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News: Atmen allein genügt nicht

Wer kennt nicht den Weinliebhaber, der die Flasche seines liebsten Roten nach dem Entkorken erst einige Minute beiseite stellt, damit der Wein zunächst noch 'atmen' kann. Eine Untersuchung amerikanischer Wissenschaftler zeigt nun, daß dieses Vorgehen den Trinkgenuß vielleicht um eine schöne Zeremonie bereichert. Der Geschmack verbessert sich aber nicht dadurch, da der Flaschenhals einfach zu eng für einen genügenden Gasaustauch ist.
Auf der American Lung Association/American Thoracic Society International Conference vom 24. – 29. April in Chicago hielt Nirman Chran, Wissenschaftler am Pulmonary Research Laboratory des Veterans Administration Medical Center in Boise, Ohio, einen Vortrag über dieses ihm und anderen Weinliebhabern wichtige Thema. Die Studie unterstützt Empfehlungen von Wein-Experten, wonach man den Wein dekantieren, also umgießen sollte, bevor man ihn trinkt.

Als ein Freund vorschlug, eine Flasche Wein vor dem Trinken zunächst "atmen zu lassen", zweifelte Nirmal Chran an dem Sinn dieser Methode. "Ich erzählte ihm, daß wir die Flasche Wein auf ewig offen stehen lassen könnten, ohne daß sie jemals atmen würde", erinnerte sich Chran. Um dieser Meinung einen sachlichen Hintergrund zu geben, stach Chran eine Nadel durch die Korken von fünf ungeöffneten Flaschen von Cabernet Sauvignon und maß den Partialdruck von Sauerstoff und Kohlendioxid im Flaschenhals und auf dem Boden der Flasche.

Bei einer ungeöffneten Flasche war der Gehalt an Kohlendioxid im Wein sehr viel höher als in der Luft, während der Sauerstoffpegel etwa fünfmal niedriger lag. Dies liegt daran, daß die Hefe bei der Fermentierung der Trauben Sauerstoff verbraucht und dafür Kohlendioxid abgibt. Nach dem Entkorken wurde der Gasdruck nach Zeiten von zwei, vier, sechs, acht und 24 Stunden gemessen. Nach Chrans Aussage veränderte er sich während dieser kaum – weder im Flaschenhals noch auf dem Grund.

Als Chran sich dagegen selbst ein Glas des Weines einschenkte und dieses zunächst zwei Minuten schwenkte, hatte sich der Sauerstoffgehalt an den der umgebenden Luft angeglichen. Eine Gruppe von etwa zehn (sich natürlich außer Dienst befindenden...) Mitarbeitern des Medical Center kam zu dem Schluß, daß der Wein nach dem Schwenken an Geschmack gewann.

Um herauszufinden, ob sich der Geschmack des Roten tatsächlich verbessert, wenn sein Sauerstoffgehalt steigt, "durchsprudelte" Chran den Wein mit Sauerstoff. Glaubt man dem Gaumen seiner Trinkgenossen, dann schmeckte der Wein, dessen Sauerstoffgehalt der Umgebung angepaßt war, bedeutend besser, als derjenige, der nur in der Flasche atmen durfte.

Warum dies so sein sollte, darauf weiß auch ein wissenschaftlicher Weinexperte keine Antwort. Andy Waterhouse, "Wein-Chemiker" an der University of California, Davis, denkt, übelriechende Substanzen können aus einer Weinflasche entweichen, sobald diese entkorkt wurde. Doch welche Rolle der Sauerstoff spielt, das ist auch ihm nicht klar. Jedenfalls kann man nun jedem Weinliebhaber den Ratschlag geben: Nicht auf ein Wunder warten, sondern lieber selber tätig werden, dekantieren und kräftig schwenken...

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