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Nobelpreise 2005: Die Wächter des atomaren Feuers

Ob Irak, Iran, Nordkorea oder in Südasien: Die Welt drängt es immer wieder zur nuklearen Apokalypse. Doch eine kleine Organisation mit einem Charismatiker an der Spitze stemmt sich gegen diesen gefährlichen Trend. Jetzt wurden die Internationale Atomenergiebehörde und Mohamed El Baradei für ihren Einsatz mit dem wichtigsten Friedenspreis geehrt.
IAEA
Mohamed El Baradei | Mohamed El Baradei, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, bekommt den diesjährigen Friedensnobelpreis: "Was fühle mich dankbar, stolz und hoffnungsvoll."
Sie hatten gewarnt: Noch im unmittelbaren Vorfeld des Irakkriegs im März 2003 beharrten Mohamed El Baradei und die Internationale Atomenergiebehörde darauf, dass es keine atomaren Massenvernichtungswaffen im Reich des Saddam Hussein gäbe und diesem selbst die Kapazitäten fehlten, derartige Bomben in kurzer Zeit herzustellen. Wie bekannt konnten sie den Krieg nicht verhindern, der unter anderem auf gegenteiligen – mittlerweile nachweislich falschen – Aussagen begründet war.

Zurzeit arbeitet die in Wien ansässige Behörde der Vereinten Nationen mit Nachdruck an einem Stopp der Atomprogramme Nordkoreas und des Iran, um heute ähnlich geartete Konflikte zumindest zwischen diesen Ländern und den USA zu verhindern. Dabei erzielten sie bereits erste Teilerfolge.

"Wir wollen mit diesem Preis dem Kampf gegen Atomwaffen wirklich neuen Auftrieb geben"
(Ole Danboldt Mjøs)
So hatte Nordkorea 2002 alle Brücken unter anderem zur IAEA abgebrochen und deren Inspekteure des Landes verwiesen, da es sich von den Vereinigten Staaten bedroht fühlt – US-Präsident George W. Bush rechnet es zur so genannten "Achse des Bösen" – und auf seinem Recht zur Selbstverteidigung auch mit Nuklearwaffen beharrt. Erst Ende September gab der ostasiatische Staat nach langwierigen Verhandlungen mit den USA, China, Russland, Japan und Südkorea bekannt, wieder der IAEA beizutreten, ebenso wie dem ebenfalls aufgekündigten Vertrag zur Nichtweitergabe von Atomwaffen. Darüber hinaus versprachen sie, ihre nach eigener Aussage bereits vorhandenen Nuklearsprengkörper abzuschaffen.

Im Gegenzug sollen dafür die beiden Nordkorea versprochenen Leichtwasserreaktoren fertig gebaut und unter die Aufsicht der IAEA gestellt werden. Diese Vereinbarungen – maßgeblich von der UNO-Behörde mit initiiert – müssen zwar noch in feste Verträge gegossen und ratifiziert werden, dennoch gelten sie schon als Durchbruch zu einer friedlichen Lösung dieses seit Jahren schwelenden Konflikts.

Eine schwierigere Nuss gilt es dagegen momentan im Iran zu knacken: Auch dieser Staat im Mittleren Osten verfolgt zielstrebig ein eigenes Atomprogramm. Die iranische Staatsführung betont dabei den ausdrücklich friedlichen Charakter ihrer nuklearen Zielsetzung, sie will allerdings alle Schritte dieser Technologie inklusive Wiederaufbereitung und Anreicherung des Brennmaterials selbst durchführen. Dies ruft wiederum internationale Kritik – auch der Europäischen Union – hervor, die einen Missbrauch dieser Technik befürchten, da mit ihr ebenso die Grundlagen für Bomben geschaffen werden können.

Da der Iran lange Jahre Teile seines Atomprogramms verheimlicht hatte und bereits mehrfach gegen Resolutionen der IAEA verstieß, könnten weitere Verfehlungen das Thema nun vor den Sicherheitsrat der UNO bringen – bereits ein weiterer Schritt nach oben auf der Eskalationsskala. Deshalb drängt vor allem Generaldirektor Mohamed El Baradei verstärkt auf ein vorheriges fundiertes Verhandlungsergebnis, um ähnliche Automatismen wie im Irakkrieg 2003 von vornherein zu verhindern.

"Dies ist der stolzeste Tag für die IAEA. Wir sind stolz, überrascht und voller Hochgefühle"
(Melissa Fleming, IAEA)
Dieses unnachgiebige Engagement der Internationalen Atomenergiebehörde und ihres Leiters würdigte nun auch das Nobelpreiskomitee mit der Verleihung des wichtigsten Friedenspreises der Welt. Die "Prinzipien einer friedlichen und internationalen Anstrengung, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern" werden dabei nach den Verantwortlichen in Oslo mit am deutlichsten von der IAEA und ihrem Vorsitzenden vertreten. Gerade El Baradei gilt ihnen als unerschrockener Anwalt dieser Politik in Zeiten, in denen die Weitergabe von Nuklearwaffen an Drittstaaten oder gar Terrorgruppen droht: "Wir wollen mit diesem Preis dem Kampf gegen Atomwaffen wirklich neuen Auftrieb geben", so der Komiteechef Ole Danboldt Mjøs.

Zugute kommt El Baradei dabei seine Herkunft, denn als Ägypter macht er sich unverdächtig, allein und einzig die Interessen der Groß- und Atommächte zu vertreten. In seiner Rolle als Generaldirektor der IAEA und deren heikler Rolle im Weltgeschehen verschafft er sich allerdings dennoch wenig Freunde, und so überwiegt zumeist die Kritik das Lob. Hohe Anerkennung brachte ihm jedoch seine Standhaftigkeit im Jahr 2003 ein, als er gegen massiven Druck der Vereinigten Staaten seine negative Meinung zu möglichen Massenvernichtungswaffen im Irak beibehielt und mit Rücktritt drohte. Mittlerweile wurde er für eine dritte Amtsperiode wiedergewählt, und es werden ihm Ambitionen auf die Nachfolge Kofi Annans bei der UNO nachgesagt.

Während die persönliche Integrität El Baradeis bei den meisten Beobachtern außer Frage steht, gibt es an der Rolle der IAEA doch auch starke Kritik von Nichtregierungsorganisationen, die nichts mit der Ablehnung von Atomwaffen zu tun hat. Sie entzündet sich vielmehr am Anspruch der Wiener Behörde, den friedlichen Charakter der Atomenergie zu betonen und den Nationen der Welt Zugang dazu zu gewähren. Umweltschutzgruppen wie Greenpeace erheben dagegen aber Einspruch, da Atomenergie für sie per se bereits immer "schmutzig, gefährlich und wirtschaftlich verrückt" ist. Zudem betonen sie, dass selbst beim zivilen Betrieb von Atomkraftwerken immer gleichzeitig Atommaterial für die Produktion von Atomwaffen erzeugt wird. Deshalb fordern sie die Behörde auf, "sich zukünftig nur noch als international zuständige Wachgesellschaft auf die Kontrolle und Bewachung von hochradioaktiven Materialien zu konzentrieren", so Greenpeace-Atomexperte Jan Vande Putte.

Der Greenpeace-Friedensexperte Wolfgang Lohbeck spricht sogar von einer "dramatischen Fehlentscheidung", auch der IAEA den Preis zuzuerkennen: "Sie legt die Vermutung nahe, dass das Nobel-Kommittee die Diskreditierung auch der zivilen Atomnutzung im Iran schlicht nicht zur Kenntnis genommen hat." Ähnlich äußerten sich die "Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW), die den Preis im Jahr 1985 bekommen hatten.

Enttäuscht ist auch die japanische Gruppe Hidankyo, die Überlebende der ersten Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki vertritt und die sich selbst Hoffnungen auf den Friedensnobelpreis gemacht hatte. Ihr Generalsekretär Terumi Tanaka hätte dagegen von einer Verleihung an seine Organisation eine Ermutigung der damaligen Kriegsopfer versprochen. Die IAEA hat seiner Meinung nach jedoch bislang noch nicht durch größere Friedensaktivitäten von sich Reden gemacht.

Diese Stimmen werden heute allerdings in der Minderheit bleiben: So hat Bundeskanzler Gerhard Schröder – der selbst auf der Vorschlagsliste stand – bereits gratuliert und die Verleihung eine "sehr kluge Entscheidung" genannt. Ähnliche Worte fand Bundesaußenminister Joschka Fischer, der Mohamed El Baradei und der IAEA auch zukünftig die Unterstützung der Bundesrepublik zusagte. Keinen Kommentar gibt es aus dem Iran zu berichten, Gratulationen und anerkennende Worte kamen hingegen von Frankreichs Präsident Jaques Chirac, Großbritanniens Premier Tony Blair und Russlands Präsidentensprecher Sergei Prikhodko: "Dieser Mann verdient höchste Ehrungen. Er ist wahrhaft ein Mann des Friedens, nicht des Kriegs", so Prikhodko.

Ebenso kam von der designierten Atommacht Israel Lobendes, verbunden allerdings mit mahnenden Worten: "El-Baradei ist ein würdiger Preisträger, wenngleich nicht die perfekte Wahl. Es gibt zu viele Lücken in der IAEA (…), aber die Organisation hat viel getan, um das Wettrüsten zu stoppen und zu verhindern, dass die Waffen in die falschen Hände fallen", so Vize-Ministerpräsident Shimon Peres. Es bleibt also weiterhin noch viel zu tun, der Nobelpreis dürfte ein zusätzlicher Ansporn sein.

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