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Neue Waldkarte: Europas Wälder werden lichter

Der Wald in Europa verändert sich - und er muss sich ändern, um in Zukunft überleben zu können. Eine neue Karte zeigt nun die Wälder des Kontinents auf 30 Meter genau.
In der Schweiz ist die durschnittliche Störung am kleinsten

Wie sehr leiden Europas Wälder unter Stürmen, Borkenkäfern und Waldbränden? Wo macht sich die teils intensive Holznutzung bemerkbar? Und welche Veränderungen ruft der Klimawandel hervor? Um diesen Fragen nachzugehen, haben jetzt Forscher der Technischen Universität München anhand von 30 000 Satellitenbildern der US-amerikanischen Landsat-Satelliten eine detaillierte Europakarte erstellt. Sie zeigt mit einer Auflösung von 30 mal 30 Metern pro Pixel, wo sich das Kronendach zwischen den Jahren 1986 und 2016 lichtete oder schloss.

Laut der heute im Fachmagazin »Nature Sustainability« erschienenen Studie fanden sie in den untersuchten drei Dekaden auf 17 Prozent der Waldfläche Europas Störungen im Kronendach. Anders gesagt wurde auf einer Fläche von 39 Millionen Hektar ein geschlossenes Kronendach durch Kahlflächen oder junge Bäume ersetzt. Im Lauf der Jahre stieg die Anzahl der Störungsflächen, und es traten deutlich mehr große Kahlflächen auf.

Wodurch die Störungen in der Kronenbedeckung ausgelöst wurden, haben die Forscher in der Studie nicht im Einzelfall ermittelt. Trotzdem lassen sich deutliche Unterschiede im Waldmanagement der 35 europäischen Länder feststellen. Intensive Nutzungsformen wie in Skandinavien oder im Baltikum werden auf der Karte ebenso sichtbar wie die zahlreichen Waldbrände in Portugal und Teilen Spaniens.

Immer mehr Störungen im Lauf der Zeit

Neben Ausdehnung und Anzahl untersuchten die Forscher auch die Intensität der Störungen, das heißt, sie berechneten für jede Fläche einen Störungsgrad zwischen 0 für volle Kronenbedeckung ohne Störungen und dem Wert 1 für eine ganz kahle Fläche ohne Baumbewuchs. Mehr als die Hälfte der Störungsflächen wies dabei eine hohe Störungsintensität auf, der Durchschnitt lag bei 0,77. Positiv bewerten die Forscher, dass sich die Intensität der Störungen im Lauf der 30 Jahre abschwächte, was sie als Indiz für die Zunahme von pfleglicher Waldwirtschaft deuten. Die Forscher sehen darum auch keinen Grund für Alarmismus: »Wenn Bäume verschwinden, heißt das noch nicht, dass der Wald weg ist. In den allermeisten Fällen wachsen nach einem Verlust des Altbestands neue, junge Bäume heran«, erklärt Cornelius Senf, Fernerkundungsspezialist an der Technischen Universität München (TUM) und Erstautor der Studie.

Karte der Veränderungen | Vor allem in Südfrankreich und auf der Iberischen Halbinsel hat sich der Wald großflächig verändert, zum Beispiel auf Grund von Sturmschäden. In Schweden und Finnland zeigen sich dagegen die Auswirkungen einer Holzwirtschaft, die große Freiflächen schafft.

Ähnlich äußert sich Koautor Rupert Seidl, seit 2019 Professor für Ökosystemdynamik und Waldmanagement an der TUM und bis dahin an der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) tätig: »Die neuen Karten helfen uns zu verstehen, wie sich Europas Wälder wandeln – denn Öffnungen im Kronendach bieten auch die Chance, dass sich eine neue, besser an den Klimawandel angepasste Baumgeneration etablieren kann.« Auch aus Sicht des Artenschutzes bedeuten lichtere Wälder nicht unbedingt einen Nachteil, da viele bedrohte Arten, etwa Waldschmetterlinge oder das Auerhuhn, auf einen Mix aus sonnigen, offenen Flächen und dichteren Wäldern angewiesen sind.

Nationales Forstmanagement unterscheidet sich stark

Auffallend war, wie sehr sich die Veränderungen von Land zu Land unterschieden, was darauf hindeutet, dass das Forstmanagement eine wichtige Rolle spielt. In Schweden sind neue Lichtungen im Wald im Schnitt knapp zwei Hektar groß – so groß wie nirgends sonst im Untersuchungsgebiet. In der Schweiz hingegen, wo überwiegend Einzelbäume geerntet werden, sind durchschnittliche Störungen mit 0,6 Hektar am kleinsten. In Deutschland lag der Wert bei 0,7, der Mittelwert für ganz Europa hingegen bei etwas über einem Hektar. In Spanien fand sich mit 17 000 Hektar die größte zusammenhängende Auflichtung, die durch einen Waldbrand im Jahr 2012 entstand. Auch die Spuren, die der Sturm Kyrill im Jahr 2007 im Sauerland hinterließ, lassen sich auf der hoch aufgelösten Karte gut erkennen. »Eine Stärke der Studie ist der lange Zeitraum der Analyse gepaart mit der hohen räumlichen und zeitlichen Auflösung über ganz Europa hinweg. Das erlaubt uns wirklich tiefer in die Materie des Forstmanagements einzutauchen«, sagt Richard Fuchs, Geoinformatiker am Karlsruher Institut für Technology (KIT), der nicht direkt an der Studie beteiligt war. »Man kann sehen, dass der Mensch auf immer mehr Flächen in den Wald eingreift.«

Durchforstungen werden erkennbar

Nach Einschätzung der Münchner Forscher erkenne man mit der Methodik nicht nur größere Kahlschläge, sondern auch die in der Waldwirtschaft Mitteleuropas häufigen Durchforstungen, bei denen Förster einem Waldgebiet Bäume entnehmen, um den verbleibenden bessere Wachstumsbedingungen zu bieten. Die erstellten Karten stehen online frei zur Verfügung und sollen allen Wissenschaftlern als Grundlage für Analysen zu Forstmanagement und der Waldentwicklung in Europa dienen.

Manuela Hirschmugl, Spezialistin für Fernerkundung und Geoinformatik am Joanneum Research in Graz und nicht an der Studie beteiligt, blickt in die Zukunft: »Eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft ist es nun, die vorliegende Zeitreihe fortzusetzen und dabei auch Aussagen zu den Ursachen einzelner Veränderungen zu machen. Also etwa ob es sich bei einer Störung im Kronendach um Insektenbefall, eine Nutzung oder einen Sturmschaden handelt.« Dank neuer Satelliten, etwa Sentinel-2 des europäischen Raumfahrtprogramms, werden die Daten zur Entwicklung der Wälder noch genauer werden. Nun wird es vor allem darauf ankommen, daraus die richtigen Schlüsse für die Erhaltung und Nutzung der Wälder zu ziehen.

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