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Folgen der Pandemie: Videokonferenzen machen müde im Kopf

Virtuelle Sitzungen zehren an den mentalen Kräften. Das hat eine Umfrage ergeben. Doch die Mehrheit der Befragten ist überzeugt: Die Qualität der Arbeit leidet darunter nicht.
Eine Frau blickt müde auf ihren Laptop-Bildschirm.

Videokonferenzen beeinträchtigen die Aufmerksamkeit. Zudem verringern sie im Vergleich zu Sitzungen, an denen Menschen persönlich teilnehmen, die Bereitschaft, sich am Gespräch zu beteiligen. Dieses Ergebnis lieferte eine Umfrage unter 3288 Gutachtern der US-Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH), die regelmäßig zu Onlinemeetings zusammenkamen.

Die Umfrage führte das den NIH zugehörige Center for Scientific Review (CSR) in Bethesda in Maryland durch. Das Team befragte Gutachter, die zwischen August und Oktober 2020 an Zoom-Meetings teilgenommen hatten. 46 Prozent von ihnen sagten, sie seien in den Videokonferenzen weniger aufmerksam gewesen als bei Sitzungen, in denen sie persönlich anwesend waren und Anträge für wissenschaftliche Fördermittel begutachteten. 51 Prozent gaben an, dass sich ihre Bereitschaft verringert habe, sich an der Sitzung zu beteiligen. »Ich bin es leid, immer nur in Gesichter auf Zoom zu schauen, deshalb blicke ich auch auf andere Dinge«, sagt Alexander Dent, Immunologe an der Indiana University School of Medicine in Indianapolis, der an der Umfrage teilgenommen hat. »Aber natürlich höre ich zu – und so etwas passiert ja auch in normalen Meetings.«

Andere Forscher befürchten allerdings, die Gutachter würden in ihren Videobesprechungen die Fördermittel nicht so sorgfältig erörtern oder darüber entscheiden wie bei einem persönlichen Treffen. Jason Moore, Bioinformatiker an der University of Pennsylvania in Philadelphia, erklärt, er beantrage oft Zuschüsse und mache sich nun über die Qualität der Begutachtungen Sorgen, die über Zoom durchgeführt werden. »Wird denn über meine Fördermittel ausgewogen diskutiert, und werden auch alle Meinungen gehört?«, fragt Moore. »Denn oft ist es so, dass eine einzelne Person, die große Stücke auf einen Antrag hält, den sonst niemand favorisiert, seine Meinung überzeugend darlegt und so die anderen auf seine Seite zieht, der Zuschuss solle erteilt werden.«

»Wir sind alle ein bisschen zoommüde«Sandra Bendiscioli, Senior Science-Policy Officer, EMBO Heidelberg

Ungefähr 43 Prozent der Befragten gaben an, lieber Meetings mit persönlicher Anwesenheit als Onlinesitzungen abzuhalten. Demgegenüber meinten fast ein Drittel, sie bevorzugten die virtuellen Treffen. Laut dem Bericht des CSR sind nur 10 bis 15 Prozent davon überzeugt, dass Zoom-Meetings die bessere Alternative seien, wenn es um die Qualität der Begutachtungen und die Beteiligung der Gutachter geht.

Die Überzeugung: Auch auf Zoom lassen sich Anträge verlässlich begutachten

»Wir sind alle ein bisschen zoommüde«, sagt Sandra Bendiscioli, Senior Science-Policy Officer bei der europäischen Wissenschaftsorganisation EMBO in Heidelberg. Ein Sprecher des CSR, der mehr als drei Viertel aller Anträge an die NIH begutachtet, lehnte es bei drei verschiedenen Gelegenheiten ab, mit »Nature« über die Umfrage zu sprechen – mit der Bemerkung, der öffentlich zugängliche Bericht spreche für sich selbst.

Der US-Immunologe Alexander Dent macht sich hingegen keine Sorgen, dass sich die Gutachter auf Grund der Zoom-Meetings nicht konzentriert mit den Anträgen befassen würden. »Ich glaube nicht, dass das ein großes Problem darstellt«, sagt Dent. »Die große Mehrheit war der Ansicht, der Überprüfungsprozess solle genauso streng und präzise durchgeführt werden wie sonst.«

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Und so waren auch 60 Prozent der Umfrageteilnehmer davon überzeugt, dass die Begutachtungen auf Zoom qualitativ genauso gut verlaufen würden wie bei den Sitzungen in persona. Die Hälfte gab an, die Gespräche hätten ebenso wenig an Qualität eingebüßt. Andere Studien, die in den Fachmagazinen »PLOS ONE« und »eLife« erschienen sind, legen dies ebenfalls nahe: Peer-Review-Verfahren auf Entfernung funktionieren genauso gut wie bei persönlichen Gesprächen, auch die Bewertungen fallen ähnlich aus.

Dennoch ist es laut Jason Moore für die NIH und andere Förderer wichtig festzustellen, ob virtuelle Konferenzen Einfluss auf die Bewertungen der Gutachter haben: »Wenn sich die Bewertungen in irgendeiner Weise grundlegend ändern, wäre das gut zu wissen.«

Videokonferenzen fördern die Teilnahme

Einige Experten sind der Ansicht, Videokonferenzen stellten eine positive Folge der Pandemie dar. So könnten in Zukunft die Gutachtergremien vielfältiger besetzt werden, zudem würde die Beteiligung zusätzlicher Fachleute möglich, sagt Susan Guthrie, Forschungsgruppenleiterin bei RAND Europe, einem gemeinnützigen Thinkthank im englischen Cambridge. Wie sie mit Kollegen in einer Studie von 2018 herausfand, sei einigen Forschern der Zugang zu internationalen Wissenschaftskooperationen verwehrt, ebenso zu Konferenzen, die von ihrem eigenen Standort weit entfernt stattfinden; außerdem seien sie von der Begutachtung von Manuskripten und Fördermitteln ausgeschlossen, weil sie sich die Reisekosten oder eine Kinderbetreuung nicht leisten könnten.

Guthrie zufolge hat die Pandemie viele Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb angestoßen: »Vor allem in Bezug auf die Begutachtung haben wir gesehen, dass Fördermittel schnell zugewiesen und auch flexibel umgewidmet werden können, um adäquat auf etwaige Probleme zu reagieren.«

Moore fordert daher, den Forschern solle eine bessere Technologie zur Verfügung gestellt werden, mit der sie Konferenzen und Meetings in einer virtuellen Realität abhalten können. »Das käme einer realen Situation näher, in der man sich in einem Konferenzraum mit anderen Menschen befindet«, sagt er. »Die Technologie muss besser werden, und wenn sie das tut, bietet sie einen besseren Ersatz für Meetings, die von Angesicht zu Angesicht stattfinden.«

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