser für den schnelleren Ausbau sauberer Energien verwendet wären. Denn wie Goldthau und Hughes betonen, drängt die Zeit. Um das von fast allen Staaten der Erde erklärte Ziel einer Erderwärmung unter zwei Grad zu erreichen, müssen die CO2-Emissionen im kommenden Jahrzehnt um acht Prozent pro Jahr sinken. Das werden sämtliche Corona-Lockdowns nicht im Entferntesten bewerkstelligen, und jede politisch motivierte Zollschranke gegen die global vernetzten Lieferketten rückt das schon für 2050 angepeilte Ziel einer CO2-neutralen Weltwirtschaft nur in noch weitere Ferne.

Um das Zwei-Grad-Klimaziel zu erreichen, ist die pandemiebedingte Drosselung der Wirtschaft bei gleichzeitig isolationistischer Kirchturmpolitik jedenfalls der verkehrte Weg. Gefragt ist eine meinetwegen »grüne« Industriepolitik, die international abgestimmt in großem Stil umweltfreundliche Technologien entwickelt. Small is beautiful? Im Gegenteil: je größer, desto besser.

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