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News: Bakterielles Kamikaze-Protein

Bakterielle Krankheitserreger schrecken vor nichts zurück, um das Abwehrsystem des Körpers auszutricksen. Manche haben sich darauf spezialisiert, mitten in der Höhle des Löwen zu leben - innerhalb der Zellen des Immunsystems. Sie dringen in diese Zellen ein, zerstören sie allerdings nicht - zumindest nicht so schnell. Wie diese Gratwanderung gesteuert wird, war lange rätselhaft. Jetzt zeigt sich, dass sie dabei Kontrollmechanismen ihrer Wirtszellen geschickt ausnutzen.
Viele bakterielle Krankheitserreger leben extrazellulär im Körper ihres Opfers. Krank machen erst ihre Toxine, welche die Körperzellen schädigen. Doch die körpereigene Abwehr greift sofort ein. Spezielle Fresszellen, die Makrophagen, stürzen sich auf die unerwünschten Eindringlinge und verspeisen sie. So auch bei Listeria monocytogenes. Doch das Bakterium, das durch verunreinigte Nahrung in den Körper gelangt, wird dabei nicht vernichtet. Es hat sich vielmehr auf intrazelluläre Lebensweise spezialisiert – innerhalb der Makrophagen. Hier können sie sich, geschützt vor den Antikörpern des Immunsystems, munter weiter vermehren (Videoansichten). An den Folgen – Zusammenbruch des Immunsystems, Hirnhautentzündung – sterben 20 Prozent der Infizierten.

Der "ahnungslose" Makrophage behandelt das verschlungene Listeria-Bakerium zunächst genauso wie alle anderen fremden Keime: Er lagert es zwecks späterer Vernichtung in einer Vakuole. Hier produziert das Bakterium das Toxin Listeriolysin O, das die Vakuolenmembran durchlöchert. Das Bakterium entkommt so aus seinem Gefängnis und vermehrt sich dann im Cytoplasma des Makrophagen. Die Wissenschaftler haben lange gerätselt, warum Listeriolysin O nicht auch die Zellmembran des Makrophagen angreift. Dadurch würde die Fresszelle vorzeitig zerstört, die freigesetzten Bakterien wären den Antikörpern des Immunsystems schutzlos ausgeliefert.

Amy Decatur und Daniel Portnoy von der University of California in Berkeley haben sich das Listeria-Toxin näher angeschaut. Bekannt war bereits seine enge Verwandtschaft mit Perfringolysin O, dem Toxin des Krankheitserregers Clostridium perfringens. Diese Substanz wirkt im Gegensatz zu Listeriolysin O immer toxisch und zerstört die Wirtszelle. Wie die Mikrobiologen jetzt feststellten, sind beide Verbindungen fast identisch. Sie unterscheiden sich lediglich in 27 Aminosäuren, die Listeriolysin O zusätzlich hat. Dieser kleine Unterschied ist jedoch entscheidend: Listeria-Bakterien, die das Toxin ohne diese Aminosäuren produzieren, zerstören ihre Wirtszellen. Umgekehrt wirken Clostridium-Stämme mit Perfringolysin O einschließlich der zusätzlichen Aminosäuren nicht toxisch (Science vom 3. November 2000).

Offensichtlich fungieren die 27 Aminosäuren als Marker. Überrascht stellten die Wissenschaftler eine hohe Ähnlichkeit mit einer bereits bekannten Markierung bei höheren Organismen fest: Mit dem Marker PEST (nach den Labor-Abkürzungen für die Aminosäuren Prolin, Glutaminsäure, Serin und Threonin) kennzeichnen Zellen Proteine, die der Organismus nicht mehr braucht und daher abgebaut werden sollen. Derartige Mechanismen zum Proteinabbau waren von Bakterien bisher nicht bekannt. Listeria hat anscheinend einen Mechanismus seiner Wirtszelle erfolgreich kopiert. "Um zu überleben, muss das Pathogen sich eine geschützte Nische innerhalb der Wirtszelle erhalten", erklärt Decatur. "Um das zu erreichen, nutzt das Toxin die zelleigene Maschinerie mit einem Marker, der sagt: 'Bitte zerstör mich'."

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