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Ernährung: Fleischlos in die Zukunft?

Die vegetarische und insbesondere die vegane Kost sind umweltfreundlicher und moralisch vertretbarer als der Konsum tierischer Produkte. Oder doch nicht? Im Detail ist die Sachlage kompliziert.
Kühe sind Herdentiere

Immer mehr Menschen ernähren sich vegetarisch oder gar vegan. Das verspricht nicht nur Gesundheit für den Einzelnen, sondern auch ökologische Nachhaltigkeit für die Gesellschaft. Wäre es also aus Umweltschutzgründen vernünftig, wenn wir vollständig auf tierische Produkte verzichten würden?

Eine Landwirtschaft ganz ohne Nutztiere wäre zumindest denkbar, meint Ute Knierim, Professorin an der Universität Kassel – aber nicht unbedingt sinnvoll. Die Agrarwissenschaftlerin forscht schwerpunktmäßig im Bereich Tierhaltung in der ökologischen Landwirtschaft. Natürlich könne man auch ohne Vieh wirtschaften, wie einige Betriebe vorleben. Doch würde das flächendeckend geschehen, wäre das mit großen Herausforderungen verbunden, glaubt Knierim – und global betrachtet würde sich unsere Gesellschaft umfassend verändern müssen. Ganz besonders gilt das wohl für Landstriche, wo sich große Teile der Agrarflächen nicht als Anbaufläche eignen, zum Beispiel in Berg- oder Trockenregionen. Hier liefert die Beweidung mit Vieh proteinreiche Nahrung, Arbeitsplätze und Einkommensquellen. In manchen Fällen sind die Produkte aus der Weidehaltung sogar die wichtigste oder gar nahezu einzige Nahrungsquelle der dort lebenden Menschen – man denke etwa an Ziegenhirten in Steppengebieten.

Nutztiere schließen den ökologischen Kreislauf

Es gibt aber auch gute Gründe, die Viehhaltung hier zu Lande nicht vollständig aufzugeben. "Ein Grundgedanke der ökologischen Landwirtschaft ist, dass Nutztiere ein wichtiges Glied im Betriebskreislauf sind", sagt Knierim. "Sie tragen dazu bei, dass die Nährstoffkreisläufe besser geschlossen werden können."

Mit den Tieren lassen sich vielfältige Fruchtfolgen im Ackerbau optimal umsetzen, also der regelmäßige Wechsel der angebauten Pflanzen auf einer Fläche. Dabei achten die Landwirte darauf, ein und dieselbe Feldfrucht erst nach einem ausreichend langen zeitlichen Abstand erneut anzubauen. Zwischendurch setzen sie etwa Stickstoff bindende Pflanzen ein, so genannte Leguminosen, um den Boden dauerhaft fruchtbar und ertragreich zu erhalten. Manche dieser Pflanzen, die Teil einer sinnvollen Fruchtfolge sind, können die Bauern unmittelbar verfüttern – an Tiere, deren Ausscheidungen wiederum die Felder düngen. So integrieren sich Nutztiere optimal in den Nährstoffkreislauf.

Freilich gilt das nur, wenn ihre Anzahl ein vernünftiges Maß nicht überschreitet. Abgeschätzt wird das, erklärt Knierim, unter anderem anhand der Menge an Ausscheidungen, welche die Tiere produzieren: Sie sollten zu einer sinnvollen Düngung der bewirtschafteten Anbauflächen genutzt werden können. Die EU-Ökoverordnung bindet die Zahl der Tiere, die ein Landwirt auf seinem Betrieb halten darf, daher an die bewirtschaftete Fläche und begrenzt dadurch die Düngungsintensität. Doch ebenso wichtig ist es, ob ein Bauer seine Tiere von den eigenen Erzeugnissen ernähren kann – idealerweise sogar ausschließlich. Das kann relativ einfach oder unmöglich sein, da es von den Produkten eines Betriebs und den geografischen Voraussetzungen abhängt.

Klar ist, dass zahlreiche konventionelle Landwirtschaftsbetriebe solche Kriterien nicht erfüllen – die Anzahl der gehaltenen Tiere pro Fläche ist häufig zu hoch. Unter der Belastung durch die Ausscheidungen leiden neben den Tieren der Boden und das Grundwasser. Zudem weidet das Vieh eben meist nicht auf Bergwiesen, sondern bekommt Futter, das prinzipiell auch Menschen als Nahrung zur Verfügung stehen könnte; oder zumindest ließen sich auf den Flächen statt Futter- Lebensmittel anbauen. Und da die Tiere mehr fressen als das, was am Ende an tierischen Produkten herauskommt, ist die Herstellung in der Regel ineffizient. Die Folge ist ein höherer Energie- und Flächenverbrauch und damit eine stärkere Belastung der Umwelt im Vergleich zur Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln.

Was hinten rauskommt – Treibhausgas und Klimaziele

Ferner entweichen dem Vieh Treibhausgase. Ihr Beitrag zum Klimawandel lässt sich allerdings nur schwer genau beziffern. Denn ganz generell gilt: Die Ermittlung von Emissionswerten von Nahrungsmitteln ist äußerst komplex. Das machte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und Verbraucherschutz, dem auch Knierim angehört, in einem Klimaschutzgutachten von 2016 deutlich: Aufgewandte Energie, Transport und Lagerung müssen in die Bilanz einfließen, also bei Fleisch sowie Milchprodukten neben den Tieren selbst auch ihr Futter und die unterschiedlichen Haltungsarten sowie deren Auswirkungen. Unter dem Strich kann so bei jedem Produkt ein ganz unterschiedlicher Emissionswert herauskommen.

In diesem Punkt schneidet regionales Gemüse dabei tatsächlich im Durchschnitt am besten ab. Bemerkenswerterweise weist Käse im Allgemeinen deutlich mehr Treibhausgasemissionen pro erzeugtem Kilogramm auf als Schweinfleisch oder Geflügel. Milch, Fisch und Krustentiere haben eine Bilanz, die nicht so viel schlechter ist als die von Getreide. Butter erscheint dagegen mit den höchsten Werten pro Kilogramm sogar noch vor Rindfleisch als wahrer Klimakiller. Klar ist aber auch, dass viel weniger Butter verspeist wird als Fleisch. Die absoluten Treibhausgasemissionen dieses Produkts fallen dementsprechend nicht so sehr ins Gewicht.

Kurz: Viele Parameter spielen bei der Berechnung eine Rolle, deshalb fallen Pauschalempfehlungen schwer. Auch der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt mit Blick auf den Klimaschutz Menschen nicht generell, vollständig auf Fleisch oder alle tierischen Produkte zu verzichten: Es gehe vielmehr darum, "den Konsum auf ein ernährungsphysiologisch ausgewogenes und zugleich klimafreundliches Maß" zu reduzieren. Eindeutig bleibt aber, dass selbst eine vollständige Abschaffung der Nutztiere nur einen kleinen Beitrag leisten könnte, die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen. Langfristig sollen demnach die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 senken. Auf die Landwirtschaft – nicht nur auf die Viehhaltung, sondern auch auf Ackerbau und Grünland – entfielen 2014 rund elf Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen Deutschlands, das sind ungefähr 104 Millionen Tonnen CO2-Äqivalent (CO2-Äq). Gemäß Daten aus dem Jahr 2006 machten die Emissionen, die bei der Herstellung, Vermarktung und Zubereitung der 2006 in Deutschland verzehrten und weggeworfenen Lebensmittel anfielen, rund ein Viertel der Gesamtmenge der Treibhausgasemissionen in Deutschland aus. Davon könnte die Landwirtschaft, schätzt der Beirat, durch ambitionierten Klimaschutz etwa 40 Millionen Tonnen CO2-Äqivalent einsparen – und der Konsument immerhin weitere rund 35 Millionen Tonnen. Dabei bietet die Reduzierung tierischer Produkte durchaus Potenzial: Würden die Verbraucher die Empfehlungen des Gutachtens vollständig umsetzen, ließe sich die Emission von 22 Millionen Tonnen CO2-Äq verhindern, wie die Experten schätzen, also etwas mehr als zwei Prozent der Gesamtmenge. Und reduzierte man tatsächlich konsequent die Nutztiere, ließen sich wohl zusätzlich Agrarflächen in ursprüngliche Landschaften wie Wälder und Moore umwandeln, die wiederum mehr Treibhausgase binden.

Mischkalkulation: Tierwohl gegen Klimaschutz

Mit Blick auf Klimaschutzziele ist unsere Ernährung demnach weder ein unerheblicher noch ein auschlaggebender Faktor: Eine überwiegend pflanzliche Ernährung verringert unseren CO2-Fußabdruck, noch deutlich kleiner aber wird er durch andere Maßnahmen, etwa durch den Verzicht auf Flugreisen und regelmäßiges Autofahren oder beim Energieverbrauch im Alltag. Dabei wird eines allerdings oft vergessen: Solche Anstrengung könnten als Nebeneffekt auch wieder dem Tierwohl nützen. Denn "je mehr die Menschen bereit sind, ihren Lebensstil zurückzufahren, desto mehr kann man den Tieren entgegenkommen", sagt Knierim – etwa indem man ihre Haltungsbedingungen verbessert. Auch diese Abwägung ist oft komplex und von vielen Faktoren abhängig, die man durchaus unterschiedlich gewichten kann. Ein Beispiel ist die Milchleistung der Kuh, erklärt die Expertin. "Je höher die Leistung einer einzelnen Kuh, desto geringer die Umweltauswirkung jedes erzeugten Liters Milch." Und die Milchmenge kann etwa durch mehr Kraftfutter erhöht werden. Allerdings verdrängt sein Herstellungsprozess Grasweiden, die CO2 binden. Zudem werden solche Hochleistungsmilchkühe öfter krank und leben kürzer; die männlichen Nachfahren lassen sich schwerer mästen und schlechter vermarkten. "Wenn man das alles mit bedenkt, kommt man zu dem Schluss, dass auch aus Umweltsicht die höchste Milchleistung nicht automatisch die beste ist."

Dann eben Fleisch ohne Tier?

Eine der prominentesten Personen, die eine andere – hochtechnologische – Lösung am Horizont sehen, ist der Philosoph Richard David Precht: In öffentlichen Auftritten und in seinem neuesten Buch "Tiere denken" zeichnet er das Bild einer Gesellschaft ohne Nutztierhaltung, aber mit Fleisch; dieses gleichwohl aus dem Labor und nicht von der Weide. Er schreibt: "Dem Fleisch ohne Schlachthöfe und Tierleid dürfte die Zukunft gehören." Die Entwicklung dazu hat spätestens seit 2012 an Fahrt aufgenommen: Damals verspeisten niederländische Wissenschaftler den ersten Hamburger mit künstlicher Fleischbulette. Das Medieninteresse war beachtlich. Das lag nicht nur daran, dass es sich um Laborfleisch handelte, sondern auch an dem stolzen Preis von rund 325 000 US-Dollar. Doch mittlerweile sind es laut den beteiligten Forschern nur noch etwas über zehn Dollar pro Hamburger. Angeblich werde die eigens dafür gegründete Firma namens "Mosa Meat" innerhalb der nächsten Jahre dieses künstliche Fleisch auf den Markt bringen, wie der Mitarbeiter Peter Verstrate gegenüber der BBC im Jahr 2015 mitteilte. Kritiker bemängeln jedoch, dass man bei der Methode eine Nährlösung benötigt, die aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen wird. Vegan ist das künstliche Hack deshalb nicht. Unterdessen hat ein Start-up Unternehmen aus San Francisco künstliches Geflügelfleisch entwickelt – angeblich ohne den Einsatz dieses tierischen Serums. Im März 2017 lud die Firma zur Verkostung: Es gab frittiertes Hühnchen und Ente in Orangensoße. Die Testesser sollen sich begeistert gezeigt haben, und vielleicht könnten die Gerichte sogar für den ein oder anderen überzeugten Veganer in Frage kommen.

Knierim ist jedoch skeptisch, ob der Konsument solche Produkte annehmen wird: "Ich glaube, viele Leute werden wegen des Laborcharakters Vorbehalte haben." Precht hingegen prognostiziert, es werde zukünftigen Generationen sogar seltsam erscheinen, dass es einst Zeiten gab, in denen man Tiere für Fleisch töten musste. Doch ist eine Gesellschaft ganz ohne Nutztiere wirklich erstrebenswert? Knierim erinnert in diesem Zusammenhang daran, wie eng die Entwicklung der Menschheit mit den Nutztieren verknüpft ist. "Den Lebensstandard, den wir heute erreicht haben, verdanken wir auch unseren Nutztieren." Das allein sollte eigentlich ausreichen, diesen Lebewesen mit dem nötigen Respekt zu begegnen – was auch impliziert, weniger von ihnen zu essen.

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