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Knochen von Urmenschen: Forscherwelt erzürnt, weil Paläoanthropologe Fossilien ins All schießt

Der Entdecker des Homo naledi, Lee Berger, sorgt für Publicity auf die besondere Art: Er schickte Knochen von Vor- und Urmenschen ins All. Die Forschergemeinde ist außer sich.
Landung der VSS Unity von Virgin Galactic am Weltraumbahnhof in New Mexico im August 2023.
Die VSS Unity landet am Weltraumbahnhof in New Mexico im August 2023. Mit einem Raumschiff von Virgin Galactic schickte Paläoanthropologe Lee Berger Fossilien von Homininen ins All.

Am Morgen des 8. September 2023 flog ein Raumschiff von Virgin Galactic zirka 88 Kilometer über der Erde an den Rand des Weltraums. An Bord befanden sich zwei Piloten von Virgin Galactic, ein Astronautencoach, drei Passagiere – und die fossilen Überreste zweier Urmenschen, die vor Hunderttausenden von Jahren im Süden Afrikas gelebt hatten.

Eine Stunde später landete die Besatzung der VSS Unity wieder unbeschadet am Boden, samt den Fossilien. Doch bald danach übten Archäologen, Paläoanthropologen und weitere Fachleute Kritik an dem Ausflug. Es sei unethisch, solch unschätzbare Fossilien ins All zu befördern. Die Knochenstücke eines Australopithecus sediba und eines Homo naledi hätten bei dem Publicity-Stunt leicht beschädigt werden können. Zudem halten es die Forschenden für fragwürdig, dass Südafrika mit seinem kulturellen Erbe derart leichtfertig umgeht. Eine Regierungsbehörde hatte die Mission genehmigt.

»Mit den Überresten von menschlichen Vorfahren so emotionslos und unethisch umzugehen – sie in den Weltraum zu schießen, nur weil man es kann – hat keinen wissenschaftlichen Nutzen«, sagt Robyn Pickering, Geologin an der University of Cape Town in Südafrika.

Was macht Homo naledi im All?

Seit den 1980er Jahren hat man immer wieder Fossilien – darunter auch Dinosaurierknochen – auf diversen Missionen ins All gebracht. Nun haben allerdings erstmals Überreste von Homininen die Erde verlassen. Sie gehörten zu einem Australopithecus sediba, der vor etwa zwei Millionen Jahren lebte, und zu einem rund 250 000 Jahre alten Homo naledi. Die Überreste des Vor- und des Urmenschen entdeckten Teams um den Paläoanthropologen Lee Berger von der National Geographic Society in der Nähe von Johannesburg.

Im Juli 2023 erteilte die South African Heritage Resources Agency (SAHRA), die Behörde zum Schutz des Kulturerbes in Kapstadt, die Ausfuhrgenehmigung: Lee Berger durfte den Schulterknochen des Australopithecus sediba und den Fingerknochen des Homo naledi in den US-Bundesstaat New Mexico transportieren, wo sich der Weltraumbahnhof von Virgin Galactic befindet. Dort wurden die Fossilien an Bord der VSS Unity gebracht. Der südafrikanische Geschäftsmann und Passagier Tim Nash führte die Fossilien dann auf dem Flug mit sich.

Homo naledi | Ein Handskelett des Homo naledi – links die Handfläche von innen, rechts die Ansicht auf den Handrücken. Die Proportionen der Finger sind menschenähnlich.

In dem Antrag von Berger bei SAHRA heißt es, dass die Fossilien für wissenschaftliche Studien verwendet werden könnten, dies aber nicht die hauptsächliche Absicht des Weltraumflugs sei. »Wichtige Medienpartner werden dabei helfen, diese einmalige Gelegenheit zu nutzen, um die Aufmerksamkeit auf Wissenschaft, Forschung, auf die Ursprünge der Menschheit und auf Südafrika zu richten und ebenso auf die Rolle [der Fossilien] zum Verständnis der gemeinsamen afrikanischen Abstammung der Menschheit«, heißt es in Bergers Antrag.

Ein Leitfossil in Gefahr

Robyn Pickering, die mit anderen Fachleuten das Alter des Exemplars von Australopithecus sediba bestimmt hat, kann den Ausflug ins All dennoch nicht nachvollziehen. Ihres Erachtens rechtfertigen Bergers Absichten nicht die Risiken. Die Überreste hätten verloren gehen oder beschädigt werden können. Insbesondere der Schulterknochen sei einzigartig – es sei ein Leitfossil für Australopithecus sediba, eines, mit dem die Spezies definiert wurde.

Fossilien aus Afrika in den Weltraum zu entsenden, erinnert den Archäologen Yonatan Sahle von der University of Cape Town an koloniale und neokoloniale Forschungsmethoden, bei denen weiße, meist europäische und amerikanische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen afrikanische Institutionen nach ihrem Willen beugen. »Als jemand, der Afrikaner ist und in einer afrikanischen Institution arbeitet, ist dies im Grunde eine Fortführung sehr hässlicher, längst vergangener Aspekte der Paläoanthropologie.«

Am 13. September veröffentlichte dann auch der Vorstand der European Society for the study of Human Evolution eine Erklärung, in der die Gesellschaft die Mission in Frage stellt: »Wir können keinen wissenschaftlichen Nutzen bei diesem Projekt erkennen und stellen die ethischen [Absichten] in Frage, einzigartiges [Forschungsmaterial] möglicherweise zu beschädigen. Wir fordern einen verantwortungsvollen Umgang und den Schutz dieser unersetzbaren wissenschaftlichen Ressourcen.«

Das Risiko sei gering, der Werbeeffekt groß

Als Reaktion auf die Kritik der Forschergemeinde ließ dann Ben Mwasinga von SAHRA in einer Pressemitteilung verlautbaren, die Behörde sei überzeugt davon, »dass der [aus dem Flug] resultierende Werbeeffekt in einem angemessenen Verhältnis zu den Risiken steht, die mit solchen Reisen verbunden sind«.

Man habe auch ebenjene Fossilien für die Reise ausgewählt, weil sie in 3-D-Scans, Abgüssen und Fotos bereits ausführlich dokumentiert seien, erklärte Paläoanthropologe und Kurator Bernhard Zipfel laut einer Pressemitteilung der University of the Witwatersrand. An der Hochschule werden die Fossilien aufbewahrt. (Bernhard Zipfel und auch Lee Berger antworteten nicht auf die Anfrage von »Nature«, sich zur Kritik an der Mission zu äußern.)

Zu akzeptieren, dass gut dokumentierte Fossilien gefährdet werden könnten, schaffe einen riskanten Präzedenzfall, sagt Rachel King vom University College London. Die Archäologin befasst sich mit dem Umgang des Kulturerbes im Süden Afrikas. »Wenn ich also eine der Welterbestätten in Südafrika umfassend aufgezeichnet habe, dann können wir sie plattmachen und darüber ein Einkaufszentrum errichten?«

Seit Langem gilt Südafrika unter den Ländern des Kontinents eigentlich als führend, was den Schutz des kulturellen Erbes angeht. Daher war King überrascht, dass SAHRA Bergers Antrag stattgab. »Wozu gibt es Aufsichtsbehörden, wenn sie so etwas zulassen?«, so die Forscherin. »Die Sache könnte noch größer werden und zu einer starken Verschiebung führen«, was den Umgang mit Fossilien betrifft, befürchtet King.

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