Direkt zum Inhalt

News: Enttäuschte Hoffnung vergessen

Traumatische Erlebnisse einfach auf Knopfdruck löschen zu können - ein Traum von Ärzten und Psychologen. Und nicht so leicht zu erfüllen.
Maus
Längst vergangene Sonnenaufgänge hervorzaubern und das Gefühl des ersten Kusses – aber auch das Türenknallen eines wütenden Abgangs, lange nach der letzten liebevollen Umarmung: Erinnerung kann vieles Schöne und Schmerzhafte wieder lebendig werden lassen. Ganz verlässlich ist sie dabei allerdings nicht. Gerne mogelt unser Gedachtnis mit verstrichener Zeit kreativ in alten Erinnerungen herum, malt die Farben des Sonnenaufgangs unmöglich bunt und die Gründe für das Ende einer Liebe etwas schonender fürs Ego.

Beides erwies sich im Laufe der Evolution als wichtig: die Entwicklung eines stabilen Gedächtnisses ebenso wie die Möglichkeit, Erinnerungen nachträglich zu modifizieren. Sinnvolles, realitätsbezogenes Lernen bliebe schließlich eindimensional bis unmöglich, wäre alles Erlebte wie in Erz gegossen für immer festgeschrieben.

Basis des Gedächtnisses, in dem Erlerntes abgespeichert und wieder abgerufen wird, sind neue Verknüpfungen zwischen Nervenzellen. Proteine spielen hierbei eine ganz entscheidende Rolle – tatsächlich kann der erste Schritt des Lernvorgangs unterbunden werden, indem man die Bildung bestimmter Eiweiße verhindert, etwa durch Injektion des Protein-Synthesehemmstoffes Anisomycin in die Zellen der am Lernen beteiligten Gehirnregionen Amygdala und Hippocampus. Bei Mäusen ist diese Lernverhinderungs-Prozedur erfolgreich: Nager lernen etwa die Furcht vor bestimmten Räumen dadurch, dass sie dort einen Stromstoß erhalten. Setzt man sie nach einiger Zeit erneut im Stromschlagraum ab, verfallen sie sogleich in eine Schreckstarre – normalerweise. Nicht so allerdings, wenn ihnen nach dem Stromschock auch sogleich die Lernbremse Anisomycin injiziert wurde. Solcherart behandelte Mäuse lernen keine Furcht.

Aber wie geschieht Erinnern und das Vertiefen und Modifizieren alles Erlernten? Der gängigen Forschungsmeinung zufolge, wird eine erlebte und erlernte Situation – "Dieser Raum ist gefährlich!" – im Augenblick des Erinnerns einer furchtsamen Maus aus der fest verdrahteten Speicherform jedes Mal zunächst wieder in eine labile, modifizierbare Kurzzeitfassung umgeschrieben, die auch durch neue Erfahrungen – "Autsch, wieder ein Stromstoß!" – ergänzt werden kann. Dieser Inhalt wird dann wieder verknüpftermaßen abgelegt – Lernen und Wiederlernen beziehungsweise Erinnern basieren dieser Hypothese zufolge also auf den gleichen Grundprinzipien.

Eine stimmige Theorie. Nur nicht ganz richtig, meinen nun Matthew Lattal und Ted Abel von der University of Pennsylvania. Sie untersuchten Mäuse, die ein Stromschockerlebnis durchlitten hatten und sich daran sichtbar erinnern, sobald sie nach einiger Zeit erneut an den Ort des schockierenden Erlebnisses gelangen. Injiziert man im Augenblick dieses Erinnerns – erkennbar am schreckstarren Zustand der Mäuse – Anisomycin, so sollte die erlernte Erfahrung des Schockerlebnisses rückwirkend gelöscht werden: Die erinnerungstypische Protein-abhängige Zwischenspeichervariante kann nicht erstellt werden und damit auch nicht später, rückübersetzt in neuronaler Verknüpfung, langfristig ablegbar sein. Das gesamte Erlebnis wäre demnach gelöscht und niemals wieder erinnerbar.

Tatsächlich vergaßen die Nager zwar ihre einmal erlernte Furcht durch diese Behandlung – allerdings nur für kurze Zeit. Drei Wochen nach dem Löschen der Furcht vor der Stromstoßkammer kehrte diese bei erneuter Konfrontation plötzlich von selbst wieder zurück. Offenbar also bleiben stets Reste alter Erinnerung in den Tiefen des Gehirns gespeichert. Welcher Mechanismus genau dahinter stecken könnte, sei, so Abel, wie einiges andere der molekularen Grundlagen von Gedächtnisprozessen unbekannt.

Jedenfalls scheint sicher, dass alte traumatische Erfahrungen wohl auch beim Menschen nicht einfach radikal im Augenblick einer Konfrontation mit der Erinnerung ausgelöscht werden können – Forscher hatten gehofft, so in Zukunft etwa bei Patienten schnelle Erfolge erzielen zu können, die unter posttraumatischem Stress und ähnlichen Erkrankungen leiden. Vielleicht führt doch kein Weg daran vorbei, alte neuronal verknüpfte Erinnerungen nur langsam und Schritt für Schritt zu modifizieren. Immerhin: Darin ist unser Gehirn erfahrungsgemäß geübt.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.