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Interview: Im Anfang war nur der Wasserstoff ...

Werner M. Tscharnuter und Christian Straka vom Institut für Theoretische Astrophysik der Universität Heidelberg untersuchen im Rahmen des Sonderforschungsbereichs "Galaxien im jungen Universum", wie die ersten Sterne entstanden.


Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Tscharnuter, wie muss man sich das Universum vorstellen, als es noch keine Sterne und Galaxien gab?

Professor Tscharnuter: Die früheste Information, die wir vom jungen Universum haben, ist die kosmische Hintergrundstrahlung. Sie stammt aus einer Zeit, zu der sich das Weltall so weit ausgedehnt und abgekühlt hatte, dass sich die im Urknall gebildeten Grundbausteine der Materie zu neutralen Atomen, zu Wasserstoff und Helium, zusammenlagern konnten. Das Wasserstoff- und Heliumgas war erstaunlich homogen im Weltall verteilt. Damals war es finster, denn es gab keine leuchtenden Himmelsobjekte.

Spektrum: Wie konnten aus dieser homogenen Ursuppe die heutigen Strukturen und Himmelskörper entstehen?

Tscharnuter: In der Hintergrundstrahlung gibt es geringe Abweichungen von der Homogenität – in der Größenordnung von einem Hunderttausendstel. Dieselben Fluktuationen muss es in der Materieverteilung gegeben haben. Diese winzigen Dichteunterschiede haben sich im Laufe der Zeit vergrößert. So entstanden filamentartige Strukturen im Universum. An diesen Knoten haben sich lokal die ersten Sterne beziehungsweise Galaxien gebildet.

Spektrum: Konnten sich diese Verdichtungen denn rasch genug bilden?

Tscharnuter: Die Schwerkraft sorgt dafür, dass zufällig vorhandene Verdichtungen weitere Materie aus der Umgebung anziehen. Um aber die beobachtete Strukturbildung im All erklären zu können, muss man annehmen, dass es zusätzlich zur gewöhnlichen Materie noch so genannte kalte, dunkle Materie gibt, die sich nur durch ihre Gravitationswirkung bemerkbar macht.

Spektrum: Wodurch unterscheiden sich beide Materiearten?

Straka: Ein wesentlicher Unterschied ist, dass der Wasserstoff irgendwann Moleküle bildet, dann Energie in Form von Strahlung abgibt und sich dadurch abkühlt. Darum sinkt die Temperatur des Gases, und es kann sich weiter verdichten. Dunkle Materie hingegen kann keine Energie abstrahlen.

Spektrum: Entscheidend für den Beginn der Sternentstehung ist also die Bildung von Wasserstoffmolekülen?

Tscharnuter: In der Tat. Atomarer Wasserstoff, wie er anfangs vorlag, hat kein Dipolmoment und kann daher keine Energie abstrahlen. Ein Wasserstoffmolekül hingegen strahlt durch Vibrations- und Rotationsübergänge langsam Energie ab. Damit sich zwei Wasserstoffatome im All zu einem Molekül verbinden können, braucht es allerdings einen dritten Stoßpartner, der die überschüssige Bewegungsenergie aufnimmt. Erst als sich das Gas so weit verdichtet hatte, dass Dreierstöße häufig genug waren, stieg die Molekülbildung rapide an. Damit wurde die Kühlung effizienter, und die Gaswolken konnten weiter kollabieren – die ersten Protosterne entstanden.

Spektrum: Wie unterscheiden sich diese Sterne von denen, die wir heute im Weltall sehen?

Tscharnuter: Die ersten Sterne bestanden nur aus Wasserstoff und Helium. Schwerere Elemente, die "Metalle", gab es noch nicht. Dieser Unterschied in der Chemie führt direkt zu einer anderen Energieerzeugung und damit zu viel höheren Temperaturen und größeren Massen als bei heutigen Sternen.

Spektrum: Worin liegt der Unterschied in der Energieerzeugung genau?

Tscharnuter: In heutigen Sternen verschmilzt Wasserstoff über komplizierte Reaktionen zu Helium. Dabei wirken Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff als Katalysator. Für einen Stern ohne Metalle gibt es nur einen Weg, um Energie aus Kernfusion freizusetzen: Die Gasmassen müssen durch Kontraktion so dicht und so heiß werden, dass jeweils drei Helium-Kerne zu einem Kohlenstoff-Kern verschmelzen können. In einem weiteren Schritt entsteht dann Stickstoff. Die Kohlenstoff-Produktion läuft erst bei Temperaturen um 100 Millionen Grad in nennenswerten Mengen ab. Dazu sind Massen erforderlich, die einige Dutzend Mal größer sind als die Masse unserer Sonne.

Spektrum: Ein Stern ohne Metalle sollte einfacher zu beschreiben sein als ein normaler Stern.

Tscharnuter: Dennoch gibt es Überraschungen. Christian Straka hat herausgefunden, dass die herkömmliche Theorie vom Aufbau der Sterne hier in gewissen Bereichen unzureichend ist.

Spektrum: Können Sie das erläutern?

Straka: Das hängt damit zusammen, dass die Produktion des Kohlenstoffs und seine Vermischung im konvektiven Kern des Sterns auf ähnlichen Zeitskalen ablaufen. Um das durchzurechnen, muss man Produktion, Mischung, Energieerzeugung und Sternaufbau koppeln und viele Gleichungen simultan lösen.

Spektrum: Welche Zeitskala ist das?

Straka: Die Zeitskala für die Konvektion im Kern liegt bei rund zehn Tagen – sowohl für heutige Sterne als auch für die ohne Metalle. Aber wegen der hohen Temperatur der ersten Sterne ist die Zeitskala für die Kernreaktionen viel kürzer als bei heutigen Sternen. Das betrifft vor allem den Zyklus, in dem Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff als Katalysator für die Energie-erzeugung wirken. Für Sterne ohne Metalle liegt diese Zeitskala nur im Bereich von Tagen wie eben auch das konvektive Mischen.

Spektrum: Gibt es eine Chance, die ersten heißen Sterne zu sehen?

Tscharnuter: Nein. Die haben innerhalb einer Million Jahre ihren Brennstoff verbraucht und sind als Supernova explodiert. Ihr einziger Lebenszweck war es offenbar, das Universum mit schweren Elementen anzureichern.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 2002, Seite 32
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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