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Erdbeben in Italien: Der lange Schatten von L' Aquila

Nach der Katastrophe von 2009 sollte Italien besser vor Erdbeben geschützt werden. Nun wird sich zeigen, was sich seitdem wirklich geändert hat, kommentiert Lars Fischer.
Erdbebenruine in Sizilien

Nicht nur wegen der tektonischen Geschichte der Region erinnert das heutige Erdbeben nahe Norcia in Zentralitalien an die folgenschweren Erschütterungen in L'Aquila. Jenes Erdbeben von 2009 legte das Versagen des Staats beim Katastrophenschutz offen wie kaum ein anderes Unglück, und die Kontroverse um die Folgen führte unter anderem zu neuen Bauvorschriften und einer Anklage gegen sieben Mitglieder einer Kommission für Katastrophenschutz. Etwas Vergleichbares sollte nicht noch einmal passieren.

Lars Fischer | Lars Fischer ist Wissenschaftsjournalist und Redakteur bei "Spektrum.de".

Das aktuelle Beben in der Region wird nun zum Testfall dafür, was man in Italien aus dem Unglück von 2009 wirklich gelernt hat. Haben die damals versprochenen Maßnahmen die Mängel, die 300 Menschen das Leben kosteten, zum Teil behoben – oder waren die vor Gericht gestellten Wissenschaftler lediglich Sündenböcke, deren Verurteilung von grundsätzlichen Versäumnissen ablenkte?

Hat sich nichts geändert?

Das Problem jedenfalls ist bekannt. Zentralitalien ist Erdbebengebiet – immer wieder gibt es schwere Erschütterungen entlang der nordwest-südöstlichen Achse des Apennins, der durch die allmähliche Öffnung des Tyrrhenischen Meeres gedehnt wird. Immer wieder werden die alten Städte in den Bergen durch Erdstöße schwer beschädigt, zuletzt 2002 durch das Molise-Erdbeben, das 30 Menschen tötete, und natürlich jenes von L'Aquila 2009.

Grundsätzliche Versäumnisse kamen nach L'Aquila genug zu Tage. Es waren keineswegs die alten Gebäude, die am meisten Schäden davontrugen, im Gegenteil. Vor allem moderne Häuser brachen zusammen. Viele kollabierte Gebäude seien aus billigen Materialien schlecht gebaut gewesen, was zu ihrem Einsturz beigetragen habe, stellten Fachleute damals fest. Auch diesmal zeigen Bilder aus kleinen Orten wie Amatrice oder Accumoli moderne Gebäude mit schweren Schäden.

Das Muster setzt sich über die gesamte jüngere Bebenhistorie Italiens hinweg fort: Bei einem Erdbeben 2012 in Norditalien brachen zwei moderne Fabrikgebäude zusammen, mehrere Menschen starben. Auch damals beklagten Fachleute noch, wie unvorbereitet der Staat auf solche Ereignisse sei. Bemerkenswert ist, dass Erdbeben, die in Japan oder anderen Regionen bestenfalls Sachschäden anrichten, mitten in Europa so verheerende Auswirkungen haben. Zumal in der Region noch stärkere Erschütterungen möglich sind.

Es gab schon viel stärkere Beben

Das historische Erdbeben von 1703 erreichte sogar eine Magnitude von etwa 6,9 – und fand fast am gleichen Ort statt wie die aktuelle Erschütterung. Weiter im Süden sind noch höhere Werte belegt: Im Jahr 1905 verursachte ein Beben der Stärke 7,2 sogar einen Tsunami. Italienische Fachleute schätzen, dass ein vergleichbares Ereignis heute zehntausende Menschenleben fordern könnte.

Vor diesem Hintergrund ist es mehr als beunruhigend, wie sich die Bilder gleichen. Dass die sieben Mitglieder der wissenschaftlichen Kommission nach dem Beben von L'Aquila angeklagt wurden, stand auch für die Wut vieler Betroffener über die Untätigkeit des Staats angesichts solcher Katastrophen.

Der Fortgang der Ereignisse in den Jahren nach 2009 gibt nicht eben Anlass zu großer Hoffnung. Es dauerte bis 2014, bis sechs angeklagte Wissenschaftler von den Vorwürfen freigesprochen wurden. In jenem Jahr, fünf Jahre nach der Katastrophe, begann auch der Wiederaufbau des zerstörten L'Aquila.

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