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Evolution: Eine Frage des Alters

Wie lange die Lebensuhr für die Individuen einer Population tickt, hängt entscheidend von ihrer Sterberate ab. Sind Arten von einem frühen Tod bedroht, sollten sie Anzeichen eines schnelleren Alterns aufweisen. Doch die Dinge gestalten sich nicht ganz so einfach – zumindest bei Guppys.
<i>Poecilia reticulata</i>
Egal ob Mensch, Tier oder Pflanze – alle Organismen auf der Erde sind vergänglich. Allein ihre Lebensspannen unterscheiden sich. Doch wie haben sich diese im Laufe der Zeit herauskristallisiert? Eine Schlüsselrolle spielt das Sterberisiko, dem eine Population als Ergebnis von Umweltbedingungen ausgesetzt ist. Nach klassischen Theorien altern Organismen mit einer hohen Mortalität schneller, denn bedingt durch ihre kürzere Lebenserwartung hat die natürliche Selektion keine Chance, schädliche Mutationen auszusortieren, die den Alterungsprozess beschleunigen. Bei Spezies, die mit weniger widrigen Faktoren wie Krankheit oder Bejagung fertig werden müssen, sollte sich hingegen der Beginn des Alterns hinauszögern.

Poecilia reticulata | Guppys (Poecilia reticulata) aus Flussabschnitten mit hohem Räubervorkommen zeigen Anzeichen einer schnelleren Alterung nur bezüglich ihrer Schwimmleistung, aber nicht bei ihrer Fortpflanzung oder Lebensdauer. Unbestrittene Überlebenskünstlerin bei den Untersuchungen der Forscher war dieses Guppy-Weibchen, das 1464 Tage alt wurde.
Aber gelten diese Voraussagen generell? Anhand der kompletten Lebensgeschichte von 240 Exemplaren eines kleinen Süßwasserfisches, dem Guppy (Poecilia reticulata), gingen David Reznick von der Universität von Kalifornien in Riverside und seine Kollegen dieser Frage nach. Für ihre Untersuchung fingen sie zunächst in Flüssen auf der karibischen Insel Trinidad erwachsene Weibchen aus Populationen ein, die bedingt durch gleichzeitig auftretende Räuber eine hohe Sterberate aufwiesen oder in den Oberläufen durch Wasserfälle von Fressfeinden abgeschirmt waren und somit eine geringe Mortalität zeigten.

Deren 25 bis 30 Tage alten Nachkommen der zweiten Generation zogen die Forscher individuell im Labor auf. Um die natürlichen Bedingungen der Lokalitäten mit hohem und niedrigem Räubervorkommen nachzustellen, boten sie den Fischen aus den verschiedenen Populationen entweder viel oder wenig Futter an. Denn existieren an einem Standort kaum Feinde, so finden die Guppys infolge der großen Konkurrenz ein dürftiges Nahrungsangebot vor. Von allen Versuchstieren sammelten die Wissenschaftler Daten über den Zeitpunkt der ersten Fortpflanzung, Alter und Größe bei allen folgenden Vermehrungen, die Anzahl der Nachkommen sowie das Sterbealter.

Und die Auswertung lieferte überraschende Fakten: Guppys aus Flussbereichen mit zahlreichen Räubern lebten bis zu 35 Prozent länger als die Artgenossen aus Abschnitten mit niedrigem Feindvorkommen, wobei ein größeres Nahrungsangebot den lebensverlängernden Effekt einer hohen Feindesdichte verstärkte. Die stärker bejagten Fische reiften zudem deutlich eher, wiesen eine um 40 Prozent längere Fortpflanzungsspanne auf und brachten in jedem Wurf wesentlich mehr Nachwuchs hervor. "Diese Ergebnisse entsprechen nicht der konventionellen Voraussage, dass die Populationen aus Umgebungen mit geringer Sterblichkeitsrate eine verzögerte Alterung entwickeln", betonen die Forscher. Sie spekulieren, dass sich die Verfügbarkeit von Ressourcen oder die Fruchtbarkeit auf das Altern auswirken könnte.

Abschließend bewerteten sie die Schwimmleistung von 9 bis 13 Fischen aus jeder Population im Alter von etwa 12 und 26 Monaten, indem sie in einem Aquarium mit einem Referenzgitter auf der Unterseite aufzeichneten, wie schnell die Tiere vor einem Räuber flüchteten. Mit zunehmendem Alter wurden allen Guppys deutlich langsamer, stellten die Wissenschaftler fest. Und offenbar existiert eine Wechselwirkung zwischen Alter und Bejagung, denn jene Fische aus Umgebungen mit zahlreichem Räubern zeigten einen schnelleren Rückgang ihrer Leistung als ihre Artgenossen aus Flusssegmenten mit weniger Feinden.

Folglich variiert die Alterungsrate zwischen den verschiedenen untersuchten Fitness-Komponenten: der Überlebensfähigkeit, der Fortpflanzung oder der Schwimmleistung, kommentiert Peter Abrams von der Universität Toronto die Studie. Die Gründe für diese Unterschiede bleiben aber vorerst rätselhaft. Wahrscheinlich treten ähnliche Muster auch bei anderen Arten auf, mutmaßt der Forscher: "Es wäre überraschend, wenn Guppys die einzige Spezies wären, bei denen ein zusätzliches Sterberisiko die Lebensspanne verlängert."

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