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Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften - Anreize bei asymmetrischer Information

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften ehrte den Briten James Mirrlees und den Kanadier William Vickrey für ihre Beiträge zur Informationsökonomik. Die beiden Wissenschaftler fanden Lösungen für Schwierigkeiten, die sich aus ungleichen Vorkenntnissen der an einer wirtschaftlichen Transaktion Beteiligten ergeben.

Eine der Leitfragen der ökonomischen Analyse lautet: Wie kann eine Gesellschaft möglichst viel aus ihrem wirtschaftlichen Potential machen? Antworten darauf suchten die Ökonomen lange Zeit vor allem in komplexen gesamtwirtschaftlichen Modellen. Damit gewannen sie Aufschluß darüber, unter welchen Umständen die Selbstregulationskräfte des Marktes genügen, die scheinbar ungeordnete Interaktion von Haushalten und Unternehmen zum Wohle aller Beteiligten zu lenken, und wann es staatlicher Eingriffe bedarf. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die Theorie des allgemeinen Gleichgewichtes, die vor allem Kenneth J. Arrow und Gérard Debreu in den fünfziger Jahren perfektionierten (beide erhielten dafür den Wirtschaftsnobelpreis: Arrow 1972 zusammen mit John R. Hicks und Debreu 1983; siehe Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1983, Seite 18).

Damit diese Modelle die Ökonomie in ihrer Gesamtheit erfassen konnten, mußten sie sich auf wesentliche Grundelemente beschränken. Ausgeblendet wurden dabei insbesondere Situationen mit asymmetrischer Information, bei denen einer der Vertragspartner mehr weiß als der andere:

- Der Verkäufer eines Hauses oder eines Gebrauchtwagens zum Beispiel kennt dessen Mängel besser als potentielle Käufer;

- ein Auktionator kann allenfalls vermuten, wieviel das angebotene Objekt den Interessenten wert ist, und diesen wiederum bleibt verborgen, wieviel die Mitbieter höchstens zu zahlen bereit sind;

- Vorgesetzte in Unternehmen können nicht immer beurteilen, ob die Geschäftigkeit eines Angestellten echt ist oder nur vorgetäuscht;

- Kunden von Krankenversicherungen wissen bei Vertragsabschluß meist genauer über ihren Gesundheitszustand Bescheid als die Versicherungsgesellschaft und kennen auch die Laster besser, die den Eintritt des Versicherungsfalles wahrscheinlicher machen.

Diese einseitige Information hat einschneidende Konsequenzen für die Effizienz ökonomischer Institutionen (Spektrum der Wissenschaft, April 1991, Seite 48). So kommen unter Umständen Verträge, von denen beide Parteien profitieren würden, aus Mißtrauen und Unsicherheit nicht zustande; zum Beispiel kann der Verkauf eines gut erhaltenen Gebrauchtwagens daran scheitern, daß der potentielle Käufer die Angaben des Besitzers zur Qualität bezweifelt.

Ähnliches gilt für sehr viele Bereiche des wirtschaftlichen Lebens. Für Vorgesetzte etwa kann es schwierig sein, die Mitarbeiter zu guten Leistungen zu motivieren, wenn die Anstrengungen des einzelnen nicht genau beobachtbar oder gar meßbar sind. William Vickrey, der an der Columbia-University (New York) emeritiert ist und wenige Tage nach Bekanntgabe der Verleihung 82-jährig unerwartet starb, und James A. Mirrlees, der an der Universität Cambridge (Großbritannien) lehrt, haben nicht nur dazu beigetragen, derartige Schwierigkeiten aufzuzeigen, sondern auch Wege angedeutet, damit umzugehen. Beide analysierten zunächst spezifische Beispiele.


Auktionen

Versteigerungen ausgefallener Gegenstände bei Christie's oder Sotheby's sind die bekanntesten, aber keineswegs die wichtigsten Auktionen. Auch Wertpapiere und Schlachttiere werden versteigert, staatliche Aufträge oft an den kostengünstigsten Bieter vergeben.

Die institutionellen Details variieren von Fall zu Fall. Bei sogenannten Englischen Auktionen, dem bekanntesten Typ, setzt der Verkäufer einen Mindestpreis für das Objekt an, und die Interessenten geben aufsteigende Gebote ab; den Zuschlag erhält, wer am meisten bietet. Bei Holländischen Auktionen nennt der Verkäufer zunächst einen Preis oberhalb des erwarteten Höchstgebots und senkt ihn so lange, bis einer der Interessenten bereit ist, soviel für das Gut auszugeben.

Des weiteren gibt es Erst- und Zweitpreisauktionen. Bei beiden werden die Gebote schriftlich eingereicht. Auch hier bekommt der höchste Bieter den Zuschlag, doch nur im Falle einer Erstpreisauktion muß er den von ihm genannten Betrag tatsächlich aufbringen, bei einer Zweitpreisauktion zahlt er lediglich das nächstniedrigere Gebot.

Zu wissen, in welcher Weise sich die diversen Typen von Auktionen unterscheiden, ist von immenser praktischer Bedeutung. So liegt es im Interesse des Verkäufers, sicherzugehen, daß den Zuschlag der erhält, der bereit ist, am meisten für das Gut auszugeben – und daß er auch wirklich bis zu der selbstgesetzten Preisobergrenze gehen muß.

In einem bahnbrechenden Artikel aus dem Jahre 1961 zeigte Vickrey, daß Englische und Zweitpreisauktionen unter vereinfachenden Annahmen aus der Sicht von Käufern und Verkäufern äquivalent sein sollten; dasselbe gilt für Holländische und Erstpreisauktionen. Außerdem kam Vickrey zu der verblüffenden Schlußfolgerung, daß auch Erst- und Zweitpreisauktionen letztlich den gleichen Erlös bringen. Dabei argumentierte er mit dem Kalkül, das Zweitpreisauktionen zugrunde liegt: Sie sollen den Interessenten davon abhalten, ein zu niedriges Gebot abzugeben, um den Preis zu drücken; der Bieter kann ruhig bekennen, wieviel ihm das Gut wirklich wert ist, da er diesen Betrag ohnehin nicht zu zahlen braucht. Der Auktionsmechanismus enthüllt somit die wahre Zahlungsbereitschaft.

Die theoretischen Arbeiten Vickreys aus den sechziger Jahren fanden erst mit einiger Verspätung Beachtung. In jüngerer Zeit wurde genauer untersucht, inwieweit die Ergebnisse von den zugrundegelegten Annahmen abhängen. Bei experimentellen Untersuchungen haben sich einige der Schlußfolgerungen bestätigt, andere dagegen nicht: So erbrachten Holländische und Erstpreisauktionen nicht dieselben Erlöse.

Neuerdings stoßen die Einsichten der Auktionstheoriker sogar im außerwissenschaftlichen Raum auf Interesse. Als die Vereinigten Staaten kürzlich großräumig Frequenzen für moderne Kommunikationstechnologien versteigerten, war die Expertise von Ökonomen so gefragt wie selten zuvor: Sowohl der Staat als auch die bietenden Firmen heuerten führende Auktionstheoretiker als Berater an.


Optimale Besteuerung

Vickrey stellte – erstmals schon 1935 in seiner Doktorarbeit an der Yale-Universität in New Haven (Connecticut) – auch Überlegungen zur Optimalsteuertheorie an, die ihren großen Einfluß allerdings den weiterführenden Arbeiten von Mirrlees aus den siebziger Jahren verdankt. Beide betrachteten einen wohlwollenden Staat, der eine möglichst reichliche Versorgung der Bürger mit Gütern (einschließlich Freizeit), zugleich aber auch deren gleichmäßige Verteilung anstrebt. Wenn es in diesem Staat Menschen gibt, denen die Arbeit leichter fällt als anderen, sollten diese nach den Prämissen auch mehr leisten.

Weil die wahre Arbeitsfähigkeit der Bürger aber ebenso schwer zu erkennen ist wie die tatsächliche Zahlungsbereitschaft der Bieter bei Auktionen, kann der Staat nur versuchen, durch geeignete


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1996, Seite 34
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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