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Trichotillomanie: Haareausreißen wider Willen

Gut ein Prozent der Bevölkerung leidet unter dem Zwang, sich Haare auszurupfen. Der Züricher Psychiater Michael Rufer erklärt, wann die so genannte Trichotillomanie auftritt und wie man sie am besten behandelt.
Auf einen Streich
Wohl jeder hat schon einmal tagträumend an seinen Haaren gezogen oder sie beim Nachdenken um einen Finger gewickelt. Vor allem Frauen zupfen aus kosmetischen Gründen auch das eine oder andere störende Gesichtshaar aus. Dass sich aber jemand täglich, und das manchmal über Stunden hinweg, Haare ausreißt, bis der Kopf von kahlen Stellen übersät ist, scheint zunächst kaum vorstellbar.
Doch bereits 1889 beschrieb François Henri Hallopeau (1842-1919) einen Patienten, der sich die Kopfhaare gleich büschelweise ausrupfte. Der französische Mediziner taufte das Phänomen "Trichotillomanie" (von griechisch thrix = Haar, tillein = rupfen und mania = Wahnsinn). Die Erkenntnis, dass es sich dabei um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt – eine Störung der Impulskontrolle –, setzte sich jedoch erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts durch.
Grundmerkmal der Störung: ein mindes­tens phasenweise kaum kontrollierbarer Drang, sich einzelne Haare oder auch Haarbüschel auszureißen. Ein Teil der Betroffenen wählt diese gezielt aus, beispielsweise dicke, graue, abstehende oder sich unregelmäßig anfühlende Haare. Andere zupfen unbewusst und automatisch und bemerken dies erst später; viele nehmen beim Ausreißen keinen Schmerz wahr. Typisch für Trichotillomanie ist auch das Spielen mit den ausgerissenen Haaren. Die Betroffenen streichen damit über die Lippen, nehmen sie in den Mund oder ziehen die Haare durch die Finger. Häufig kommen bei ein und derselben Person mehrere dieser Merkmale vor: beispielsweise wenn jemand vor dem Fernseher und beim Lesen Haare automatisch ausreißt, während er morgens und abends vor dem Badezimmerspiegel einzelne davon gezielt auszupft ...

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  • Quellen
Literaturtipps

Bohne, A.:Trichotillomanie: Fortschritte der Psychotherapie. Hogrefe, Göttingen 2009.
Kompakte Anleitung für Ärzte und Therapeuten

Peters, A. (Hg.): Trichotillomanie: Fragen und Antworten zum zwanghaften Haareausreißen. Pabst, Lengerich 2008.
Guter Überblick zu Ursachen, Erscheinungsformen und Behandlungsmöglichkeiten, auch bei Kindern


Quellen

Cohen, L. J. et al: Clinical Profile, Comorbidity, and Treatment History in 123 Hair Pullers: a Survey Study. In: Journal of Clinical Psychiatry 56(7), S. 319-326, 1995.

Duke, D. C. et al: The Phenomenology of Hairpulling in a Community Sample. In: Journal of Anxiety Disorders 23(8): S. 1118-1125, 2009.

Duke, D. C. et al.: Trichotillomania: A Current Review. In: Clinical Psychology Review 30(2), S. 181-193, 2010.

Franklin, M. E., Tolin, D. F.: Treating Trichotillomania: Cognitive-Behavioral Therapy for Hairpulling and Related Problems. Springer, Berlin 2007.

Keuthen, N. J. et al: Evidence for Reduced Cerebellar Volumes in Trichotillomania. In: Biological Psychiatry 61(3), S. 374-381, 2007.

Neudecker, A., Rufer, M.: Ambulante Verhaltenstherapie bei Trichotillomanie: Überblick, Störungsmodell und Fallbeispiel. In: Verhaltenstherapie 14, S. 90-98, 2004.

Penzel, F.: The Hair-Pulling Problem: A Complete Guide to Trichotillomania. Oxford University Press, 2003.
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