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Immunologie: Dem Virus auf die Finger geschaut

Ein Impfstoff gegen das HI-Virus wäre von unschätzbarem Wert, um der Pandemie Aids Einhalt zu gebieten. Die Entschlüsselung der Struktur entscheidender Bindungsproteine oder hochwirksamer Antikörper könnte die Entwicklung eines Impfstoffes vorantreiben.
gp120
Das HI-Virus, der Erreger der Immunschwächekrankheit Aids, ist für sich allein genommen kaum mehr als eine unscheinbare – wenn auch wohlgeordnete – Ansammlung von Proteinen und etwas Erbsubstanz, die keinerlei Lebenszeichen von sich gibt. Gelangt es jedoch in die Nähe einer geeigneten Zelle, dann mutiert es zum gewieften Einbrecher: An seiner Oberfläche trägt es kleine Spitzen aus zwei Eiweißen, gp120 und gp41, die es wie eine Hand benutzt. Mit ihr greift es sich ein Oberflächenmolekül der Wirtszelle, den CD4-Rezeptor, mit dem es sich wie mit einer Türklinke Zugang zur Zelle verschafft. Am Zielort angelangt, kapert es die molekulare Maschinerie der Wirtszelle und zwingt sie dazu, neue Viren zu produzieren.

Vermeiden ließe sich eine solche HIV-Infektion, wenn es gelänge, dem Virus schon vor dem Kontakt mit der Wirtszelle die Hände zu fesseln. Um geeignete Stricke zu entwickeln, muss aber die genaue Struktur der Angriffsspitzen bekannt sein. Bisher weiß man jedoch nur, wie diese aussehen, wenn sie bereits den CD4-Rezeptor ergriffen haben – die ungebundenen Spitzen konnten sich stets dem scharfen Blick der Wissenschaftler entziehen.

Nun endlich konnte die Arbeitsgruppe um Stephen Harrison von der Harvard Medical School in Boston die Struktur von gp120 des mit dem HIV eng verwandten affenpathogenen SIV (simian immunodefiency virus) vor seinem Angriff auf die Wirtszelle entschlüsseln [1]. Den Forschern gelang es in einer technischen Glanzleistung, das Molekül in eine wohl geordnete Kristallform zu zwingen – nur so lässt es sich per Röntgenanalyse untersuchen.

Modell des SIV-gp120-Proteins | Modell des SIV-gp120-Proteins: Von einem Monomer des dreiteiligen Proteins (hellblau) ist die Proteinkette dargestellt (weiß: Kohlenhydrate). Von oben her nähert sich ein CD4-Rezeptor (gelb) an; von seinen ersten beiden Domänen ist der Kettenaufbau dargestellt. Die räumliche Anordnung von gp120 und CD4 ist rein illustrativ und entspricht nicht unbedingt den natürlichen Gegebenheiten.
Wie das dreidimensionale Bild, das sich dabei ergab, enthüllte, sieht das freie Molekül deutlich anders aus als das gebundene: Etwa die Hälfte des Proteins lagert sich komplett um, wenn es an CD4 bindet. Die äußere Hülle ist an diesem Prozess nicht beteiligt, nur im Inneren verändern vier bewegliche Ketten ihre Position derart, dass das Bindungsmolekül optimalen Zugriff auf CD4 gewinnt.

Die Wissenschaftler entdeckten zudem auf der Oberfläche der ungebundenen Spitzen eine Vertiefung, an der eine kürzlich entdeckte Substanz (BMS-378806) bindet und das Eindringen des Virus in die Wirtszelle verhindert. Offenbar verhindert die Substanz die Umlagerung des gp120, sodass es nicht mehr an CD4 koppeln kann.

Ganz ähnlich könnten sich Antikörper als präventiver Impfstoff gegen eine HIV-Infektion an die beiden Bindungsproteine gp120 und gp41 anlagern und so deren Funktion hemmen. Der Körper produziert zwar Antikörper gegen HIV, nur leider sind sie in der Regel unwirksam. Lediglich einigen wenigen HIV-infizierten Personen gelang es, hochwirksame Antikörper gegen HIV zu bilden. Bereits vor rund zehn Jahren konnten Mediziner aus diesen Infizierten, die über Jahre hinweg symptomlos blieben, vier verschiedene Antikörper isolieren.

Dabei erwies sich ein Antikörper namens 4E10 als derjenige mit dem breitesten Wirkungsspektrum: Er neutralisiert fast alle HIV-Varianten. Nun gab er auch das Geheimnis preis, mit welchen besonderen Tricks er an das Oberflächenprotein gp41 des Virus bindet. Dem Team um Dennis Burton und Ian Wilson vom Scripps Research Institute in La Jolla gelang es, den Antikörper an einem Bruchstück von gp41, das die entscheidende Bindungsstelle des Proteins enthält, zu fixieren und seine 3-D-Gestalt zu analysieren [2].

Antigen-Bindungsstelle von 4E10 | Die Antigen-Bindungsstelle von 4E10: Der Antikörper bindet mit den Bereichen H1, H2, H3, L1 und L3 an das Virus-Peptid gp41. H2 und H3 sind ungewöhnlich hydrophob und binden eng an das amphipathische Peptid.
Dabei zeigte sich, dass 4E10 seine außergewöhnliche antivirale Eigenschaft einer Kombination aus mehreren Besonderheiten verdankt: Zum einen greift es auf einen Bereich von gp41 zu, den das Virus nicht verändert. Denn ein großes Problem bei der Bekämpfung des Virus besteht in seiner Fähigkeit, seine äußere Hülle ständig zu variieren und sich so den Verteidigungsmaßnahmen des Körpers zu entziehen. Zudem liegt gp41 sehr dicht an der Virushülle und ist deswegen für Antikörper nur schwer zugänglich.

Doch 4E10 vermag auch dieses Problem zu umgehen: Der Antikörper hat seinen Bindungsbereich stark verlängert, sodass er ihn wie einen Finger vorstreckt und damit die entsprechende Bindungsstelle von gp41 erreichen kann. Dabei unterstützt er die Kontaktaufnahme noch durch die besondere räumliche Struktur seiner Antigenbindungsstelle und deren hydrophobe, also wasserabstoßenden Eigenschaften.

Das Wissen um diese besonderen Eigenschaften von 4E10 liefert wertvolle Hinweise für die Entwicklung eines Impfstoffes gegen HIV: Nun können Wissenschaftler anhand der Struktur des Antikörpers möglicherweise immunogene Substanzen herstellen, die den Körper dazu bringen, seinerseits hochwirksame Antikörper gegen das Virus zu produzieren.

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