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Astronomie: Heiße Strahlung eines Schneeballs

Erstmals gelangen Schnappschüsse vom Zerfall eines Kometen. Außerdem ließ sich das Rätsel lösen, warum solche vagabundierenden Eisklumpen im Sonnensystem hochenergetische Röntgenstrahlung aussenden.


Kometen gehören zu den eindrucksvollsten Naturerscheinungen. Staunen erregen vor allem ihre leuchtenden Schweife, die viele Millionen Kilometer lang werden können. Sie bilden sich, wenn ein Komet auf seiner Bahn in die Nähe der Sonne gelangt. Deren Strahlung lässt aus seinem festen Kern Gas und Staub verdampfen, die dann selbst leuchten oder Sonnenlicht reflektieren.

Die Kometenkerne sind dagegen völlig unscheinbar. Sie ähneln schmutzigen Schneebällen. Den Hauptbestandteil bilden verschiedene Arten von gefrorenen Gasen – davon etwa 80 Prozent Wassereis. Hinzu kommen Staubteilchen mit Durchmessern von unter einem Mikrometer bis zu Gesteinsbrocken von einigen Metern. Die Temperatur der mehrere Kilometer dicken Himmelskörper liegt deutlich unter dem Gefrierpunkt.

Jeder feste Körper sendet Strahlung aus, deren Frequenz davon abhängt, wie warm er ist: Je höher die Temperatur, desto energiereicher und somit kurzwelliger die Emission. Menschen mit ihrer Körpertemperatur von 37 Grad Celsius geben Infrarotstrahlung mit einer Wellenlänge von knapp drei Mikrometern ab. Die rund 5700 Grad Celsius heiße Sonne emittiert vor allem gelb-grünes Licht mit einer Wellenlänge von etwa 500 Nanometern. Um Röntgenstrahlung mit Wellenlängen unter zehn Nanometern abzugeben, muss ein Körper mehrere Millionen Grad heiß sein. Auf Kometenkerne trifft das ganz gewiss nicht zu.

Sechsfach geladener Sauerstoff


Dennoch beobachtete eine Forschergruppe um Carey Lisse vom Goddard-Raumflugzentrum der Nasa 1996 den Kometen Hyakutake mit dem Röntgensatelliten Rosat der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa. Sie vermuteten, dass das Objekt hochenergetische Strahlung von der Sonne streuen könnte. Zu ihrem Erstaunen fanden die Wissenschaftler variable Röntgenstrahlung in einem halbmondförmigen Bereich um den Kometenkern, die hundertmal intensiver war als erwartet. Seither ist bei insgesamt sechs Kometen – unter anderem Hale-Bopp – Röntgenstrahlung entdeckt worden.

Woher stammt sie? Erst letztes Jahr konnten Lisse und seine Kollegen dieses Rätsel lösen. Mit dem Advanced CCD Imaging Spectrometer (Acis) auf dem Röntgensatelliten Chandra untersuchten sie am 14. Juli 2000 den Kometen Linear (C/1999 S4) insgesamt zweieinhalb Stunden lang. Der Kometenkern ist auf dem erhaltenen Bild nicht zu sehen, wohl aber die gasförmige Region, die ihn umgibt (Bild unten). Demnach emittierte auch Linear Röntgenstrahlung.

Mit dem Spektrometer ließ sich in diesem Fall präzise bestimmen, welche Arten von Atomen für die hochenergetischen Emissionen verantwortlich sind. Danach waren die Quellen im Wesentlichen stark ionisierter Sauerstoff und Stickstoff. So fanden sich SauerstoffIonen, die alle ihre äußeren Elektronen verloren hatten und somit eine sechsfach positive Ladung trugen.

Dies war eine weitere Überraschung. Atome können nur in einer sehr energiereichen Umgebung, in der sie heftigen Stößen oder starker Strahlung ausgesetzt sind, alle äußeren Elektronen abgeben. Die relativ sanfte Verdampfung von Gas und Staub aus dem Kometenkern durch Sonnenlicht reicht dazu bei weitem nicht aus.

Es gibt jedoch eine andere Quelle. Hochgeladene Ionen entstehen fortwährend in der äußeren Atmosphärenschicht der Sonne: der Korona. Diese erreicht Temperaturen von etwa einer Million Grad Celsius. Selbst von der enormen Gravitation unseres Zentralgestirns kann sie deshalb nicht festgehalten werden. Ihre Ränder fliegen als Sonnenwind mit Geschwindigkeiten zwischen 400 und 800 Kilometern pro Sekunde in alle Richtungen davon. Der Hauptteil der entweichenden Partikel besteht aus Protonen und Elektronen, aber etwa ein Prozent eben aus stark geladenen Ionen.

Nähern sich diese einem Kometen, entreißen sie dessen Atomen und Molekülen negativ geladene Elektronen. Ein eingefangenes Elektron besetzt dabei zunächst einen hoch angeregten Zustand. Von diesem fällt es dann auf ein niedrigeres Niveau. Dabei emittiert es Röntgenstrahlung einer charakteristischen Frequenz, die der Energiedifferenz zwischen den beiden Zuständen entspricht. Den gesamten Prozess bezeichnen Astronomen als Ladungsaustausch-Reaktion.

"Diese Beobachtung zeigt, wie Kometen Röntgenstrahlung erzeugen", erklärt Lisse, der inzwischen am Space Telescope Science Institute tätig ist. "Nun können wir die Chemie des Sonnenwindes untersuchen und Röntgenstrahlung von den Atmosphären von Kometen und Planeten wie der Venus beobachten."

Doch Linear hatte den Forschern noch mehr zu bieten. Mit dem Weltraumteleskop Hubble gelang es, eine Art Vulkanausbruch auf dem Kometen zu beobachten, kurz bevor er am 26. Juli letzten Jahres den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreichte. Dabei wurde ein großes Stück seiner Kruste abgestoßen, das wie der Korken aus einer Sektflasche davonschoss. Zugleich entwich eine Staubwolke, die so viel Sonnenlicht reflektierte, dass der Komet für mehrere Stunden deutlich heller erstrahlte.

Zwar wussten Astronomen bereits, dass Kometen zerbrechen können, doch nie zuvor war es gelungen, den Vorgang direkt zu beobachten. Sogar der weggeschleuderte Brocken ist auf den Hubble-Bildern zu sehen. Offenbar ereignen sich solche Ausbrüche regelmäßig auf Kometen. Die Wissenschaftler halten es jedenfalls für äußerst unwahrscheinlich, dass sie rein zufällig einen einzigartigen Vorgang beobachtet haben.

Die Hubble-Schnappschüsse werfen damit auch ein neues Licht auf die Struktur und Zusammensetzung von Kometenkernen. Sie bestätigen ein Modell von Harold Weaver und seinen Mitarbeitern an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (Maryland), wonach Kometenkerne aus hausgroßen Brocken bestehen, die nur lose zusammenhalten. Diese sollen sich ihrerseits vor rund 4,6 Milliarden Jahren, als das Sonnensystem sich gerade erst formierte, aus mikrometergroßen Staubteilchen gebildet haben.

Ein solcher Brocken, von Weavers Gruppe Kometesimal genannt, könnte sich bei der Explosion gelöst haben. "Beobachtungen des Kometen Hyakutake zeigten auch Fragmente, die den Schweif entlangwanderten", erklärt Weavers Mitarbeiter Paul Feldman. "Einige französische Forscher wiesen nach, dass es sich dabei gleichfalls um hausgroße Kometesimale handeln könnte."

Das weitere Schicksal von Linear passt in dieses Bild. Nach seiner Sonnenumrundung schien der Komet zunächst verschwunden. Doch dann konnte er auf Hubble-Bildern wieder ausgemacht werden: als Armada von gut einem Dutzend Trümmern. Der Kometenkern war also anscheinend völlig in Kometesimale zerfallen. Normalerweise genügt die schwache Gravitation in dem Verbund, die Bausteine zusammenzuhalten. Nähert sich der Komet aber der Sonne, erhitzt diese das Eis, sodass es verdampft und in Form heftiger Gasströme entweicht. Diese Jets, die dem Wasserstrahl eines Gartenschlauchs ähneln, können schließlich auch die größeren Brocken mitreißen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2001, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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