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News: Applaus, Applaus, Applaus

Theaterbesucher, die in synchrones, rhythmisches Klatschen verfallen, zeigen mehr als nur ihre Wertschätzung - sie offenbaren außerdem noch ihr tiefes Verständnis der höheren Physik. Die Analyse von Aufnahmen aus verschiedenen Theatern und Konzertsälen ergab nämlich, dass die Fähigkeit des Publikums rhythmisches Klatschen aufkommen und wieder verschwinden zu lassen, eine neue Form 'spontaner Synchronisation' darstellt, die bisher in echten lebenden Systemen unentdeckt blieb.
Ein in der gesamten Natur zu beobachtendes Phänomen ist, dass bei ursprünglich willkürlichen Impulsen nach einiger Zeit eine gewisse Rhythmik auftritt – beim Zucken der Herzzellen wie auch beim Leuchten von Glühwürmchen. Bisher erklärten Wissenschaftler das Ereignis anhand mathematischer Modelle und Computersimulationen von aneinander gekoppelten Oszillatoren, die sich wie eine Reihe von verbundenen, identischen Pendeln verhalten: Unter den richtigen Bedingungen fangen sie an, synchron zu schlagen.

Zoltan Néda von der Babes-Bolyai University in Rumänien und seine Kollegen entdeckten nun, dass rhythmischer Beifall eine neue Form des Phänomens darstellt, die japanische Theoretiker in den 80er Jahren anhand eines Modells erklärten. Es besagt, dass rhythmisches Verhalten nur dann auftritt, wenn die Oszillatoren genügend stark gekoppelt sind. Die einzelnen Personen in einem Publikum müssen also bemerken können, wenn sich die Geschwindigkeiten, mit der geklatscht werden, verändern. Nur dann kann ein rhythmischer Beifall entstehen. Das Modell besagt aber auch, dass das kritische Kopplungs-Niveau entscheidend von der Streuung des Applauses abhängt – also von der Verteilung der verschiedenen Geschwindigkeiten im Publikum. Bei stark unterschiedlichen Klatschraten ist das Publikum nicht ausreichend gekoppelt, weshalb der Rhythmus niht lange bestehen bleibt.

Um zu untersuchen, ob die "Streuungs-abhängige Kopplung" das Aufreten und Abebben des rhythmischen Beifalls erklärt, nahmen die Wissenschaftler Ovationen in unterschiedlichen Rahmen auf: vom Applaus in Theatern und Opernhäusern bis hin zu individuellen Beifallsbekundungen. Ihre Daten zeigten, dass ein Publikum, das den rhythmischen Beifall sucht, die Klatschgeschwindigkeiten immer einheitlicher gestaltet, genau wie es die Theorie verlangt. Und sobald diese Einheitlichkeit ein gewisses Maß erreicht hat – an dem auch der Letzte im Saal begriffen hat, was vor sich geht – setzt ein sehr präzises, rythmisches Klatschen ein (Physical Review E vom Juni 2000).

Warum aber verschwindet es wieder? Nédas Ansicht nach ist das rhythmische Geklatsche weniger kräftig als das unorganisierte. Die Abnahme der Lautstärke bewegt die begeisterten Beifallsspender, ihre Klatschgeschwindigkeit so zu erhöhen, dass ein rhythmisches Klatschen nicht mehr möglich ist. Der Beifall geht dann wieder in ein wildes Durcheinander von Geräuschen über.

"Was wir daraus lernen," erklärt Ian Stewart von der University of Warwick in Coventry "ist, dass Synchronität zwar scheinbar leicht zu erreichen ist, aber der Weg dorthin mitunter überraschend feinsinnig sein kann." Wenn also das Publikum bei Ihrem nächsten Theaterbesuch meint, in rhythmisches Klatschen verfallen zu müssen, ärgern Sie sich nicht über dieses dümmlich anmutende Verhalten. Freuen Sie sich vielmehr über das außerordentliche Wissen Ihrer Mitmenschen, die sich offenbar auch in anspruchsvollster Physik auskennen.

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